Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Schulz spricht über Fehler, Intrigen und Müdigkeit
Ex-SPD-Chef hält sich für den „idealen Sündenbock“seiner Partei und bedauert, nicht früher zurückgetreten zu sein
BERLIN - Es ist ein Satz wie aus einem Mafia-Epos oder einem Polit-Thriller. „Entweder Du killst ihn, oder er killt Dich.“Doch die Worte stammen nicht aus Hollywood, sondern aus dem Innenleben der SPD. Andrea Nahles, die künftige Parteichefin, hatte Martin Schulz nach dessen Kür zum Kanzlerkandidaten Anfang 2017 so drastisch vor Sigmar Gabriel gewarnt. Sie sollte Recht behalten.
Was Schulz in dem zurückliegenden Jahr erlebt hat, erinnere ihn an „House of Cards“, die US-Serie über Intrigen und Machtkämpfe im Weißen Haus, hat der SPD-Politiker dem Spiegel-Reporter Markus Feldenkirchen offenbart, der ihn über ein Jahr lang begleitet und „Die „Schulz-Story“jetzt zu einem Buch gemacht hat.
Ein ums andere Mal hatte Schulz sich im Bundestagswahlkampf als Kanzlerkandidat über die Querschüsse von Sigmar Gabriel beklagt. Das Verhältnis zwischen beiden war am Ende zerrüttet. Nach der Schlappe bei der Bundestagswahl und der Wende der SPD in Richtung Große Koalition wollte Schulz Gabriel als Außenminister beerben. Als Schulz Gabriel diese Entscheidung mitteilte, kam es zu heftigem Streit. Gabriel spottete über den „Mann mit den Haaren im Gesicht“– und manövrierte sich damit selbst ins Aus. Die „Schulz-Story“ist auch die Geschichte einer zerbrochenen Freundschaft.
Erst surreal, dann steil bergab
Anfangs wurde er noch wie ein Popstar gefeiert und mit 100 Prozent zum SPD-Chef gewählt. „Schön, aber auch surreal“seien die ersten Wochen gewesen, erinnert sich Schulz. „Und danach ging’s steil bergab.“Von dem optimistischen und freundlichen Menschen, der angetreten war, um die SPD aus der Krise zu führen, ist nicht mehr viel zu erkennen.
„Ich war ein glückloser Parteiführer“, sagt der 62-jährige frühere EUParlamentspräsident. Er gesteht, dass auch er „dumme Fehler“gemacht habe. Schulz gibt sich selbstkritisch, klagt aber auch über Intrigen und Machtkämpfe in der Parteiführung. Er sei „politisch nicht gescheitert, aber sicher teilweise an den Strukturen der Partei zerschellt“. Er, Schulz, habe der oft gnadenlosen SPD als „der ideale Sündenbock“gedient, für alles, was die Partei seit Jahren falsch gemacht hat“. Oft habe er mehr mit den eigenen Parteifreunden als mit dem politischen Gegner kämpfen müssen. Ähnlich hatte es auch seine Schwester Marianne Harst beklagt und die SPD als „echte Schlangengrube“bezeichnet.
Seine Entscheidung, nach dem Ministeramt greifen zu wollen, sei ein Fehler gewesen, weiß Schulz heute. Hatte er doch ursprünglich „ganz klar“versichert, niemals in eine Regierung unter Angela Merkel eintreten zu wollen. Statt als Parteichef die SPD wie versprochen zu erneuern, entschied sich Schulz für das Amt des Außenministers. Das wurde ihm zum Verhängnis. „Ich habe das falsch eingeschätzt mit dieser Glaubwürdigkeitslücke. Komplett falsch eingeschätzt“, räumt er ein und bedauert es ebenso wie seine 180-GradWende in Richtung Große Koalition nach dem Aus der Jamaika-Sondierungen. Das sei der Wendepunkt gewesen. „Da hätte ich zurücktreten müssen. Zu dem Zeitpunkt hätte ich gehen müssen“, sagt er. Der ZickZack-Kurs führte ins politische Aus.
„Gott bin ich müde. So unfassbar müde“, spricht Schulz über seine tiefe Erschöpfung, körperlich wie seelisch. Ein halbes Jahr werde er wohl brauchen, nach Wahlkampf, Koalitionsverhandlungen und schließlich dem Absturz und Aus. Er wisse nicht, ob er jemals wieder zu Kräften komme, klagt der SPD-Mann. Er sitzt jetzt als Hinterbänkler im Bundestag. Genau wie Sigmar Gabriel.