Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Diemer über düstere Zeiten
Gut besuchter Vortrag des Kreisarchivars a. D. in Kürnbach
KÜRNBACH - Pest, Hunger und Krieg – der Titel der Veranstaltung war wenig verheißungsvoll, doch im Tanzhaus des Museumsdorfs Kürnbach blieb bei diesem Vortrag kein Stuhl frei. Es mag wohl der Referent gewesen sein, der mehr als 100 Besucher anlockte: Kurt Diemer. Der ehemalige Kreisarchivdirektor und Museumsleiter gilt als profunder Kenner oberschwäbischer Geschichte und freute sich sichtlich, an seine alte Wirkungsstätte zurückkehren zu dürfen.
Der bittende Ausruf „Vor Pest, Hunger und Krieg bewahre uns, Herr Jesus Christus!“ist im Volksmund bis heute geblieben – an den bitteren Hintergrund denkt der Zitierende zumeist nicht. „Wenn Sie zwischen 1618 und 1648 gelebt hätten, hätten Sie gut daran getan, dies weit weg von Oberschwaben zu tun.“Kurt Diemer muss es wissen, sein Wissen über den Dreißigjährigen Krieg ist groß. Im Fokus des Nachmittags standen allerdings lediglich die Jahre 1634 und 1635. Der Grund? Ein bisher kaum erschlossenes Tagebuch des Biberacher Patriziers und Schemmerberger Oberamtmanns Johann Ernst von Pflummern. Diemer arbeitet seit zwei Jahren an dieser Chronik und viele Passagen hören die Besucher im Originalton. „Damit Sie den Duktus jener Zeit mal hören.“
Das sind lange, komplizierte Sätze. Oftmals beschleicht einen das Gefühl, es würden Worte fehlen, die Formulierung klingen gestelzt und umständlich. Verständlich sind sie dennoch und das Erschrecken und Kopfschütteln geht mit dem Vorgelesenen einher. Wenn „ein Büblein von zehn Jahren zerschossen“wird oder jemand „in eisernen Banden gehalten und übel traktiert worden ist“, dann gibt es da keine Übersetzungsprobleme.
Es gab tägliche Plünderungen, „hofschädlichen Einfall und groß Tyrannei“. Wenn „kein Ofenhafen noch Pfannen übriggeblieben“, ist das Elend lebhaft vorstellbar und ebenso, wenn „1500 kaiserliche Dragoner und Reiter groß Schaden an den Früchten hinterlassen“. Draußen ist strahlendes Frühlingswetter, drin verdüstert sich das Gemüt darüber, dass Oberschwaben in der Hand der Schweden war, auf dem Bodensee Seegefechte stattfanden, Schweden und Kaiserliche „mit Fahnen, Cornett und Geschützen“einfielen und „3000 darniederliegende Bauern“zurückließen.
Ob Ulm oder Friedrichshafen, Biberach oder Salem – am Ende des Kriegs war alles „öd und verlassen, niedergemacht und ausgeplündert.“Was „Vormittag zu neun Uhren“mit fliehenden Frauen und Kindern wirklich geschah, muss nicht ausgeführt werden. Das „Happy End“trat nicht ein, denn „die Württemberger waren im Waffenhandwerk nicht geübt, die hatten keine Chance und es war eine ziemlich mörderische Schlacht.“Als Lösegeldforderungen und Brandschatzungen der Vergangenheit angehörten, gab es statt Ruhe „eine große Hungersnot, einen erschröcklichen Hagel“und außerdem war „durch Gottes augenscheinliche Straff ein neue Plag entstanden“.
200 Begräbnisse in 14 Tagen
Riesige Mäuse, die Lungenpest oder die spanische Grippe plagten nun die Region. „Im September 1635 wurden in Biberach innerhalb von 14 Tagen 200 Personen begraben, insgesamt sollen 1500 gestorben sein.“So zitiert Kurt Diemer und die Stille im Tanzhaus kann nicht mehr größer werden. Der Scherz, dass nur bei katholischen Toten ein „Ruhe in Frieden“angefügt worden sei, lässt kaum jemanden schmunzeln. Und dass in den Aufzeichnungen nur ein Mal der „Schwedentrunk“erwähnt wurde, ist auch nicht tröstlich. Für den Heimweg hat man nach all dem „Erschröcklichen“nämlich Kurt Diemers Schlusssatz im Ohr: „Der Mensch war schon immer erfinderisch, wenn es darum ging, andere Menschen zu quälen.“