Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Für Kiara ist es der erste Haarschnitt ihres Lebens
Mitglieder der Barber Angels Brotherhood schneiden Bedürftigen in der Wohnungslosenhilfe die Haare
SIGMARINGEN - Nach dem Schlachtruf geht es los: Sechs Friseurinnen der Barber Angels Brotherhood habenin der AGJ Wohnungslosenhilfe Sigmaringen alles für ihre Gäste vorbereitet. Innerhalb weniger Stunden werden büschelweise Haare fallen. Haarschnitte sind teuer und Haare wachsen schnell. Deswegen sind die Haarschneideengel mittlerweile im ganzen Bundesgebiet unterwegs, um Bedürftigen kostenlos die Haare zu schneiden. Gegründet wurden sie im November 2016 in Biberach. Mehr als 140 Friseure haben sich dem Verein angeschlossen und sind meist montags oder sonntags, dem „Wochenende“des Friseurhandwerks, unterwegs. Mehr als 3500 Obdachlosen und Bedürftigen haben sie bereits die Haare geschnitten.
Aus einem Aufenthaltsraum der AGJ wird am Montag kurzerhand ein provisorischer Friseursalon. Klar, Waschbecken zum Haarewaschen gibt es keine, doch die Barber Angels Corinna, Nici, Annabell, Claudia, Laura und Theresia haben Tricks auf Lager. „Manchmal benutzen wir Waschhauben“, sagt Corinna Spöcker aus Blochingen, die die Aktion organisiert. Sie ist Inhaberin des Salons Friseur im Trend in Bad Saulgau.
Heute tun es Trockenhaarschnitte. In der Ecke stehen Kosmetikprodukte, Zahnpasta, Lesebrillen – Produktspenden, die nach dem Haareschneiden an die Gäste verteilt werden. Es ist das erste Mal, dass die Barber Angels, die schwarze Lederwesten als Vereinskutte tragen, in Sigmaringen unterwegs sind. „Ich glaube, einen so kleinen Rahmen wie heute hatten wir noch nie“, sagt Spöcker, deren Vereins-Spitzname „Corona“ist. Gast-Angel Laura aus Meßkirch ist heute zum ersten Mal mit dabei. „Das ist mir eine Herzenssache. Ich will unbedingt Mitglied werden“, sagt die Friseurin.
Großer Zulauf
Binnen kürzester Zeit füllt sich der Raum. „Der Bart soll weg“, wünscht ein Gast. Ein anderer lässt sich seine Haare an der Seite auf drei Millimeter abrasieren. Die Frisur muss alltagstauglich sein und möglichst kurz. Denn all zu oft kommen die Besucher nicht in den Genuss eines Haarschnitts. Ein anderer Gast lehnt sich zurück, schließt die Augen und genießt.
„Das ist gigantisch, wie er da sitzt“, sagt Barber Angel Theresia, die sich Curly nennt, und die Szene aus einiger Entfernung beobachtet. „Da erfährt man Emotionen, die man gar nicht ausdrücken kann.“
Michaela, eine 29-jährige Mutter, ist zum ersten Mal bei den Barber Angels, ihr letzter Haarschnitt war im Juni. Sie kommt mit Freund und Tochter. Für die fast einjährige Kiara ist es der erste Haarschnitt ihres Lebens. Theresia passt auf die Kleine auf, während sich Michaela von Barber Angel Nicky einen modischen Stufenschnitt verpassen lässt. „Als Mutter hat man nicht immer das Geld für einen Friseurbesuch“, sagt sie. Nur für ihren dreijährigen Sohn und ihre Tochter bringt sie das Geld dafür auf, wenn es nötig ist. „Einmal habe ich meinem Sohn die Haare selbst geschnitten“, sagt sie. Das Ergebnis habe dem Kleinen aber nicht gefallen.
„Wir machen das genau so wie im Salon, sauber und präzise. Die Gäste sagen uns, was sie wollen und wir geben unser Bestes“, sagt Corinna Spöcker. Die Lebensgeschichte der Gäste spielt für die Barber Angels keine Rolle, und doch ist manches anders als in einem Salon, in dem die Kunden für einen Haarschnitt mehrere Scheine liegen lassen.
„Darf es noch eine Lesebrille sein?“, fragt Theresia einen älteren Gast, dem sie gerade eine kleine Geschenktüte zusammenpackt. „Gerne, meine hat nur ein Glas“, sagt der Herr, der sich über das frisch rasierte Gesicht fährt. Leider ist die gewünschte Sehstärke nicht dabei. Dafür gibt es ein Shampoo zum Mitnehmen. Und das „frisch-vom-Frisör-Gefühl“.