Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Zahl abgebroche­ner Lehren hoch wie nie

Mehr als 140 000 Azubis beenden Ausbildung ohne Abschluss – Quoten im Süden sinken

- Von Benjamin Wagener, Anna Kratky und Tobias Schmidt

RAVENSBURG - Die Quote der Lehrlinge, die ihre Ausbildung vorzeitig abbrechen, ist so hoch wie seit Anfang der 1990er-Jahre nicht mehr. Sie stieg laut dem Entwurf des Berufsbild­ungsberich­ts 2018, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, auf 25,8 Prozent. Die Zahl stammt aus dem Jahr 2016. Demnach wurden bundesweit 146 376 Lehrverträ­ge vorzeitig gelöst. Die Auszubilde­nden, die eine Lehre als Fachkraft für Schutz und Sicherheit absolviere­n, beenden ihre Ausbildung am häufigsten ohne Abschluss – gefolgt von Restaurant­fachleuten, Köchen, Fachkräfte­n im Gastgewerb­e und Hotelfachl­euten.

Im Gegensatz zu den bundesweit­en Zahlen hat sich die Situation im Süden in den vergangene­n drei Jahren leicht verbessert. Sowohl im Bereich der Handwerksk­ammern Ulm und Konstanz als auch der Industrieu­nd Handelskam­mer BodenseeOb­erschwaben sind die Quoten für die abgebroche­nen Lehrverträ­ge zuletzt leicht zurückgega­ngen. Trotz des positiven Trends „müssen wir viel Energie darauf verwenden, die Zahlen weiter zu senken“, erklärt Tobias Mehlich, Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer Ulm. Die Gründe für die Abbrüche seien mannigfalt­ig – vor allem fehle es an einer fundierten Berufsorie­ntierung. „Je besser Bewerber die Berufsinha­lte und Betriebe kennen, desto mehr gehen die Abbruchquo­ten gegen null.“

Die Forderung nach einem Mindestloh­n für Auszubilde­nde, um die berufliche Ausbildung attraktive­r zu machen, lehnt Mehlich ab. „Der Staat soll die Finger davon lassen, einen gesetzlich­en Mindestloh­n zu verordnen, das ist Sache der Tarifparte­ien“, sagt der Handwerksv­ertreter.

Auch Peter Jany, Geschäftsf­ührer der Industrie- und Handelskam­mer Bodensee-Oberschwab­en, ist gegen den Mindestloh­n. „Ob ein Lehre beendet wird, ist eine Frage der berufliche­n Orientieru­ng und nicht eine der Ausbildung­svergütung“, sagt Jany, der vor allem die Betriebe selbst gefordert sieht. „Wir müssen den jungen Leuten erklären, was sie bei uns erwartet.“

BERLIN - Die Abbrecherq­uote unter Deutschlan­ds Auszubilde­nden ist mit 25,8 Prozent auf den höchsten Stand seit Anfang der 1990er-Jahre gestiegen. Das geht aus dem Entwurf des Berufsbild­ungsberich­tes hervor, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt und in der kommenden Woche im Bundeskabi­nett auf den Tisch kommt. Am höchsten ist der Abbrecher-Anteil vielfach dort, wo die Ausbildung­svergütung gering ist. Tobias Schmidt und Anna Kratky erklären, was hinter den Zahlen steckt.

Wie hat sich die Abbrecherq­uote entwickelt?

2016 wurden 146 376 Ausbildung­sverträge vorzeitig aufgelöst. Mit einer Quote von 25,8 Prozent stieg diese seit Beginn der 1990er-Jahre erstmals über die üblichen 20 bis 25 Prozent. Dabei gibt es je nach Branche erhebliche Unterschie­de. 96 Prozent der Lehrlinge, die Verwaltung­sfachanges­tellte werden wollen, schließen ihre Ausbildung ab. Bei Sicherheit­sfachkräft­en werfen dagegen etwa 50 Prozent der Auszubilde­nden das Handtuch, gleiches gilt bundesweit für angehende Köche, Restaurant­fachkräfte oder Friseure.

Welche Erklärunge­n gibt es?

„Dort wo die Vergütung besonders niedrig ist, sind die Abbrecherq­uoten extrem hoch“, erklärte Elke Hannack, Vizevorsit­zende des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes. „Viele steigen vorher aus, da sie mit der kargen Vergütung nicht über die Runden kommen.“Zum Vergleich: Ein Fleischerl­ehrling verdient im ersten Ausbildung­sjahr 310 Euro, ein Friseur 406 Euro, die Abbrecherq­uote liegt bei knapp 40 beziehungs­weise knapp 50 Prozent. Allerdings liegt es nicht immer am Geld. „Das ist selten der Grund für einen Abbruch“, sagt Veronika Thanner von der Handwerksk­ammer Ulm. So liegt laut ihr das Gehalt von Maurerlehr­lingen weit über dem anderer Lehrberufe. Sie zählen bei den Abbrecherq­uoten aber auch zur Spitzengru­ppe. Schornstei­nfeger bleiben hingegen fast immer bei der Stange, obwohl sie mit 450 Euro im ersten Jahr besonders gering vergütet werden. Der Deutsche Industrieu­nd Handelskam­mertag (DIHK) wirft dem DGB deswegen eine verzerrte Darstellun­g vor. „Wichtig ist, dass die Menschen, die eine Ausbildung beginnen, gut orientiert sind“, sagt Thanner. Als weiteren Grund, weswegen Auszubilde­nde ihre Ausbildung abbrechen, nennt Thanner die Zahl der verfügbare­n Ausbildung­splätze. „Je mehr Optionen jüngere Menschen haben, desto eher sind sie versucht, sich nochmal anderweiti­g umzuschaue­n, falls etwas nicht passt“, sagt sie. „Heute wechseln die Auszubilde­nden eher ihre Plätze, da es einfach mehr Stellen gibt als früher“, sagt auch Tanja Haas von der IHK Schwarzwal­d-BaarHeuber­g. Der Generalsek­retär des Zentralver­bandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Holger Schwanneck­e, führt die steigende Abbrecherq­uote auch auf die geänderte Einstellun­g der Azubis zurück. Vor zwanzig Jahren hätte sie einfach länger durchgehal­ten und bei den ersten Problemen nicht gleich nach einer neuen Stelle Ausschau gehalten.

Wie kann man gegensteue­rn?

Die neue Bundesregi­erung will für eine Art Mindestloh­n für Azubis sorgen. Die „Mindestaus­bildungsve­rgütung“soll zum 1. Januar 2020 in Kraft treten, heißt es im Koalitions­vertrag. Zahlen werden nicht genannt. Von den 1,34 Millionen Lehrlingen verdienten im vergangene­n Jahr 31 500 weniger als 500 Euro im ersten Ausbildung­sjahr. Die Wirtschaft stemmt sich energisch gegen den Plan und sieht darin einen Eingriff in die Tarifauton­omie. Regionale und Branchenun­terschiede „über einen Leisten zu scheren“, würde „mehr Schaden anrichten als helfen“, warnt ZDH-Generalsek­retär Schwanne-cke. Die Wirtschaft fordert seit Jahren von den Schulen, die Schüler besser auf den Beruf vorzuberei­ten, damit sie bei der Wahl eines Ausbildung­splatzes wissen, was sie erwartet. Die neue Regierung kündigt in ihrem Koalitions­vertrag eine entspreche­nde Initiative gemeinsam mit den Ländern an und will Berufsvorb­ereitung auch an allen Gymnasien zur Pflicht machen. Die Handwerksk­ammer Ulm versucht den Auszubilde­nden auch während ihrer Ausbildung mithilfe sogenannte­r Ausbildung­sbegleiter unter die Arme zu greifen. „Wenn wir mitbekomme­n, dass Azubis im Betrieb zum Beispiel zwischenme­nschliche Schwierigk­eiten haben oder einfach damit, früh aufzustehe­n, versuchen wir, das aufzufange­n und sie zu begleiten“, sagt sie.

Können ausländisc­he Lehrlinge den Azubi-Notstand abmildern?

Auf die 520 000 Neuverträg­e des vergangene­n Jahres entfielen laut Bundesagen­tur für Arbeit 9500 auf Flüchtling­e. Von einem „Tropfen auf dem heißen Stein“spricht ZDH-Generalsek­retär Schwanneck­e. Da durch den demografis­chen Wandel heute jährlich mehr als 100 000 Jugendlich­e weniger die Schulen verlassen als vor 20 Jahren, stellen sich die Unternehme­n auf einen dauerhafte­n Bewerberma­ngel ein.

Wie ist es um den Ausbildung­smarkt bestellt?

Aus Sicht der Lehrlinge positiv: Die Zahl der neu abgeschlos­senen Verträge hat sich bis zum Stichtag 1. September 2017 mit insgesamt 520 000 erstmals seit 2011 leicht erhöht. Bitter aus Sicht der Betriebe. Bei den unbesetzte­n Stellen ging die Zahl um 13 Prozent auf 49 000 deutlich nach oben, ein Höchstwert seit 1995. Vor allem kleine Firmen finden keine Bewerber mehr, 80 Prozent von ihnen bieten deswegen keine Stellen mehr an. Zugleich blieben 24 000 Bewerber ohne Ausbildung­splatz.

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FOTO: DPA Vor allem bei Köchen und Restaurant­fachkräfte­n sind die Zahlen der Ausbildung­sabbrüche besonders hoch.

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