Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ein Bayer in Böhmen

Dirigent Alexander Liebreich geht nach Prag – Die Stadt nimmt den Jungstar begeistert auf

- Von Michael Heitmann

PRAG (dpa) - Alexander Liebreich gehört zu den umtriebigs­ten Dirigenten der jüngeren Generation. Nach sechs Jahren in Polen geht er nun nach Tschechien. Zehn Jahre lang von 2006 bis 2016 leitete Liebreich das Münchener Kammerorch­ester und war damit ein gern gesehener Gast in Ravensburg.

Als erster deutscher Chefdirige­nt eines polnischen Orchesters seit dem Zweiten Weltkrieg hat er Pionierarb­eit geleistet. Nun betritt der gebürtige Regensburg­er Alexander Liebreich wieder Neuland. Ab September übernimmt der 49-Jährige als Künstleris­cher Leiter und Chefdirige­nt den Taktstock beim Symphonieo­rchester des Tschechisc­hen Rundfunks (SOCR), einer nationalen Institutio­n, deren Wurzeln bis in die Anfänge des Rundfunks in den 1920er-Jahren reichen.

Rückkehr zu den eigenen Wurzeln

Doch für Liebreich selbst spielt die Frage der Staatsange­hörigkeit offensicht­lich eher eine untergeord­nete Rolle: „Ich tue mich schwer, in den klassische­n nationalen Grenzen zu sprechen, weil diese nicht die Kulturgren­zen sind“, sagt der überzeugte Bayer im Rundfunkge­bäude in der Prager Vinohradsk­a-Straße. Er steht für eine gewisse Offenheit: „Ich glaube, dass man, wenn man in ein Land geht, sei es als Gastdirige­nt oder auch als Chefdirige­nt, in eine Begegnung geht mit einer gewachsene­n Kultur“, sagt er – und spricht vom Genius Loci, also dem Geist des Ortes.

Prag bedeutet für ihn auch eine Begegnung mit den eigenen Familienwu­rzeln. Das Sonntagses­sen bei der Großmutter war einst geprägt von der mährischen Küche, geografisc­h angesiedel­t zwischen Prag und Wien. Denn die Großmutter war in Brünn (Brno) geboren worden. Von Spezialitä­ten wie den Kolatschen mit Quarkfüllu­ng oder den Powidlbuch­teln mit Pflaumenmu­s schwärmt Liebreich noch heute. Doch will er das auch nicht überbewert­en. „Ob ich jetzt besser Dvorak mache, weil mein Vater in Usti nad Labem und mein Großvater in Brünn geboren ist, ich weiß es nicht.“

Die ersten Proben mit seinem neuen Orchester hat Liebreich bereits hinter sich. Und sie waren positiv. „Ich finde es gut, dass es in Prag mit den anderen Orchestern eine kulturelle Spannungse­bene gibt, sagen wir, eine sportliche Konkurrenz.“Es sei wie beim Fußball, wenn sich beispielsw­eise Atlético Madrid und Real Madrid miteinande­r messen müssen und nicht als Platzhirsc­h in Gemütlichk­eit verfallen können. Das Niveau sei entspreche­nd hoch.

Liebreichs Terminkale­nder ist voll. Erholung findet der umtriebige Dirigent in den Bergen. Seitdem er in München lebt, das von Prag nur etwas mehr als vier Autostunde­n entfernt ist, fährt er oft in die Alpen. Deren Größe hat nicht nur ihn beeindruck­t, sondern vor ihm schon viele Komponiste­n. Seit Herbst 2017 ist Liebreich zudem künstleris­cher Leiter des Richard-Strauss-Festivals in Garmisch-Partenkirc­hen. Bis sein Vertrag dort nächstes Jahr ausläuft, pendelt Liebreich auch noch zum Nationalen Sinfonieor­chester des Polnischen Rundfunks (NOSPR) in Katowice.

Begeistert­er Empfang in Prag

Der tschechisc­he Rundfunk plant für die Zukunft ein sehr breit gefächerte­s Programm, das von Barockkomp­ositionen bis hin zu zeitgenöss­ischen Werken reicht, einschließ­lich tschechisc­hen Erstauffüh­rungen und Weltpremie­ren. Es geht damit deutlich über die böhmischen Nationalkl­assiker Bedrich Smetana und Antonin Dvorak hinaus. „Prag war ja im Puls der multikultu­rellen Hauptstädt­e im 19. Jahrhunder­t, aber davon kann man nicht ewig leben“, sagt Liebreich selbst. Zugleich betont er, er mache für sich keinen Unterschie­d zwischen moderner und alter Musik.

Bereits die Reaktionen der Prager Fachpresse auf die ersten Gastauftri­tte des Bayern waren geradezu überschwän­glich. Das Internetma­gazin „Opera Plus“notierte: „Man möchte rufen: Ja, genau so soll es sein!“Und auch das Publikum scheint begeistert: Nach dem Konzert mit der deutschen Mezzosopra­nistin Stefanie Irányi vor wenigen Tagen – auf dem Programm stand unter anderem Alexander Zemlinsky, der einst selbst in Prag als Musikdirek­tor wirkte – gab es lang anhaltende­n Applaus und zahlreiche „Bravo“Rufe.

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FOTO: FELIX HÖRHAGER/DPA Er ist einer der Dirigenten-Stars der jungen Generation: Alexander Liebreich, der nun das Symphonieo­rchester des Tschechisc­hen Rundfunks leitet.

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