Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Fruchtgenuss im Glas
Mehr Geschmack in der Flasche als bei einem echten Obstbrand ist kaum möglich
BONN (dpa) - Obstbrände sind an der Bar nicht so hip wie Gin oder Wodka. Doch Kenner schwärmen von der geschmacklichen Vielfalt der fruchtigen Destillate. Weil praktisch jede Obstsorte gebrannt werden kann, ist die Angebotspalette immens. Als Digestif nach dem Essen gern genommen, sind Edelbrände im Cocktail eher unbekannt. Dabei könnte es ruhig mal ein Williams Sour oder ein Schlehen-Negroni sein.
Gemessen an anderen Spirituosen wie Wodka, Whisky oder Rum führen Obstbrände ein Nischendasein. Ihr Anteil am Gesamtmarktangebot lag 2016 bei 5,9 Prozent, berechnete der Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie. Wodka kam dagegen auf 16,9 und Korn oder andere klare Spirituosen auf 14,8. Nur Liköre lagen mit 26,3 Prozent noch weiter vorn.
Fruchtige Destillate spielen jedoch in Süddeutschland schon immer eine größere Rolle als im Norden, sagt Harald Brugger vom Bundesverband der Obstverschlussbrenner in Freiburg. Denn die Wiege des Obstbrennens liegt im alemannischen Raum. Die Verwertung von Obst über die Brennblase hat dort eine lange Tradition.
Das große Angebot an Kirschen, Zwetschgen und anderem Steinobst sowie Äpfeln und Birnen im südlichen Rheintal und an den Ausläufern des Schwarzwalds brachte die Obstbauern dazu, Fruchtiges in Alkoholisches zu verwandeln.
Landwirtschaftliche oder Weinbaubetriebe dürfen im Nebenerwerb bis zu 300 Liter Alkohol im Jahr brennen. Gefühlt gibt es in Süddeutschland an jeder Ecke eine Kleinbrennerei. Derzeit seien es rund 18 000, klärt Brugger auf. Aus ihren Brennblasen fließen neben preisgünstigem Obstler – einem Brand aus Äpfeln und/ oder Birnen – auch rare Spezialitäten wie etwa Zibärtle aus einer Wildpflaume.
Aber auch anderswo gewinnen Destillate aus Früchten zunehmend Freunde. „In Norddeutschland sind Obstbrände inzwischen auch als Digestif bekannt“, sagt Brugger.
Was sich ebenfalls verändert hat, ist für Brenner Hubertus Vallendar aus Kail an der Mosel die Frage der Qualität: „Die Bewusstseinsänderung, die wir seit einiger Zeit erleben, ist bemerkenswert.“Auch junge Leute interessierten sich bei Spirituosen für Qualität, auch bei Obstbränden.
Für Einsteiger sei die Qualität in der Flasche allerdings nicht leicht zu erkennen, moniert der Experte. „Der Verbraucher kann sich nur schützen, indem er sich im Wust der gesetzlichen Bestimmung auskennt.“
Standard fehlt
Das kritisiert auch Thomas Weinberger von der Destillerie Lantenhammer im bayerischen Hausham am Schliersee und preisgekrönter Barkeeper. „Es gibt für Edelbrände keinen internationalen Standard wie etwa für Whisky oder Cognac.“Nur Eingeweihte könnten bisher qualitativ Hochwertiges von minderwertigem Schnaps unterscheiden. Da sei beim Endverbraucher noch viel Aufklärungsarbeit erforderlich.
Ein alkoholisches Getränk aus Obst kommt entweder als Brand, Wasser, Geist, Schnaps oder Spirituose in die Flasche. Bei Bränden, auch Obstwässer genannt, werden die Früchte eingemaischt, vergoren und anschließend destilliert. Der Alkohol wird zu 100 Prozent aus dem Zucker des Obstes gewonnen.
Auch zuckerarmes Beerenobst wie Himbeeren, Brombeeren oder Wildbeeren fließt als edler Brand ins Glas. Meist wird es jedoch „vergeistet“. Das heißt, unvergorene Früchte werden mit neutralem Alkohol angesetzt, destilliert und etwa als Himbeeroder Brombeergeist verkauft.
Experte Brugger rät beim Einkauf: „Schauen Sie sich das Etikett genau an und lassen Sie sich von schönen Fruchtabbildungen nicht täuschen!“Schnäpse, die nicht den Vorgaben für echte Obstbrände entsprechen, müssen als „Spirituose“bezeichnet werden.
Ein Edelbrand darf dagegen nicht aromatisiert sein. Ohne Zusatzstoffe sollte er nach der Frucht riechen und schmecken. Auch darf er nicht verschnitten sein, also nicht mit Alkohol anderer Art versetzt sein. Er muss mindestens 37,5 Prozent Alkoholgehalt haben. Bei einer Herkunftsbezeichnung wie „Schwarzwälder“müssen es sogar 40 Prozent und mehr sein.
Fruchtigen Bränden können jedoch bis zu 10 Gramm Zucker pro Liter Alkohol zugesetzt werden. Diese Methode, den Geschmack der Destillate abzurunden, ist bei etlichen Brennern verpönt. Sie wollen die Weichheit des Getränks ausschließlich über die Rohware und gekonntes Destillieren erreichen. Schlägt der Nase allerdings ein Fuselton entgegen, ist etwas schiefgelaufen.
Denn die Kunst eines Brenners wie Hubertus Vallendar besteht darin, beim Destillieren das „Herzstück“, also den Mittellauf, vom Vorund Nachlauf abzuscheiden. Der Mittellauf enthält die typischen Aromaund Geschmacksstoffe, die den Charakter eines Obstbrandes ausmachen - und nicht etwa störende Fuselöle wie im Vor- und Nachlauf.
Für ein intensives Aroma braucht es eine Menge Früchte, was auch den Preis der Flasche bestimmt. „Zum Beispiel brauche ich beim Williams 120 Kilogramm Williamsbirnen für rund vier bis fünf Liter Alkohol. Bei Himbeeren bekomme ich aus der gleichen Menge maximal zwei Liter Alkohol“, berichtet Vallendar.
„Auch an der Bar muss erklärt werden, was mit Obstbränden möglich ist“, sagt Barkeeper Weinberger. Er mischt etwa einen Willi Sour aus 5 Zentiliter Williamsbrand, 3 Zentiliter frisch gepresstem Zitronensaft und 2 Zentiliter Zuckersirup und serviert ihn mit Eiswürfeln. Oder einen Schlehen Negroni aus SchlehenGeist, Campari und Wermut.
Wer seinen Obstbrand pur trinkt, dem empfiehlt Vallendar eine Trinktemperatur von 18 Grad. Aber nur in einem tulpenförmigen Glas, das sich in der Mitte verengt und nach oben wieder weitet, habe das Fruchtaroma gegen den Alkohol eine Chance. Und bitte nicht kippen, sondern Schluck für Schluck genießen!
Literatur: Axel und Bibiana Behrendt: Obstbrände. Der Guide für Kenner und Genießer. Wilhelm Heyne Verlag. ISBN 103453097556; nur noch antiquarisch.