Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„’68 war gar nicht so bunt“
Das Museum Biberach bereitet eine Sonderausstellung zur 68er-Generation vor
BIBERACH - 1968 gilt nicht nur weltweit als Jahr des Umbruchs, auch im kleinen Biberach sorgten die „68er“mit ihren Protesten und Aktionen für Aufsehen. Das Museum Biberach widmet diesem Thema deshalb vom 12. Mai bis 14. Oktober eine Sonderausstellung. Mit deren Vorbereitung ist Museumsleiter Frank Brunecker derzeit beschäftigt.
„Obwohl Biberach keine Universitätsstadt ist und fernab der 68er-Protestzentren Berlin oder Frankfurt lag, kam es in dieser kleinen Stadt doch zu einer Serie von harten Konflikten“, erklärt Brunecker den Beweggrund, warum sich ein lokales Museum dieser globalen Thematik widmet. Die etablierte Stadtgesellschaft habe sich herausgefordert gesehen durch eine relativ kleine Gruppe von Schülern und Studenten. „Es kam zu Auseinandersetzungen über Sitte, Moral, Anstand und Benimm in einem Ausmaß, wie es Biberach bis dahin nicht kannte“, sagt Brunecker.
Demonstrationen habe es zwar auch in Ravensburg, Friedrichshafen oder Lindau gegeben, in Biberach seien es aus Bruneckers Sicht aber „zwei biografische Zufälle“gewesen, die dem Protest eine stärkere Note verliehen hätten. „Es waren Ekke Leupolz und Martin Heilig, die als Studenten, beide um die 30, wieder in ihre Heimatstadt Biberach zurückkamen und hier eine Art Initialzündung bei einer Gruppe von Jugendlichen auslösten.“
So kam es am 22. April 1968 zu Protesten bei einer Kundgebung des damaligen Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger auf dem Biberacher Marktplatz. Eine Gruppe aus Biberach war am 11. Mai 1968 bei der Demo gegen die Notstandsgesetze in Bonn mit dabei. Auf dem Marktplatz fand am 14. Mai ein Teach-in statt und die Schülerzeitung „Venceremos“sorgte mit einem gezeichneten Penis auf dem Titelblatt 1969/70 für den sogenannten Porno-Prozess am Biberacher Amtsgericht, begleitet von einer Demonstration.
Brunecker ist vor allem beeindruckt vom Mut der jungen Leute, die damals aufbegehrten: „Viele davon waren Schüler, die kurz vor dem Abitur standen. So etwas hat es nach 1970 nicht mehr gegeben.“Viele davon hätten diesen Mut wohl aus der weltweiten Protestbewegung zu dieser Zeit geschöpft. „Sie waren der Ansicht: Wir sind auf der richtigen Seite.“In der Folge sei in der Bundesrepublik ja auch einiges in Bewegung gekommen, darunter die Friedens-, die Umwelt- oder auch die Frauenbewegung. „Davon leben wir bis heute“, so Brunecker.
Mitschnitt der Kiesinger-Rede
Die Sonderausstellung will die Biberacher Ereignisse der Jahre 1968 bis 70 in den nationalen und internationalen Kontext einordnen. So gibt es mehrere Exponate mit lokalem Bezug zu sehen. Darunter die Acht-Millimeter-Filmkamera des Biberachers Manfred Radtke, mit der er den Kiesinger-Auftritt filmte. Von Kiesingers Rede und den Protesten hat das Biberacher Museum kürzlich auch einen achtminütigen Mitschnitt aus dem Archiv des Bayerischen Rundfunks erhalten. „Das ist ein tolles Dokument, das uns da zur Verfügung steht, und das wir im Rahmen der Ausstellung zeigen wollen.“
Weitere Filme gebe es zum Beispiel vom „Schmierfestival“, das Martin Heilig auf dem Marktplatz veranstaltet habe, aber auch von anderen nationalen und internationalen Ereignissen. Außerdem sind auch Zeichnungen und Bilder von Martin Heilig in der Ausstellung zu sehen. Natürlich spielt auch die Musik der später 60er eine Rolle.
Auch Kleidungsstücke von Biberachern aus dieser Zeit zeigt das Museum, darunter eine lilafarbene Bluse („Made in India“) und eine Shorts aus Kunstfaser, die eine Leihgeberin für die Ausstellung zur Verfügung gestellt hat. Die bunten Farben dieser Teile dürfe jedoch nicht über die Realität hinwegtäuschen. „’68 war gar nicht so bunt, wie es im Nachhinein dargestellt wird“, sagt Brunecker. Dies zeigten auch die Fotos. „Die Jungs hier haben keine Jeans getragen, sondern Stoffhosen und Jacketts und die Mädchen hatten Kostüme an. Das war alles noch weit entfernt von den knalligen Farben, die erst die 70er-Jahre mit sich brachten.“
In der Vorbereitung zur Ausstellung hat Brunecker mit vielen Zeitzeugen gesprochen, und hat sich Sachverhalte immer von mehreren Seiten bestätigen lassen. „Erinnerungen können sich im Lauf der Zeit auch verändern, und was mir nicht aus unterschiedlichen Quellen zweifelsfrei bestätigt wurde, taucht auch nicht in der Ausstellung auf“, sagt er. So äußert er beispielsweise seine Zweifel an der immer wieder erzählten Episode, derzufolge der damalige Biberacher OB Claus-Wilhelm Hoffmann das Goldene Buch der Stadt am 22. April wieder habe wegtragen lassen, als es bei der Kiesinger-Kundgebung zu Protesten kam. „Es gibt darin keine Seite, die für Kiesinger vorbereitet war, insofern glaube ich nicht so recht an diese Erzählung.“
Ein Video über die Ausstellungsvorbereitungen gibt es unter