Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Von der Kuh direkt in die Flasche
Familie Egle eröffnet am Samstag eine „Milchtankstelle“mit Rohmilch und Rohmilchkäse
HAILTINGEN - Der „Laurenzenhof“von Franz Egle im Dürmentinger Teilort Hailtingen ist ein „traditioneller, uralter Familienbetrieb“. Was den Milchbauern aber nicht davon abhält, neue Wege zu gehen. Als der ehemals gekieste Hofraum gerichtet und mit modernem Pflaster belegt wurde, musste der alte Hausgarten weichen: einer „Milchtankstelle“, die am Samstag ab 11 Uhr offiziell eingeweiht wird. An den Automaten gibt es rund um die Uhr etwas, was in keinem deutschen Ladenregal zu finden ist: Rohmilch und Käse aus unbearbeiteter Milch.
Egle bezeichnet sich selbst als „überzeugten Rohmilchtrinker“– als solcher würde er auch nie Milch abkochen. Üblicherweise muss Milch mehrere Bearbeitungsschritte durchlaufen, ehe sie in den Handel gebracht werden darf. Sie wird gereinigt, entrahmt, unter hohem Druck homogenisiert und schließlich wärmebehandelt. Sinn der Prozedur ist vor allem die Abtötung von Keimen, die Milch wird dadurch haltbar gemacht. Für Egle ist das, was am Ende übrigbleibt, nur noch „weißes Wasser“. Denn klar ist auch: Durch die Erhitzung auf bis zu 75 Grad Celsius im Pasteurisierverfahren werden nicht nur Keime abgetötet, sondern auch Inhaltsstoffe wie Mineralstoffe, Vitamine, Omega-3Fettsäuren und Eiweiße, unter anderem Latctoferrin. Letzterem wird eine signifikante antibakterielle und immunologische Wirkung zugesprochen, weshalb es im Rahmen der Bearbeitung aus der Milch separiert wird und in der pharmazeutischen Industrie auf großes Interesse stößt.
In der Rohmilch hingegen sei „alles drin“, sagt Franz Egle – „einschließlich der Keime“. Das sei nicht zu vermeiden, schließlich werde sie „erzeugt und gewonnen in einem nicht sterilen Raum“. So etwas erfordere besonderes Vertrauen in den Landwirt. Das A und O sei die Sauberkeit und Gesundheit im Stall. Wichtig sei außerdem: „Die Kühlkette muss stimmen“. Ein Milieu von über vier Grad Celsius sollte der Milch nicht zugemutet werden. Verkauft werden darf unbehandelte Rohmilch nur direkt ab Stall an den Verbraucher – und nur mit dem Hinweis, dass die Rohmilch innerhalb von drei Tagen zu verzehren ist, bei vier bis fünf Grad Celsius gelagert werden muss und vor dem Verzehr abgekocht werden sollte. „Das sind Vorgaben, weil es unterschiedliche Qualitäten gibt.“Risikogruppen wie Kleinkindern oder geschwächten älteren Menschen wird der Konsum von Rohmilch grundsätzlich nicht empfohlen.
Aus seiner Rohmilch hat Egle jetzt einen Käse machen lassen. Dafür kommt Christian Merk aus Kümmerazhofen mit seiner mobilen Käserei in Hailtingen vorbei, einem Laster, in dem alles enthalten ist, was zur Käseherstellung nötig ist. Am Stall füllt er die beiden Kessel, die je 800 Liter fassen, mit Rohmilch. An einem Tag kann er so 160 Kilogramm Käse machen.
Nach einer mehrwöchigen Reifungszeit in Merks Lager kommen die fertigen Käselaibe zurück: Tilsiter und Bergkäse. Zusätzlich können Gewürze und Kräuter beigemischt werden. Käser und Bauer sind jedenfalls zufrieden mit dem ersten Ergebnis. Vakuumverpackt gibt es den Rohmilchkäse auch an der „Milchtankstelle“, neben weiteren regionalen Erzeugnissen wie Eiern aus Freilandhaltung, Nudeln, Honig und Wurst.
Viel Geld hat Franz Egle in die Verkaufsautomaten gesteckt – und in das „Buswartehäuschen“, wie manche Anwohner spotten. Aber auch in den Boxenlaufstall, mit dem er vor 20 Jahren aus der Ortsmitte teilausgesiedelt ist, hat er investiert. Im Ort ist nur noch der „Kindergarten“für die Kälber, das Jungvieh wurde ausgelagert in einen Partnerbetrieb, wodurch im Boxenlaufstall reichlich Platz geschaffen wurde für 90 Tiere. Jede Kuh hat ihren Fress- und strohgedeckten Liegeplatz, was sehr aufwendig sei: „Man muss ihnen jeden Tag zwei Mal das Bett richten.“Die Laufgänge, die automatisch entmistet werden, sind mit Matten gedämpft, was für die Kühe angenehm ist, aber auch regelmäßige „Pediküre“erfordere. Die Tiere können jederzeit in den Hof, und gerne würden von ihnen die automatischen Massagebürsten genutzt.
Olivenöl statt Palmfett
Egle ist überzeugt, dass seine Tiere, die er seine „Mitarbeiterinnen“nennt, auch ohne Weide glücklich sind. Das zeige ihr ausgeglichenes Verhalten und der ausgezeichnete Allgemeinzustand. Nur im Stall habe der Landwirt unter Kontrolle, was und wieviel jede Kuh frisst. Das Futter bestehe zu 90 Prozent aus eigener Produktion, Gras- und Maissilage. Als Eiweißergänzer werde ausschließlich europäisches, gentechnikfreies Futter zugekauft – seit zehn Jahren, noch bevor es Mode wurde.“Und statt Palmfett gibt es das teurere Olivenöl. Die lohnen es mit hoher Milchleistung. Auf gut 130 000 Liter habe es die älteste Kuh in ihren fast elf Lebensjahren gebracht. „Das sagt über die Qualität im Stall viel aus“, betont Egle. „Wir kommen nicht ohne Antibiotika aus“, räumt Egle ein: „Aber nur zusammen mit dem Tierarzt und nicht prophylaktisch“. Ansonsten ist Egle ein Anhänger der homöopathischen Tierheilkunde: „Das ist mein Steckenpferd.“
Seine „Turbo-Kühe“sind der ganze Stolz von Franz Egle. Mit der Herdenleistung gehört er landesweit zu den Spitzenreitern. 900 000 Liter Milch habe er im vergangenen Jahr vorkauft. Der größte Teil geht an die Edelweiß-Molkerei in Kempten. Derzeit ist eine Erweiterung neben dem Bestand geplant. Rund eine Million Euro will Egle investieren. Und auch Sohn Maximilian, der Mitgesellschafter in der GbR ist, hat Pläne: Er will mit einem Melkroboter aufrüsten.
Ein Video über die Milchtankstelle sehen Sie unter www.schwaebische.de