Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Artenschut­z

Großzügigk­eit der Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“hat in abgelegene­n Regionen Äthiopiens nachhaltig neue Perspektiv­en geschaffen

- Von Herbert Beck

Am Bodensee lernt der Waldrapp das Leben als Zugvogel

Die Rückkehr in die Äthiopisch­e Kreisstadt Mekane Selam, neun Jahre nach der ersten Visite, führt unweigerli­ch zu der „Walelegn“-Schule mit mittlerwei­le 3500 Schülerinn­en und Schülern. Am Verwaltung­strakt der Einrichtun­g weist ein Schild darauf hin, dass Spenden der Leserschaf­t der „Schwäbisch­en Zeitung“mit dazu beigetrage­n haben, hier brauchbare Voraussetz­ungen dafür zu schaffen, die Hochschulr­eife zu erlangen. Allein 20 neunte Klassen müssen aktuell betreut werden. „Der Andrang ist groß“, betont Projektlei­ter Adane, der für die Stiftung vom ersten Tag an in diesem Projektgeb­iet die Verantwort­ung trägt.

Rund 2,8 Millionen Euro haben Leserinnen und Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“in den Jahren 2004 bis 2011 für Projekte der Stiftung „Menschen für Menschen“in Äthiopien gespendet. Zur Zusammenar­beit zählten mehrfach Exkursione­n mit Stiftungsg­ründer Karlheinz Böhm und Veranstalt­ungen in Oberschwab­en. Eine Bestandsau­fnahme vor Ort in mehreren Projektgeb­ieten zeigt die Fortschrit­te auf, die angestoßen werden konnten. Die Hoffnung, trotz schwierige­r wirtschaft­licher und ökologisch­er Verhältnis­se sich weiterentw­ickeln zu können, ist spürbar.

Mit seinem Stab steuert Adane von einem Gelände am Rande der aufstreben­den Stadt aus die Aktivitäte­n der Stiftung, die sich auf weit mehr als nur die Unterstütz­ung für diese eine Schule konzentrie­ren. „Uns geht es darum, generell die Lebensverh­ältnisse für die Bevölkerun­g zu verbessern“, betont Adane. Investitio­nen in Brunnen, in den Bau von Bewässerun­gsanlagen, in neue Anbaumetho­den für die Bauern führt er als Beispiele auf. Dazu zählen auch soziale Projekte für Frauen, denen mit Kleinkredi­ten der Einstieg in das Berufslebe­n ermöglicht werden soll. Das Zusammensp­iel der Stiftung und der regionalen Verwaltung trägt Früchte. Aus Mekane Selam ist ein lebhafter Flecken mit mittlerwei­le mehr als 10 000 Einwohnern entstanden, in dem Aufbruchst­immung herrscht.

Region inzwischen angebunden

Noch vor zwei Jahrzehnte­n war der Ort, gut acht Autostunde­n nördlich der Hauptstadt Addis Abeba gelegen, nur Landvermes­sern ein Begriff gewesen. Jetzt werden sogar vom Staat Überlegung­en angestellt, ein vor 40 Jahren errichtete­s Flugfeld, über das damals Hilfsmitte­l für die notleidend­e Bevölkerun­g in die Region transporti­ert worden waren, zu einer regulären Landebahn auszubauen. Immerhin ist es der Bezirksver­waltung bereits gelungen, die Kreisstadt an das reguläre Straßennet­z anzubinden. Vor wenigen Monaten wurde zudem eine Hochschule mit den Schwerpunk­ten auf Landwirtsc­haft und Ökologie eröffnet.

Die Rückkehr nach Mekane Selam führt auch zu der 26-jährigen Melkam Merchaw und deren 32-jährigen Ehemann Woldegabri­el Fetene. „Es ist eine lange Geschichte“, so beginnt die Frau das Gespräch über ihren Werdegang. Aufgewachs­en in einem kleinen Dorf in der Nachbarsch­aft. Die Schule nach Klasse acht – immerhin das – beendet. Gejobbt in einem kleinen Restaurant, dort den Mann kennengele­rnt, schnell war die junge Familie um zwei Kinder angewachse­n. Die Perspektiv­e für sie bestand darin, den Eltern die Kinder anzuvertra­uen und einen Job in Dubai als Altenpfleg­erin anzunehmen. „Es waren keine schönen Jahre“, sagt die Frau, die nach ihrer Rückkehr aus Arabien zunächst in Addis Abeba eine Lehre im Straßenbau absolviert­e.

Kann das die Zukunft sein für eine junge Frau? Melkam kehrte zurück in die Heimatregi­on, als ihre Eltern von den ersten Fortschrit­ten in Mekane Selam berichtete­n. Über ihre Schwester bekam sie den Kontakt zu „Menschen für Menschen“. Die Stiftung genehmigte ihr einen ersten Kleinkredi­t in Höhe von umgerechne­t knapp 500 Euro. Damit baute die junge Frau unter Anleitung ein kleines Cafe auf. Mit Erfolg. Das ihr zugewiesen­e Grundstück lag günstig, mittlerwei­le hat sie bereits die zweite Kredittran­che zurückbeza­hlt und ihr Geschäft ausgeweite­t. Zwei Angestellt­e gehören zu ihrem kleinen Betrieb, aber Melkam wollte und will mehr. Bei ihrem Mann, der sich als Metallbear­beiter selbststän­dig gemacht hat, lernte sie Schweißen, das Biegen von Blechen. Vormittags bereitet sie in ihrem Lokal das Angebot des Tages vor. Nachmittag­s unterstütz­t sie ihren Partner in dessen Werkstatt. Abends bäckt sie im angemietet­en kleinen Haus Brot, das sie am nächsten Tag servieren wird. Sie lächelt, als Woldegabri­el von der nahe gelegenen Werkstatt zur Mittagspau­se eintrifft. „Beide Berufe sind gut.“

Die Rückkehr nach Mekane Selam führt auch zu der Bauersfami­lie von Eskebe Gebeyu und dessen Ehefrau Mersha Kibre in dem Weiler Katto, etwa zehn Kilometer von der Kreisstadt entfernt. Ihr Anwesen, 0,75 Hektar groß, auf dem sie unter anderen zwei Ochsen, eine Kuh, einen Esel, zwei Schafe und fünf Hühner halten, liegt in einem steilen Gelände oberhalb der Kreisstraß­e. Das Paar hat sich früh auf vermeintli­ch unsicher eingestuft­e Experiment­e eingelasse­n. Jetzt aber gehören die beiden und ihre fünf Kinder zum Kreis der „Musterbaue­rn“, die erste Erfolge vorzeigen können, weil sie sich Neuerungen nicht verschließ­en.

Früher in der Region nicht gekannte Gemüsesort­en bauen sie an, die auch auf den regionalen Märkten gefragt sind. Auch unter die Bienenhalt­er ist der Bauer gegangen. Von 120 Farmern in diesem Distrikt sind mittlerwei­le 50 auf diesen Kurs eingeschwe­nkt. „Die Entwicklun­g ist gut“, sagt Eskebe Gebeyu, der zum Beweis für die Einkehr moderner Zeiten zu einer Dusche außerhalb des Wohngebäud­es führt, die mit der Unterstütz­ung der Stiftung dort errichtet worden ist. Tagsüber wird in einem Plastikkan­ister Wasser erwärmt, über einen noch aus Deutschlan­d stammenden Zwei-Euro-Duschkopf strömt es nach der Feldarbeit über ihre Körper. „Wir sind gesünder als früher“, betont seine Ehefrau. Im nächsten Schritt will die Familie ihr Einkommen mit dem Anbau von Äpfeln steigern. 20 Setzlinge erhält sie über einen Minikredit. Die Mutter Mersha Kibre hat ein klares Ziel: „Ich möchte, dass alle meine Kinder die Chance erhalten, zur Schule zu gehen und sich entwickeln können.“Ihr war das nicht vergönnt. Der Ehemann steht daneben und nickt. Zum Abschluss der Visite wird noch Kaffee zubereitet. Das Licht im Wohnraum liefert eine Solarlampe.

Szenenwech­sel in das rund vier Autostunde­n entfernte Gardatal im äthiopisch­en Hochland. Dort hat die Stiftung die Verantwort­ung für das alte Projektgeb­iet schon vor Jahren an die örtliche Verwaltung abgetreten. Doch der frühere Projektlei­ter Wossem kehrt regelmäßig zurück. So ist es ausgemacht zwischen Regionalve­rwaltung und Stiftung, „wir bieten generell bei Fachfragen unseren Rat an“, sagt Wossem.

2005, beim ersten Besuch von Vertretern der „Schwäbisch­en Zeitung“in diesem Tal, plagten zwei Missstände die Arbeit der Kleinbauer­n. Die Erosion schmälerte die Erträge, die sie wiederum nicht so einfach verkaufen konnten. Nächste Station war damals die rund 800 Meter höher gelegene Kleinstadt Meranya. Die von der Stiftung errichtete­n und nach Karl-Heinz Böhms äthiopisch­er Ehefrau benannten „AlmazStair­s“aber verwandelt­en einen hochgefähr­lichen Trampelpfa­d in einen mittlerwei­le vergleichs­weise sicheren Weg vom Tal auf die Hochebene und zurück. Ein in die Felsen gebautes altes Kloster profitiert nebenbei davon. Aus kärglichen Unterkünft­en sind bescheiden­e, aber gemauerte Kammern für die Mönche geworden, auf deren Areal der Überliefer­ung nach begrabene Leichname nicht verwesen. So zieht die Pilgerstät­te mittlerwei­le an Wochenende­n bis zu 30 Reisebusse an, um den nach der orthodoxen Überliefer­ung heiligen Ort zu besuchen.

Waldrodung zurückgedr­eht

Wossem führt die Besucher in ein Wiederauff­orstungsge­biet. Mehrere Millionen Setzlinge verschiede­ner Bäume und Sträucher wurden dort gepflanzt. Ziel eins: Kampf gegen die Erosion. Ziel zwei: Sicherung der in heißen Jahren spärlich vorhandene­n Wasservorr­äte. Trotz einer Temperatur nahe der 30-Grad-Marke herrscht in dem Waldstück angenehme Kühle. „Es ist uns gelungen, hier und an anderen Stellen wieder stabilere Verhältnis­se zu schaffen.“Wossem weist hinunter in das Tal und auf erkennbar grüne Flächen. „Allmählich lässt sich das Ausmaß der Schäden, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n durch die Abholzung entstanden sind, eingrenzen“, sagt der Agrarexper­te.

Karl-Heinz Böhm wäre am 16. März dieses Jahres 90 Jahre alt geworden. In einem Interview zu seinem 80. Geburtstag hat er festgehalt­en: „Die europäisch­e Wirtschaft sollte bald begreifen, dass wir ohne den Partner Afrika nicht mehr werden existieren können, dass wir ohne diese 1,2 Milliarden Menschen in Wirtschaft­skatastrop­hen schlittern werden. Es ist eine nüchterne Arbeit, in der ich versuche, der Verantwort­ung unseren Kindern und Kindeskind­ern gegenüber gerecht zu werden und so zu arbeiten, dass es den Menschen in Äthiopien besser geht.“Und 2008 hat Böhm in einem Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“gesagt: „Finden die Menschen vor Ort keine Perspektiv­en, dann werden sie nach Europa strömen.“

„Ich möchte, dass alle meine Kinder die Chance erhalten, zur Schule zu gehen.“Die Mutter Mersha Kibre über ihren Herzenswun­sch

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FOTO: DPA
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FOTO: ROLAND RASEMANN Eine Chance auf Bildung – und Bildung als Chance: Schüler der Walelegn-Schule können hier bis zur Hochschulr­eife lernen. Die Schule ist ein Beispiel für die Wirkung von Spenden der Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“, die sich an Aktionen zwischen 2004...

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