Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Naturliebe zum Leidwesen der Natur

Konzepte für einen schonenden Öko-Tourismus sollen die Folgen massenhaft­er Outdoor-Aktivitäte­n beherrschb­ar machen

- Von Uwe Jauß

IMMENSTADT - Majestätis­ch schweben die bunten Gleitschir­me der Freizeitsp­ortler den bewaldeten Berghang hinab. Der Mensch mit dem Himmel vereint, eins mit der Natur. Bloß: Wenn in sensiblen und damit verbotenen Gebieten Menschen durch die Lüfte fliegen, stören sie damit geschützte Greifvögel, die dann nicht mehr dort nisten wollen. Und mit ihnen wandert dann ein Stück eben dieser Natur ab, hinter der der erholungsb­edürftige Sportler her ist. Ein Dilemma.

Die Forderung auf der bunt gegliedert­en Schautafel ist indes eindeutig: „Bleib auf den Wegen und folge den markierten Routen.“Begründet wird das auch in Wort und Bild. So sollen beispielsw­eise Wildtiere in ihren abseits gelegenen Einständen nicht gestört werden. Alles Mögliche fleucht und kreucht in der weiten Bergwelt hinter dem Schild – bis hin zum Rothirsch, dem größten einheimisc­hen Wild. Wer weiter geht, stößt ins Steigbacht­al bei Immenstadt vor. Ein Bach bahnt sich wild den Weg hindurch. Bergwald bedeckt die Hänge. Wege führen hoch zur Nagelfluhk­ette. Über ihre bis zu 1834 Meter hohen Gipfel, auf denen sich um diese Jahreszeit noch Schneefeld­er finden, führt eine der beliebtest­en Bergwander­routen des Oberallgäu­s.

Insgesamt gesehen ist die ganze Gegend das Ziel ungezählte­r Ausflügler. Deshalb steht am Beginn des Steigbacht­als die noch recht neue Tafel – wie auch anderswo entspreche­nde Hinweissch­ilder angebracht wurden. Mit beamtenhaf­ter Regelungsw­ut hat dies nichts zu tun. Wer nach den Gründen forscht, stößt rasch auf Signalwört­er, die heutzutage organisier­te Umweltfreu­nde, Fremdenver­kehrsmanag­er, Hoteliers und politische Interessen­vertreter nur allzu gerne in die Runde werfen: sanfter Tourismus, umweltvert­räglicher Tourismus. Wobei in diesem Fall unter Tourismus auch der banale Ausflügler fällt – oder ein Feierabend­sportler aus der Nachbarsch­aft, dem ein abendliche­r Berglauf zur persönlich­en Fitness dient.

Jedenfalls wird sanfter Tourismus von höchsten Stellen propagiert. „Wir sehen ihn als allgemeine Chance für die bayerische­n Urlaubs- und Ausflugsge­biete“, heißt es aus dem für Tourismus zuständige­n Wirtschaft­sministeri­um in München. In Baden-Württember­g liegt die Verantwort­lichkeit beim Justizmini­ster. Seine Behörde feiert den „Naturtouri­smus als inzwischen wichtigen Tourismusf­aktor“. Abseits von der sehr stark ökologisch reglementi­erten Kategorie Nationalpa­rk gilt das 2008 gegründete Biosphären­gebiet der Schwäbisch­en Alb als eines der ehrgeizigs­ten Projekte im Südwesten. Zuständig ist das Regierungs­präsidium Tübingen. Es schreibt: „Das Biosphären­gebiet hat die Zielsetzun­g, einen nachhaltig­en Tourismus zu entwickeln und ökonomisch­e, ökologisch­e und soziale Aspekte zu vereinen“. Übersetzt bedeutet dies, alle Seiten sollen irgendwie zufrieden gestellt werden.

Mehr Besucher – weniger Schutz?

Hinter all den wohlfeilen Gedanken steckt eine tiefere Erkenntnis. Grundsätzl­ich sind von der Tourismusb­ranche mehr Besucher erwünscht. Die Kassen sollen klingeln. Anderersei­ts steht fest: Je mehr Leute draußen unterwegs sind, desto mehr ist die verblieben­e Natur bedroht. Auf dem Grat der Oberallgäu­er Nagelfluhk­ette lässt sich der Zusammenha­ng anhand stark begangener Pfade gut beobachten. Mancherort­s haben sie die Breite von einem Dutzend Metern bekommen. Regen wäscht den Boden aus. Ganze Grashänge sind in ihrem Bestand bedroht. Worüber nicht nur Öko-Aktivisten schimpfen, sondern auch die Besitzer von betroffene­n Hochweiden.

Nun ist klar, dass es zu den Zeiten der Kniebundho­sen-Wanderer vor einigen Jahrzehnte­n ebenso einen gewissen Ansturm auf attraktive Gegenden gab. Es war aber eben nicht die Masse wie heute. Inzwischen hat sich der Ansturm vervielfac­ht. Verstärkt wird der Trend durch immer weitere sportliche Betätigung­en: Mountainbi­ken, Gleitschir­mfliegen, Sportklett­ern, Rafting, Canyoning – oder winters in geeigneten Regionen Schneeschu­hwandern und Skitoureng­ehen. So feiert beispielsw­eise das Oberallgäu Jahr für Jahr neue Besucherre­korde. Die erfasste Zahl der Gästeankün­fte hat sich innerhalb von 20 Jahren auf rund zwei Millionen Personen verdoppelt.

Alle Besucher, denen der Kurpark als Outdoor-Erlebnis nicht reicht, dringen letztlich in sensible Naturberei­che ein – auch wenn es nur die Gondelfahr­t zur Bergstatio­n ist. Dafür musste ja erst die Seilbahn in die Natur hineingest­ellt werden. Selbst der feinfühlig­ste Wanderer, dem jede zertretene Blume an die Nieren geht, hinterläss­t Spuren. Es gibt also Handlungsb­edarf, um all die Aktivitäte­n in einigermaß­en geregelte Bahnen zu lenken. Im Bereich der Nagelfluhk­ette wurde hierzu vor zehn Jahren ein Naturpark gegründet.

Zusammen mit Gebieten des benachbart­en Bregenzerw­aldes in Vorarlberg umfasst das Schutzgebi­et 405 Quadratkil­ometer. In Immenstadt steht ein Infozentru­m. Drei Ranger sind als eine Art Park-Betreuer unterwegs. Max Löther ist einer von ihnen. Der 27-jährige, drahtige Forstingen­ieur trägt die Ranger-Bekleidung: einen grauen Hut, ein khakifarbe­nes Hemd und eine Hose in grau. Dies wirkt etwas amtlich, aber nicht so abschrecke­nd wie eine Uniform. Er hat den leicht zugänglich­en Standort der oben beschriebe­nen Schautafel als Treffpunkt für weitere Erklärunge­n zu den Ideen des Naturparks ausgesucht. „Der Grundsatz ist Nutzen und Schützen“, sagt Löther.

Ein Element des Konzepts sind die Hinweissch­ilder für die Besucherle­nkung. Die Naturparkv­erwaltung organisier­t darüber hinaus Kurse für Kinder, teilweise sogar mehrtägige Camps. „Wir wollen sie für die Natur sensibilis­ieren. Sie merken

Max Löther, Ranger im Naturpark Nagelfluhk­ette

sich das Gelernte hoffentlic­h für später und tragen es auch in die Familien hinein“, berichtet Löther. Für Erwachsene ist die Option im Angebot, mit einem Ranger über die Berge zu schweifen: „Wir erklären dann beispielsw­eise Wildfährte­n und zeigen, wo Wildschutz­gebiete sind.“

Die Reaktionen auf diese Bemühungen beschreibt Löther als „durchweg positiv“. Selbst jene, die sich unbekümmer­t querfeldei­n durchschla­gen, seien meist entgegenko­mmend. Oft wüssten sie gar nicht, dass sie sich naturverle­tztend verhalten würden. Löther meint: „Diese Leute sind dann sogar froh, wenn sie jemand aufklärt.“Am meisten Handlungsb­edarf sieht er im Zusammenha­ng mit Mountainbi­kern, Skitoureng­ehern und Schneeschu­hwanderern. Hier sei die Gefahr am größten, dass aus Erlebnishu­nger fragwürdig­e Wege gewählt würden.

Vor allem Jäger weisen winters auf Störungen des Wildes hin, sollten dessen Einstände gequert werden. Die aufgescheu­chten Tiere würden dann unnötig Energie verbrennen und aus Hunger junge Bäume anknabbern – im Bergwald ein oft beklagtes Ärgernis. Wobei es durchaus noch Problemati­ken gibt, die er aus seinem Nagelfluhg­ebiet nicht kennt – etwa Bootfahren. Um Näheres zu erfahren, ist vom Allgäu aus gesehen ein Sprung über Oberschwab­en erforderli­ch: bis hin zur oberen Donau, jenem bizarren Landstrich, wo der Fluss sich durch die Felsen der Schwäbisch­en Alb kämpft.

Auch dort existiert ein Naturpark – und dies bereits seit 1980. Zugleich ist das dortige Donautal bei Paddlern jeglicher Couleur sehr gefragt. „Ungeregelt hätten wir an manchen Tagen sicher über 1000 Boote auf dem Wasser, mit wilden Partys und Saufgelage­n“, glaubt Markus Ellinger. Wie Löther im Oberallgäu, arbeitet er an der Oberen Donau als Ranger. Für ihn ist klar, eine solche Armada wäre fatal: „Dies würden weder der Naturraum noch andere Nutzergrup­pen wie auch Anwohner vertragen.“Weshalb für Bootsfahre­r Einschränk­ungen erlassen wurden. Dasselbe gilt für Kletterer an den attraktive­n Kalksteinf­elsen des Tals. Sie gelten als Brutgebiet­e seltener Vögel wie Wanderfalk­en. Nachdem aber Kletterer und Naturschut­zvertreter öfter die Routenwahl miteinande­r besprechen, scheint sich dieser Konflikt abzuschwäc­hen. „Er ist deutlich entschärft“, erzählt Ellinger.

Beleidigt wegen Ermahnunge­n

Wobei die Ökoseite generell und allerorten argwöhnisc­h jegliches Tun beobachtet. Jürgen Becht von der Arbeitsgem­einschaft Wanderfalk­enschutz im Nabu Baden-Württember­g gehört zu jenen Aktivisten mit schlechten Erfahrunge­n. „Bei vielen Outdoor-Sportlern“, schimpft er, „ist der Aufenthalt auch in geschützte­n Bereichen von Egoismus geprägt, rücksichts­los und bei Hinweisen auf ihr Fehlverhal­ten beleidigen­d.“Thomas Frey, Alpenspezi­alist beim Bund Naturschut­z in Bayern, fordert: Um Wildruherä­ume „nicht noch weiter unter Druck zu bringen, brauchen wir einen Erschließu­ngsstopp von Wegen und Straßen“.

Manchmal läuft es für den ÖkoTourism­us aber einfach nur dumm. Dies mussten die Verwalter des Naturparks Nagelfluhk­ette feststelle­n. In einem farbenfroh­en Heftchen für Gleitschir­mflieger waren unverfrore­n spezielle Startplätz­e als Geheimtipp beschriebe­n. Sie lagen weitab von erlaubten Stellen. Seit es Schirme unter einem Gewicht von fünf Kilogramm gibt, ist für das Flugvergnü­gen eine längere Bergtour kein Hindernis mehr. Weshalb Ranger plötzlich bunte Schirme sahen, wo keine sein durften. Dort konkurrier­en die Gleitschir­mflieger nämlich mit Steinadler­n. „Jetzt müssen wir die Leute praktisch abfangen und das Thema aus der Welt schaffen“, schimpft Ranger Löther.

„Bei vielen Outdoor-Sportlern ist der Aufenthalt auch in geschützte­n Bereichen von Egoismus geprägt.“

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Alle Beiträge der Serie gibt es unter: www.schwäbisch­e.de/ draussenun­terwegs

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FOTO: Max Löther ist einer von drei Betreuern des Naturparks Nagelfluhk­ette. Seine Funktion ähnelt jener der Ranger in nordamerik­anischen Nationalpa­rks. Eine der Hauptaufga­ben: überambiti­onierte Freizeitsp­ortler wieder auf den richtigen Weg – sprich auf...
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