Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Eine Show sorgt für Unbehagen
Kritik an Israels Premierminister Netanjahu nach Präsentation über iranisches Atomwaffenprogramm
WASHINGTON/LIMASSOL - Mit einer dramatischen Geste hat Benjamin Netanjahu an einem schwarzen Vorhang gezogen und ein Bücherregal voller Aktenordner enthüllt: Beweise für ein geheimes iranisches Atomwaffenprogramm, wie der israelische Ministerpräsident bei einem Fernsehauftritt sagte. Rund 55 000 Seiten an Unterlagen und 183 CDs voller Daten, im Januar vom israelischen Geheimdienst Mossad in Teheran gestohlen, dokumentieren demnach den fortgesetzten Versuch der Iraner, trotz der Verpflichtungen aus dem Atomabkommen von 2015 den Bau einer Nuklearwaffe anzustreben. Netanjahus Auftritt macht eine Aufkündigung des Atomdeals durch US-Präsident Donald Trump in den kommenden zwei Wochen wahrscheinlicher – und erhöht die Gefahr eines neuen Krieges in Nahost.
Europäische Politiker und Atomwaffenexperten aus aller Welt haben Iran nach der Präsentation gegen Kritik aus Israel verteidigt. Der Auftritt der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini und des ehemaligen Generalsekretärs der internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Hans Blix, im iranischen Staatsfernsehen war überraschend. Sowohl die Italienerin als auch der Schwede äußerten die Überzeugung, dass Netanjahu keine Beweise dafür präsentiert habe, dass sich Iran nicht an das Abkommen zum Verzicht auf Atomwaffen halte. In Jerusalem sei am Montag „nichts Neues“verkündet worden, betonte Blix, sondern lediglich bestätigt, dass Iran im Jahre 2003 tatsächlich an der Entwicklung von Atomwaffen gearbeitet habe.
Dies geht aus einem – vermutlich auch an Israel weitergeleiteten – Bericht der Wiener Atomenergiebehörde hervor, der zwei Monate vor der Unterzeichnung des Atomabkommens veröffentlicht wurde. Darin heißt es, das Programm sei nach der amerikanischen Irak-Invasion stark heruntergefahren und sechs Jahre später ganz beendet worden.
Der Auftritt Netanjahus sei eine „kindliche und lächerliche Show“gewesen, echauffierte sich der iranische Vizeaußenminister Abbas Araghchi.
Zustimmung bekam Netanjahu hingegen aus den USA. Präsident Donald Trump sagte dazu, die Präsentation Netanjahus zeige, dass er mit seiner Meinung über Iran zu „hundert Prozent“recht gehabt habe. Er sagte aber nicht, ob die USA aus der Vereinbarung aussteigen werden. Er werde vor oder am 12. Mai eine Entscheidung treffen. Trump muss bis zu diesem Stichtag entscheiden, ob von den USA ausgesetzte Sanktionen gegen Iran außer Kraft bleiben. Dies wird de facto auch als Entscheidung über den Verbleib der USA in dem Abkommen angesehen. Trump erwähnte die Möglichkeit, ein neues Abkommen auszuhandeln. Das lehnt Iran ab.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sagte der „Bild“-Zeitung, die IAEA müsse schnellstmöglich Zugang zu den israelischen Informationen bekommen und klären, ob es darin tatsächlich Hinweise auf einen Verstoß gegen das Atomabkommen gibt. „Gerade weil wir einen iranischen Griff nach Atomwaffen nicht zulassen können, müssen die Kontrollmechanismen des Wiener Abkommens greifen und erhalten werden“, betonte Maas. Der Minister fügte hinzu, Israels Sicherheit stehe im Zentrum deutscher Politik. „Wir werden auch deshalb die israelischen Informationen genau analysieren.“
Der Druck ist groß
In Iran spürt man den Druck indes. Schließlich wurden die massiven Verbalattacken erst am Sonntagabend von mutmaßlich israelischen Raketenangriffen auf iranische Ziele im syrischen Hama und Aleppo begleitet. Um nicht unter Zugzwang zu geraten, hat Iran die Bombardements zunächst geleugnet.
Der interne Druck, darauf zu reagieren, ist aber gewaltig. Gleiches gilt für die Drohungen aus Washington, womöglich aus dem Atomvertrag auszusteigen. Seit seinem Inkrafttreten am 16. Januar 2016 wartet die iranische Bevölkerung auf den von Staatspräsident Hassan Ruhani versprochenen Wirtschaftsaufschwung, der bis heute nicht eingetreten ist. Entsprechend groß ist der Druck der Bevölkerung auf den für iranische Verhältnisse liberalen Politiker, endlich zu reagieren. Doch wie? Erst am Wochenende hatte Vize-Außenminister Araghchi erklärt, dass „der Status quo des Abkommens mit dem Westen in seiner jetzigen Form nicht mehr tragbar sei – egal ob die Amerikaner aussteigen oder nicht“. Sein Land, fügte er hinzu, habe jedenfalls für alle Szenarien die notwendigen Optionen parat. Auch Revolutionsführer Ali Khamenei verschärfte den Ton. Anlässlich einer Maifeier, zu der Arbeiter geladen waren, machte der Geistliche die USA „für Krieg, Unsicherheit und Blutvergießen“in der Region verantwortlich.
Nicht der Iran müsse sich aus dem Nahen Osten und der Region des Persischen Golfes zurückziehen, sondern die USA, forderte Khamenei.