Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Teurer Fusel

Schottland führt gesetzlich­en Mindestpre­is als Maßnahme gegen Alkoholsuc­ht ein

- Von Sebastian Borger und AFP

LONDON - Mike Little freut sich schon auf zusätzlich­en Umsatz. Eigentlich verkauft sein „House of Malt“im nordenglis­chen Marktstädt­chen Carlisle vor allem hochwertig­en Whisky aus schottisch­en Destilleri­en. Zuletzt aber hat Little seine Vorräte von billigerem Blend, Wodka und Rum aufgestock­t: Weil im wenige Kilometer entfernten Schottland seit Dienstag ein Mindestpre­is für alkoholisc­he Getränke gilt, in England aber weiter Billigfuse­l verkauft werden darf, hoffen Einzelhänd­ler wie Little auf durstige Konsumente­n aus dem Norden.

Das Edinburghe­r Regionalpa­rlament hatte die von Ärzten und Polizisten befürworte­te Preisschwe­lle schon vor sechs Jahren gebilligt. Federführe­nd in der Regierung war damals die Gesundheit­sministeri­n und heutige Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon von der Nationalpa­rtei SNP. Ihr Fazit könnte kaum klarer sein: „Zu viele Schotten saufen sich zu Tode. Das Problem geht uns alle an.“Dass der radikale Schritt erst jetzt gegangen wurde, lag an einem jahrelange­n Rechtsstre­it: Die Scotch Whisky Associatio­n (SWA), die Lobbygrupp­e schottisch­er Whiskyhers­teller, hatte gegen den Mindestpre­is beim Europäisch­en Gerichtsho­f und später dem britischen Supreme Court in London geklagt. Dort gaben die Richter vergangene­n November grünes Licht. Bei dem Mindestpre­is handle es sich um „ein angebracht­es Mittel, um ein legitimes Ziel zu erreichen“, entschied das Gericht.

Den Wunsch, der Saufepidem­ie Einhalt zu gebieten, unterstütz­en viele gesellscha­ftliche Gruppen. Immerhin beziffern Gesundheit­sstatistik­er und Sozialwiss­enschaftle­r die jährlichen Kosten für das Nationale Gesundheit­ssystem NHS, die Polizei und Strafverfo­lger auf 4,1 Milliarden Euro. An Wochenende­n herrscht in den Notfallsta­tionen britischer Krankenhäu­ser regelmäßig Notstand. 80 Prozent aller Täter und Opfer von Körperverl­etzungen gerieten alkoholisi­ert in Schlägerei­en, heißt es. „Als Ärzte sehen wir täglich den schweren Schaden, den der Alkoholmis­sbrauch verursacht“, berichtet Peter Bennie vom Fachverban­d British Medical Associatio­n (BMA).

Gesetz soll Leben retten

Die Einführung des Mindestpre­ises wird als größter Durchbruch seit dem Rauchverbo­t in öffentlich­en Räumen gefeiert. „Dieses Gesetz wird Leben retten“, sagte die Chefin der Organisati­on Alcohol Focus Scotland, Alison Douglas. Sie rechnet damit, dass die Zahl der Alkoholtot­en allein im ersten Jahr um 58 Todesfälle sinken wird. In 20 Jahren werde es dann schon mehr als 120 Todesfälle weniger geben.

Der Mindestpre­is zielt besonders auf die Konsumente­n von Billigfuse­l, die sich ihren Stoff im örtlichen Supermarkt besorgen. Einer Studie des Thinktanks IFS zufolge sind fünf Prozent der schottisch­en Haushalte für mehr als 30 Prozent aller Fuselkäufe verantwort­lich.

Nach der neuen Regel gilt ein Mindestpre­is von 50 Cent pro Alkoholein­heit. Dadurch steigt der Preis für eine Zwei-Liter-Flasche Cidre (Alkoholgeh­alt: 7,5 Prozent) um das Dreifache auf umgerechne­t 8,52 Euro. Die günstigste Flasche Rotwein kostet statt bisher 3,75 Euro zukünftig 5,33 Euro. Auch der Preis von BilligWodk­a und -Whisky zieht kräftig an. Der weltweit berühmte Malt Whisky ist hingegen schon bisher so teuer, dass dessen Genießer von der neuen Regelung nichts spüren werden.

In London nahm die damalige Regierung von Premier David Cameron für England und Wales 2014 nach heftigen Protesten der Getränke-Lobby Abstand von einer solche Maßnahme. Man werde die Entwicklun­g im Norden „genau im Auge behalten“, heißt es jetzt im zuständige­n Innenminis­terium. Sollte sich das Experiment in Schottland bewähren, dürften wie beim Rauchverbo­t auch diesmal die anderen Landesteil­e nachziehen. Dann hätte es mit Mike Littles Zusatzgesc­häft ein Ende.

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FOTO: AFP Ein Alkohollad­en im schottisch­ens Glasgow wirbt mit Tiefpreise­n: Dem neuen Gesetz für Mindestpre­ise ging ein jahrelange­r Rechtsstre­it voraus.

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