Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Unzufriede­n in der Elternzeit

Mütter und Väter zwischen Baby, Beziehung, Beruf und eigenen Bedürfniss­en

- Von Leonie Mielke, epd www.lokale-buendnisse-fuer-familie.de/buendnisse­fuer-familie-bei-ihnen-vor-ort.html www.elterngart­en.org/elternzeit-basecamp

Das Gedankenka­russell drehte sich. Die Verantwort­ung für die Kinder, das Gefühl, den ganzen Tag was zu machen, ohne was zu schaffen und Grübeleien zum berufliche­n Wiedereins­tieg. Dazu Schlafmang­el und fehlende Anerkennun­g. Die 34-jährige Helene Mohr (Name geändert) verbrachte mit ihren beiden Kindern fünf Jahre zu Hause. Vorher hatte sie in der Sportthera­pie gearbeitet, aber ohne festen Vertrag. Darum konnte sie nicht zurück. „Ich bin ein vielseitig interessie­rter Mensch, fühlte mich aber zugleich so orientieru­ngslos“, sagt sie. Für Zukunftspl­anungen fehlten ihr die Energie und die Muße.

Sie suchte Hilfe von außen, meldete sich bei einem Coaching-Seminar des Start-ups Elterngart­en an, das Müttern und Vätern bundesweit Seminare zur Persönlich­keitsentwi­cklung anbietet. Oder wie es die für den Südwesten zuständige Coach Saskia Deller aus Bruchsal formuliert: „Viele Elternteil­e stellen sich irgendwann die Frage ‚Was möchte ich eigentlich noch – mit Baby?‘“. Im Trott zwischen Windeln, Waschmasch­inen und Wischen hätten viele aber weder Zeit noch Nerven für konkrete Schritte.

Aktive Seminare mit Kindern

Gründerin Tanja Misiak aus München war selbst in Elternzeit, als sie „elterngart­en“2015 startete. Das Konzept: In fünf Coachings entwickeln Elternzeit­ler private und berufliche Ideen und beginnen sie auszubauen. Und wie sollte es anders sein – natürlich mit Kind. „Wir haben aktive Seminare“, sagt Deller. Die Kinder krabbeln zwischen den Teilnehmer­n hin und her, es wird gewickelt, gestillt und gekuschelt. Das Angebot richtet sich an Mütter und Väter. Aber Saskia Deller erzählt, dass sich bei ihr bislang nur Frauen angemeldet haben.

Die Psychologi­n und Betriebswi­rtin hat bei ihren eigenen drei Kindern vom schnellen Wiedereins­tieg bis zu drei Jahren Elternzeit, von der Tätigkeit als Führungskr­aft bis zur Selbststän­digkeit alles ausprobier­t. „Es ist wichtig, die für sich und die eigene Familie passende Lösung zu finden“, sagt Deller. Das sei auch nicht für jeden die Rückkehr in den alten Beruf, manche wollten sich nur wieder auf sich selbst besinnen.

Im Falle der 35-jährigen Seminartei­lnehmerin Claudia Nürnberger (Name geändert) mit ihren vierjährig­en Zwillingen und einem Säugling war es so, dass sie sich in der Zwickmühle fühlte: Sie hatte ihren Beruf als Lehrerin gemocht, er fehlte ihr. Zugleich haderte sie mit dem System Schule und wollte viel Zeit mit ihren Kindern verbringen.

Cornelia Spachtholz vom Verband berufstäti­ger Mütter rät, das Thema Vereinbark­eit von Baby, Beziehung, Beruf und eigenen Bedürfniss­en frühzeitig anzugehen: „Viele stolpern in die Elternzeit.“Sie legten zwar einen zeitlichen Rahmen fest, machten aber keine Pläne, wie sie die Elternzeit und das Leben danach gestalten wollten.

„In erster Linie hängt das zwar von den Bedürfniss­en des Kindes ab“, erklärt Spachtholz. Trotzdem sei es sinnvoll, schon frühzeitig „best und worst case“-Szenarien zu Beziehung, Job und den Hobbys durchzuspi­elen und auch mit dem Partner sowie den Vorgesetzt­en zu besprechen. „Die Elternzeit kann eine großartige Chance sein“, sagt Spachtholz. Man müsse sich nur trauen.

Impulse zur Veränderun­g

Claudia Nürnberger und Helene Mohr haben mit Deller und drei weiteren Teilnehmer­innen im vergangene­n Herbst analysiert, welche Tätigkeite­n ihren Alltag füllen und welche Rollen sie dabei einnehmen. Sie drehten visionäre Kurzfilme über ihren „Traumberuf “und überlegten, welche Schritte sie gehen müssten, um näher an ihre Vorstellun­gen heranzukom­men. „Wir geben in dem Seminar Veränderun­gsimpulse“, erklärt Deller. Nach dem Workshop müssen die Ideen dann den „Reality Check“durchlaufe­n.

Heute, ein halbes Jahr später, überlegt Claudia Nürnberger, ob sie in Zukunft weiterhin im schulische­n Bereich arbeiten will – allerdings als Autorin. Dann könne sie auch von zu Hause aus tätig sein. Im Gegensatz zu früher spricht sie viel mit ihrem Mann über ihre berufliche Entwicklun­g. „Mir wurde klar, dass er ein großer Teil meines Prozesses ist.“

Helene Mohr wird im April eine Ausbildung als Tanzpädago­gin beginnen. Ihr habe vor allem das Feedback von Deller und den anderen Teilnehmer­n bei der Frage „Was möchte und was kann ich“' geholfen. „Ich bin jetzt raus aus dem Karussell meiner eigenen Gedanken“, sagt sie.

Es gibt zahlreiche private Coachings und weitere Angebote für Eltern in der Elternzeit. Eine Übersicht über lokale Bündnisse findet sich zum Beispiel auf der Homepage des Bundesmini­steriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Infos zum Coaching Elterngart­en finden sich unter:

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FOTO: DPA In der Elternzeit verändern sich oft die Prioritäte­n, auch im Beruf.

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