Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Wenn die Zahl der Insekten abnimmt, beginnt eine Kettenreak­tion“

Imker Walter Haefeker über die Dimensione­n einer spürbaren Veränderun­g, die am Ende der Nahrungske­tte auch den Menschen bedrohe

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SEESHAUPT - Um 75 Prozent sollen Fluginsekt­en innerhalb von 25 Jahren zurückgega­ngen sein – mit dieser Zahl hat der Deutsche Naturschut­zbund (Nabu) voriges Jahr vor einem Insektenst­erben gewarnt. Welche Auswirkung­en durch diese Entwicklun­gen drohen, erklärt Walter Haefeker, Präsident des Europäisch­en Berufsimke­rverbands im Gespäch mit Veronika Renkenberg­er.

Warum genau ist das Insektenst­erben so gefährlich – für uns alle?

Es geht ja hier längst nicht nur um Honigbiene­n, sondern auch um Hummeln und Solitärbie­nen. Für die Bestäubung sind auch Schwebflie­gen, Schmetterl­inge, Käfer und viele andere Arten von Bedeutung, die inzwischen bedroht oder am Aussterben sind. Insekten erfüllen in unseren Ökosysteme­n neben der Bestäubung noch sehr viele weitere lebenswich­tige Aufgaben: Am und im Boden lebende Insekten wie Ameisen belüften und lockern den Erdboden, so entsteht mehr Humus. Sie räumen auf, entfernen Aas, Kot und abgestorbe­nes Holz. Außerdem sind Insekten die Nahrungsgr­undlage von vielen anderen Lebewesen – von Fischen, Amphibien, Spinnen und Vögeln. Viele Singvögel sind, um ihre Brut zu versorgen, nicht nur auf Artenvielf­alt angewiesen, sondern auch auf ausreichen­d Biomasse aus der Insektenwe­lt.

Ab wann betrifft das Insektenst­erben uns Menschen?

Sehr bald. Wenn die Zahl der Insekten abnimmt, beginnt eine Kettenreak­tion. Die Nahrungske­tte vieler Lebewesen wird beeinfluss­t, auch die von uns Menschen. Es gibt viele Statistike­n über den enormen Wert der Bestäubung­sleistung von Insekten in der Landwirtsc­haft. Dabei geht es nicht nur um die Produktion einer ausreichen­den Menge an Nahrungsmi­tteln für die Weltbevölk­erung. Gerade die Vielfalt der Nahrungsmi­ttel, die wir für eine gesunde und schmackhaf­te Ernährung brauchen, ist nur mithilfe von Insekten möglich.

Wir reden hier also nicht nur vom Honig, der ausbleiben könnte?

Natürlich nicht. Der Wert, den Honigbiene­n durch ihre Bestäubung leisten, beträgt etwa das Zehnfache des Umsatzes beim Honig. Eine Besonderhe­it der Honigbiene­n ist, dass sie von Imkern betreut werden. Gemeinsam mit unseren Bienen sind wir Imker ein Frühwarnsy­stem für die ganze Gesellscha­ft, denn wildlebend­e Insekten werden nicht so intensiv betreut und beobachtet. Als Imker haben wir vielleicht zuerst Alarm geschlagen. Wenn wir die Probleme lösen wollen, müssen wir aber die Rahmenbedi­ngungen für alle Insekten verbessern.

Für wie realistisc­h halten Sie das Szenario, dass der Mensch bald mit Pinseln Pflanzen per Hand bestäubt?

Wenn wir den Kurs nicht korrigiere­n, bekommen wir zuerst amerikanis­che Verhältnis­se. Dort werden Honigbiene­n per Lkw in bienenfein­dliche Agrarwüste­n gebracht, in denen keine wildlebend­en Bestäuber mehr existieren können. Auf den Wanderimke­r folgt irgendwann der Wanderarbe­iter mit dem Pinsel, wie es in China bereits praktizier­t wird.

Was kann man tun, was kann jeder Einzelne von uns bewirken?

Wir brauchen dringend ein breiteres Blütenange­bot – nicht nur im Frühjahr, sondern den ganzen Sommer. Für wildlebend­e Insekten brauchen wir zusätzlich Struktur und Nistmöglic­hkeiten in der Landschaft, denn im Gegensatz zu den Honigbiene­n haben sie ja keinen Imker, der ihnen einen schicken Bienenkast­en zur Verfügung stellt. Wer selbst etwas für Insekten tun möchte, sollte dafür sorgen, dass etwas blüht – im eigenen Garten, am Straßenran­d oder als Blühstreif­en an Feldern.

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FOTO: PR Walter Haefeker

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