Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die Lehren aus der englischen Kommunalwahl
Die englische Kommunalwahl hat wenig an der politischen Lage in Großbritannien geändert. Die regierenden Konservativen unter Premierministerin Theresa May konnten ihre Stellung behaupten, der Oppositionspartei Labour gelang der vorhergesagte Sturm auf viele Rathäuser nicht. Wie erwartet kollabierte der Wähleranteil der EU-feindlichen Ukip-Partei, während die Anti-Brexit-Parteien Liberaldemokraten (LD) und Grüne leichte Gewinne verzeichneten.
Der Urnengang am Donnerstag galt ein knappes Jahr vor dem Brexit als Stimmungstest für Mays konservative Minderheitsregierung. Neu gewählt nach vier Jahren wurden 4371 Mandate, darunter sämtliche Bezirke Londons, andere englische Großstädte sowie ein Drittel der Sitze in kleineren Gemeinden. 2014 war die Kommunalwahl mit der Europawahl zusammengefallen – bei der die EU-feindliche Ukip mit 27,4 Prozent vorn gelegen war. Die damaligen Regierungsparteien, Konservative und Liberaldemokraten, hatten schwere Verluste erlitten – kamen in diesem Jahr also von einem niedrigen Stand. Diesmal lag Labour klar vor Konservativen und LD. Allerdings blieb der von Partei-Strategen erwartete Triumph aus: LD konnte mehr Sitze hinzugewinnen als die viel größere Arbeiterpartei.
Ob die Euphorie um Labour-Chef Jeremy Corbyn nun ihren Höchststand erreicht habe, wurde der Oppositionsführer im südwestenglischen Plymouth gefragt, wo seine Partei das Rathaus erobert hatte. „Nein, nein“, antwortete der 68-Jährige, „das wird noch besser. Labour hat gute Chancen, die nächste Unterhauswahl zu gewinnen.“Die Ergebnisse in anderen Landesteilen, nicht zuletzt in der Hauptstadt, bestätigten diesen Optimismus nicht. In Städten wie Dudley, Bolton und Wigan ging für Labour Boden verloren. In Sheffield nahmen LD und Grüne der seit Jahrzehnten tonangebenden Arbeiterpartei Mandate ab.
Ukip-Wähler wechseln zu Tories
Vor allem schaffte es die stark London-lastige Partei – neben Corbyn sind auch die Schattenminister für Brexit, Finanzen, Äußeres, Inneres hier beheimatet – nicht, eines der 32 Bezirksrathäuser der Hauptstadt zu erobern. Im Nordwest-Londoner Bezirk Barnet holten die Konservativen wie vor vier Jahren die Mehrheit der Mandate. Schwere Einbrüche erlitt Labour dort in einzelnen, stark jüdisch geprägten Vierteln. Die Partei, die in den vergangenen Jahren viel Boden gutgemacht hatte, steht seit Monaten in der Kritik, sie gehe nicht hart genug gegen Antisemiten unter ihren rund 560 000 Mitgliedern vor. Corbyns Vertraute Dawn Butler machte dafür den kürzlich zurückgetretenen Generalsekretär Ian McNicol verantwortlich. Der gemäßigte Parteiflügel sieht die Schuld eher bei der radikaleren Linken, zu der Corbyn zählt.
Wie erwartet profitierten die Konservativen wie im vergangenen Jahr von Wählern, die vor vier Jahren Ukip den Rücken gestärkt hatten. Die EU-Feinde verloren 93 Mandate und liegen nun abgeschlagen hinter den Grünen. Was die Positionen zum Brexit angeht, so profitierten vor allem die Liberaldemokraten. Mit einer klaren Absage an den britischen EU-Austritt holten sie sich den Londoner Bezirk Richmond. Das zukünftige Verhältnis zu Europa bleibt das überragende Thema britischer Politik. In Corbyns Wahlkampfreden war davon nicht einmal die Rede. Wohl auch deswegen war das Labour-Ergebnis schwächer als erwartet.