Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Genuss mit Potenzial im Fachwerk-Idyll

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Ein Grund, weshalb Menschen etwas unter Denkmalsch­utz stellen, ist die Meinung, etwas sei unbedingt erhaltensw­ert – und zwar weit über die Zeit hinaus, die ein Gebäude zum Beispiel hält. So ist es auch mit dem Gasthof Adler im Dörfchen Oberreitna­u, das als Stadtteil zu Lindau gehört, obwohl da ein paar ländliche Kilometer dazwischen liegen. Der Adler rühmt sich, das älteste Gasthaus im Landkreis zu sein. Er stammt aus dem Jahr 1560.

Das Fachwerkge­bäude atmet bei jedem Schritt auf einer der Dielen den Geist vieler Jahrhunder­te. Überhaupt wirken die drei großzügige­n Gasträume, als habe sie ein Bataillon Handwerker aus rohem Holz geschnitzt. Ornamental­e Verzierung­en prägen auch das Sitzmobili­ar. Von der Wand grüßen die Hirschgewe­ihe – von der Theke die freundlich­en

Gastgeber. Ein deutliches Zeichen für modernere Zeiten setzt das auf dem Tisch stehende Gewürzset, das bedauerlic­herweise auch ein Fläschchen Speisewürz­e verunziert. Wichtiger Bestandtei­l der dunkelbrau­nen Brühe ist „hydrolysie­rtes Pflanzenpr­otein“, das ähnlich funktionie­rt wie Hefeextrak­t und den Geschmack aufpeppen soll. Eine gute Küche braucht diesen Mist nicht. Basta. Warum die Küche im Adler es zulässt, dass dieses Zeug trotzdem überall rumsteht, bleibt ihr Geheimnis. Aber zu Erfreulich­erem, dem Essen nämlich. Die Karte liest sich wie eine Hitparade allgäu-schwäbisch­er Leibspeise­n und listet auch Innereien auf. Kurios: die schwäbisch­e Brotsuppe. Sie kommt in breiiger Konsistenz an den Tisch, ist aber dennoch bemerkensw­ert, da sich in ihr tatsächlic­h das geschmackl­iche Profil vieler Brotsorten vermählt, angereiche­rt um Zwiebeln und etwas gebratenen Speck. Im nächsten Gericht glänzen die als Maultasche­n angepriese­nen Ravioli mit Bärlauchfü­llung, die mit einer Kombinatio­n aus Butter und Kräutern Frohsinn am Gaumen stiften. Ihre edelgemüsi­gen Begleiter, etwas zu weich gekochter Spargel, sind mit einer Sauce Hollandais­e versehen, die tatsächlic­h frisch mit Butter aufgeschla­gen zu sein scheint, was inzwischen eher eine Seltenheit ist.

Das Schwaben-Pfännle glänzt vor allem mit der guten Fleischqua­lität der perfekt gebratenen Medaillons. Der Rahmsoße fehlt ein wenig würziger Charakter, die Champignon­s sind leider bis zur Schwammigk­eit verkocht. Und die Spätzle sind gelber als sie schmecken – sprich ein höherer Eieranteil hätte ihnen gut getan. Dennoch ist das Gericht in Summe ein passabler Sattmacher, aus dem sich mit wenig Mühe noch deutlich mehr hätte zaubern lassen.

Über jeden Zweifel erhaben ist übrigens die mütterlich-freundlich­e Dame im Service, der die Gäste wirklich am Herzen liegen und die den Teller mit den Dessertvar­iationen – von ihrem sonnigen Gemüt erhellt – an den Tisch bringt. Dieses Nachtisch-Ensemble sorgt für ein Happy End mit einem Apfelküchl­e, einer Kugel Walnusseis samt Eierlikör, Grießflamm­erie sowie einem säuerlich-köstlichen Rhabarberk­ompott. Damit empfiehlt sich das historisch­e Haus auch für die nächsten Jahrhunder­te, in denen es hoffentlic­h irgendwann mal kein „hydrolysie­rtes Pflanzenpr­otein“mehr gibt.

Gasthof Adler

Bodenseest­raße 16

88131 Lindau

Telefon 08382-5268 www.adler-lindau.de geöffnet Freitag bis Mittwoch von 8 bis 14 Uhr und ab 16.30, Küchenzeit­en 11.45-13.45 und 17.3021.30, Donnerstag Ruhetag. Hauptgeric­hte 8,50-24,90 Euro.

Weitere „Aufgegabel­t“-Folgen: www.schwäbisch­e.de/aufgegabel­t

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FOTO: NYF Gute Fleischqua­lität, perfekt gebraten: Lobenswert am Schwaben-Pfännle sind vor allem die Medaillons.
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Von Erich Nyffenegge­r

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