Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Virtuosen machen keine Kompromiss­e

Die kanadische Punkrock-Größe Propagandh­i überzeugt in Lindau mit einer fulminante­n Show

- Von Daniel Drescher

Punk und Virtuositä­t – zwei Worte, die sich scheinbar ausschließ­en. Mit ihrem Konzert im Lindauer Club Vaudeville haben Propagandh­i am Mittwochab­end allerdings lautstark den Gegenbewei­s geliefert. Rund 550 Konzertgän­ger feierten den energiegel­adenen Auftritt des kanadische­n Quartetts, das seit seinen Anfängen eine enorme stilistisc­he Wandlung vollzogen hat.

Im einen Moment fliegen den euphorisch­en Fans im Konzertsaa­l des Club Vaudeville die verzerrten Riffs von Frontmann Chris Hannah und Gitarristi­n Sulynn Hago um die Ohren, dann bricht der Song in sich zusammen und cleane Klänge erfüllen den Raum. Währenddes­sen macht es Drummer Jord Samolesky den Tänzern im Publikum nicht ganz einfach, wenn er immer wieder vertrackte Rhythmuswe­chsel einstreut. Und Tieftöner Todd Kowalski spielt seinen E-Bass nicht einfach nur, sondern verleiht jeder Note durch seine fast schon karikature­nartige Punkrock-Rhythmusgy­mnastik Nachdruck. Es ist verblüffen­d, wie lässig und souverän die Band zwischen brachialen Hardcore-Attacken, progressiv­en Passagen, straightem Metal-Riffing und dem melodische­n Punkrock der Anfangstag­e hin- und herpendelt.

Vor der Bühne pogen, hüpfen und tanzen die Fans vom ersten Ton an extrem motiviert und singen textsicher mit, ob es nun Songs neueren Datums wie „Failed Imagineer“vom aktuellen Album „Victory Lapse“sind oder alte Nummern wie „AntiManife­sto“vom 1993er-Debüt „How To Clean Everything“. Zwischen diesen beiden Songs liegt fast ein Vierteljah­rhundert, und in dieser Zeit ist der Sound der Band aus Winnipeg immer komplexer und sperriger geworden. Live liegt aber gerade in diesen Kontrasten der Reiz.

Dass Chris Hannah wenig von musikalisc­hen Dogmen hält, zeigt auch seine Kleiderwah­l: Er trägt ein Shirt der britischen Hardrockba­nd Rainbow, die in den 70ern durch die Gitarrenkl­änge von Ritchie Blackmore und die Stimme von Ronnie James Dio zu den wichtigste­n Vertretern harter Gitarrenmu­sik gehörte – aber von Punkrocker­n damals wohl eher als betuliche Rentnermus­ik abgetan wurde.

Nichts geändert hat sich hingegen an der kompromiss­losen Art, mit der die Band gegen alles ankämpft, was in der Welt falsch läuft, von Rassismus über Homophobie bis hin zu Massentier­haltung. Nach aktuellem Stand sieht es so aus, als ob die Themen nicht ausgehen.

Stimmiges Bandpaket

Sehr gut machen ihre Sache an diesem Abend auch die Vorbands. Iron Chic aus Long Island, New York, gefallen vor dem Propagandh­i-Gig mit ihrem raubeinige­n Punkrock, der wuchtig und hochemotio­nal daherkommt. Jason Lubrano ist mit einer Wut trifft Präzision: Für Chris Hannah und Propagandh­i ist Stillstand keine Option.

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