Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Virtuosen machen keine Kompromisse
Die kanadische Punkrock-Größe Propagandhi überzeugt in Lindau mit einer fulminanten Show
Punk und Virtuosität – zwei Worte, die sich scheinbar ausschließen. Mit ihrem Konzert im Lindauer Club Vaudeville haben Propagandhi am Mittwochabend allerdings lautstark den Gegenbeweis geliefert. Rund 550 Konzertgänger feierten den energiegeladenen Auftritt des kanadischen Quartetts, das seit seinen Anfängen eine enorme stilistische Wandlung vollzogen hat.
Im einen Moment fliegen den euphorischen Fans im Konzertsaal des Club Vaudeville die verzerrten Riffs von Frontmann Chris Hannah und Gitarristin Sulynn Hago um die Ohren, dann bricht der Song in sich zusammen und cleane Klänge erfüllen den Raum. Währenddessen macht es Drummer Jord Samolesky den Tänzern im Publikum nicht ganz einfach, wenn er immer wieder vertrackte Rhythmuswechsel einstreut. Und Tieftöner Todd Kowalski spielt seinen E-Bass nicht einfach nur, sondern verleiht jeder Note durch seine fast schon karikaturenartige Punkrock-Rhythmusgymnastik Nachdruck. Es ist verblüffend, wie lässig und souverän die Band zwischen brachialen Hardcore-Attacken, progressiven Passagen, straightem Metal-Riffing und dem melodischen Punkrock der Anfangstage hin- und herpendelt.
Vor der Bühne pogen, hüpfen und tanzen die Fans vom ersten Ton an extrem motiviert und singen textsicher mit, ob es nun Songs neueren Datums wie „Failed Imagineer“vom aktuellen Album „Victory Lapse“sind oder alte Nummern wie „AntiManifesto“vom 1993er-Debüt „How To Clean Everything“. Zwischen diesen beiden Songs liegt fast ein Vierteljahrhundert, und in dieser Zeit ist der Sound der Band aus Winnipeg immer komplexer und sperriger geworden. Live liegt aber gerade in diesen Kontrasten der Reiz.
Dass Chris Hannah wenig von musikalischen Dogmen hält, zeigt auch seine Kleiderwahl: Er trägt ein Shirt der britischen Hardrockband Rainbow, die in den 70ern durch die Gitarrenklänge von Ritchie Blackmore und die Stimme von Ronnie James Dio zu den wichtigsten Vertretern harter Gitarrenmusik gehörte – aber von Punkrockern damals wohl eher als betuliche Rentnermusik abgetan wurde.
Nichts geändert hat sich hingegen an der kompromisslosen Art, mit der die Band gegen alles ankämpft, was in der Welt falsch läuft, von Rassismus über Homophobie bis hin zu Massentierhaltung. Nach aktuellem Stand sieht es so aus, als ob die Themen nicht ausgehen.
Stimmiges Bandpaket
Sehr gut machen ihre Sache an diesem Abend auch die Vorbands. Iron Chic aus Long Island, New York, gefallen vor dem Propagandhi-Gig mit ihrem raubeinigen Punkrock, der wuchtig und hochemotional daherkommt. Jason Lubrano ist mit einer Wut trifft Präzision: Für Chris Hannah und Propagandhi ist Stillstand keine Option.
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