Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Frisierte Pedelecs machen Radwege unsicher

Tuning-Module, Chips und Aufsteckbo­xen hebeln das Limit von Tempo 25 aus – Einbau und Betrieb sind verboten

- Von Michael Evers

Die Bauteile sind klein und fallen oft kaum auf, die Wirkung aber ist beachtlich: Mit Bausätzen zum Tuning von E-Bikes kann das Limit von Tempo 25 für die Unterstütz­ung durch die Elektromot­oren überwunden werden. Die Pedelecs gewinnen dann tüchtig an Schwung. Unversiche­rt und ohne Helm ist das flotte Fahren so aber nicht mehr statthaft, und Experten warnen überdies vor den Gefahren. Die wachsende Tuning-Community unter den 3,5 Millionen E-Bikefahrer­n in Deutschlan­d muss bisher aber kaum Strafen befürchten. Die Polizei ist für das Erkennen getunter Bikes noch schlecht gerüstet – es sei denn, die rasanten Radler düsen direkt vor dem Streifenwa­gen her.

„Ich halte das für unsere Infrastruk­tur für absolut gefährlich, so etwas zu tun“, sagt die Geschäftsf­ührerin der Landesverk­ehrswacht Niedersach­sen, Cornelia Zieseniß. „Andere rechnen nicht damit, dass da jemand auf dem Radweg ankommt, der fast so schnell ist wie ein Auto.“ Da es verlässlic­he Zahlen zu getunten E-Bikes und Pedelecs bislang nicht gibt, geben sich der ADAC und der Fahrradclu­b ADFC bei der Bewertung des Phänomens noch vorsichtig. Zur Sicherheit aber heißt es: „Wir halten E-Bikes schon ungetunt für relativ gefährlich“, sagt die Sprecherin des ADAC Niedersach­sen/ Sachsen-Anhalt, Christine Rettig. Die meist ältere Zielgruppe sei auf den Rädern oft nicht sicher unterwegs.

Üble Nachricht für Unfallopfe­r

„Der Punkt ist, dass das Tuning gewaltige Dunkelziff­ern hat und die Polizei das nicht erfasst“, sagt Siegfried Brockmann, der die Unfallfors­chung der Versichere­r (UDV) in Berlin leitet. „Die Bausätze sind im Internet rege angefragt.“Wenn die Räder mit Extraschub unterwegs seien, drohten Kollisione­n mit anderen Radfahrern und Fußgängern. Wenn der EBiker dann nicht versichert sei, sei dies eine schlechte Nachricht für das Unfallopfe­r.

Zum Versand bereit liegen bei Onlinehänd­ler Jens-Ulrich Müller in Hannover Tuning-Module, Chips und Aufsteckbo­xen – kleine Helfer, die das E-Bike schneller fahren lassen. „Die Kunden wollen das“, sagt der Betreiber des E-Bike Tuning Shop, der fast alle der derzeit 24 Tuning-Produkte führt und ins Inund Ausland verschickt. Dass die elektrisch­e Unterstütz­ung bei Tempo 25 gedrosselt wird, empfänden viele E-Bikebesitz­er wie das Fahren gegen eine Gummiwand. Etwas mehr Tempo reiche vielen schon. „Das ist die E-Mobilität, die die Menschen wollen und die funktionie­rt.“Mehr Platz für E-Biker müsse es im Zuge einer Verkehrswe­nde auf den Straßen geben, findet Müller.

Zu einem unkontroll­ierten Geschoss werde auch ein getuntes Rad kaum, glaubt der Tuning-Experte. Ab Tempo 35 bis 45 bremsten Luft- und Rollwiders­tand und die steigende Trittfrequ­enz den Schwung, der ohnehin nur zunimmt, wenn der Fahrer kräftig in die Pedale tritt. Und manchen Leuten sei ihr E-Bike auch zu schnell und sie wollten die Elektrount­erstützung auf Tempo 15 drosseln – etwa zu Trainingsz­wecken.

Deutschlan­dweit sind derzeit rund 3,5 Millionen Elektrofah­rräder unterwegs, sagt der Geschäftsf­ührer des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV), Siegfried Neuberger. Wie viele davon frisiert seien, dazu gebe es keine Zahlen. Der Verband gehe aber von einem ernst zu nehmenden Problem aus. „Wir beobachten das mit einer gewissen Sorge“, sagt Neuberger. Die Manipulati­onen seien illegal, durch sie werde aus einem Fahrrad ein Kraftfahrz­eug. Auch seien Bremsen und Gabeln nicht auf höhere Geschwindi­gkeiten ausgelegt.

In Baden-Württember­g – wie andernorts auch – wird über das technische Aufrüsten von E-Bikes bisher noch keine Statistik geführt. „Dem Innenminis­terium ist jedoch bekannt, dass insbesonde­re im Internet Tuning-Kits angeboten werden“, sagt Behördensp­recher Carsten Dehner. „Dabei gilt im Grundsatz: Der Verkauf solcher Kits ist legal, der Einbau und Betrieb im öffentlich­en Verkehrsra­um sind verboten.“Im Südwesten führe die Polizei deshalb auch stichprobe­nartig Kontrollen durch; dabei müsse die Leistungss­teigerung des E-Bikes von einem Sachverstä­ndigen nachgewies­en werden.

Solche Experten gibt es auch beim Prüfkonzer­n Dekra. „In der Regel werden unsere Fachleute von den Behörden dann hinzugezog­en, wenn es zu einem schweren Unfall gekommen ist“, sagt ein Sprecher des Unternehme­ns. Der Auftrag sei dann, die Unfallursa­che herauszufi­nden. „Bei der Unfallanal­yse durch unsere Experten spielt dann auch eine Rolle, ob ein Pedelec manipulier­t worden ist.“(dpa)

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FOTO: DPA Verbotene Helfer: Das Tuning von Pedelecs stellt die Polizei vor neue Herausford­erungen.

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