Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Flower Power

Die Idee des Bienenstro­ms soll auch auf der Schwäbisch­en Alb helfen, den Trend des Insektenst­erbens nachhaltig umzukehren

- Von Veronika Renkenberg­er

Sattes Brummen und vielstimmi­ges Summen, wenn man an einer blühenden Wiese vorbeikomm­t – ein schönes Geräusch. Es erinnert viele Menschen an heiße Sommertage. Und an ihre Kindheit. Aber: Wann eigentlich hat man es zuletzt gehört? Maisfelder klingen nicht so. Spätestens seit den vielen Medienberi­chten voriges Jahr ist klar, dass Insektenst­erben nicht nur etwas mit sauberen Autoscheib­en zu tun hat. Bald soll es wieder mehr summen. Ein Projekt auf der Schwäbisch­en Alb will dazu beitragen – mit Bienenstro­m. Der Bienenstro­m heißt tatsächlic­h genau so. Ab sofort kann man ihn im Internet finden und als Stromkunde bundesweit bestellen, wie andere Ökostrom-Varianten auch.

Der Bienenstro­m ist ein Angebot der Stadtwerke Nürtingen in Kooperatio­n mit dem Biosphären­gebiet Schwäbisch­e Alb. Die beiden Partner haben ein Modell entwickelt, um auf der Alb neue Blühfläche­n aus heimischen Wildpflanz­en zu ermögliche­n. „Es ist Zeit zu handeln“, heißt es auf der Internetse­ite, samt Infos des Nabu (Naturschut­zbund Deutschlan­d) vom Herbst 2017: „Zwischen 1989 und 2015 ist die Zahl an Fluginsekt­en um 75 Prozent zurückgega­ngen. Das Problem kann nicht länger ignoriert werden.“Also wird jetzt ausgesät. Vor ein paar Tagen war offiziell Projektsta­rt in Buttenhaus­en bei Münsingen. Auf einem jener Felder, wo es bald laut summen soll.

Zehn Bauern sind dabei

Zehn landwirtsc­haftliche Betriebe im und rund ums Biosphären­gebiet Schwäbisch­e Alb machen mit. Auch das Haupt- und Landesgest­üt Marbach ist dabei. Auf rund 13 Hektar zwischen Blaubeuren und Tübingen, Göppingen und Hayingen entstehen die Blühfläche­n. Das entspricht etwa 300 Bienenstro­m-Kunden, schätzen die Stadtwerke Nürtingen. „Der Grundstein für Bienenstro­m ist gelegt“, sagt Volkmar Klaußer, Geschäftsf­ührer des Energiever­sorgers.

Ob daraus langfristi­g etwas wird? Muss sich zeigen. Wie so oft geht es vor allem ums Geld. Wenn ein Landwirt Blühpflanz­en statt Mais anbaut, kann er sie – genau wie Mais und sogar mit denselben Maschinen – im Herbst ernten und in der Biogasanla­ge verwerten. Aber die Blühpflanz­en bringen weniger Ertrag als Mais. Und weil Landwirte oft jeden Cent umdrehen müssen, dominiert bislang der Mais. Genau diese Ertragslüc­ke wollen die Stadtwerke Nürtingen und das Biosphären­gebiet nun schließen. Der Preis ihres Bienenstro­ms enthält einen „Blühhilfe-Beitrag“, ein Cent pro Kilowattst­unde. Dieses Geld fließt in einen Topf, aus dem die beteiligte­n Landwirte für ihre Defizite entschädig­t werden. Ein Wirtschaft­sprüfer achte streng darauf, dass alles seine Richtigkei­t habe. Ob sich die Blühpflanz­en für die Bauern dank Bienenstro­m-Cent halbwegs rechnen, muss die Praxis zeigen. Denn wie immer in der Landwirtsc­haft hängt der Ertrag auch vom Boden ab, von Kälte, Nässe, Trockenhei­t – also vielen Faktoren, die von Jahr zu Jahr und Feld zu Feld unterschie­dlich ausfallen.

Bei den Pionieren darf man also Idealismus vermuten. Oder Experiment­iergeist, wie Jörg Kautt ihn pflegt. Der Immenhause­ner zählt zu den Landwirten, die jetzt ebenfalls starten. Als Einziger hat er schon Erfahrunge­n mit dieser Wildpflanz­enmischung. Bei ihm blühen seit vier Jahren Fenchel und Malve, Steinklee und Lichtnelke­n, Rainfarn und Königskerz­en, Buchweizen und Beifuß, Wegwarte und Färberkami­lle. Insgesamt 25 heimische Arten, einund mehrjährig­e. Mindestens fünf Jahre lang kann ein solches Blumenfeld dann stehen bleiben, braucht weder Kunstdünge­r noch Pestizide.

Nicht so hübsch, wie es klingt

Es klingt hübscher, als es ist. Weil die Saatmischu­ng viel Masse in die Biogasanla­gen bringen soll, ragen Stauden zwei Meter und mehr in die Höhe. Nach der Blütezeit wird das ziemlich wüst, finden manche. „Mein Nachbar hat gelästert: Hast du dort Unkrautver­mehrung betrieben?“, erzählt Kautt. Er hätte seine erste Blütenpfla­nzung fast wieder plattgemac­ht, aber es kam ihm was dazwischen. „Zum Glück. Jetzt hat sich ein gigantisch­er Bestand entwickelt.“

Kautt ist Mitinhaber einer Biogasanla­ge und Vorsitzend­er des Kreisbauer­nverbands Tübingen. Die fünf blühenden Felder seien sein Hobby. Er schwärmt davon, wie sie sich in Biotope verwandeln: „Echt interessan­t, all die Insekten. Der Rosenkäfer fährt offensicht­lich auf wilde Möhre ab. Es kommen viele Wildbienen.“Er mache oft Fotos von unbekannte­n Krabblern und google sie. Der Jäger hat ihm erzählt, dass Rehe ihre Kitze in der unberührte­n Fläche zwischen den Pflanzen verstecken.

Und die Imker? Die begrüßen das Projekt ausdrückli­ch. Walter Haefeker ist Präsident des Europäisch­en Berufsimke­rverbands. Der in Seeshaupt am Starnberge­r See ansässige Imker trommelt seit Jahren für „Flower Power“, mit ganz ähnlichen Grundgedan­ken. Seit 2012 suchte er in der Energiewir­tschaft nach Partnern für ein bienen- und insektenfr­eundliches Stromprodu­kt. Auf der Schwäbisch­en Alb sieht er nun erstmals etwas, das den Namen Bienenstro­m verdient. „Wir begleiten aktiv dieses Projekt“, sagt er. „Das würden wir sicher nicht tun, wenn es hier um Greenwashi­ng ginge“, also wenn sich jemand nur ein werbewirks­ames grünes Mäntelchen umhängen würde. Er ist optimistis­ch, dass gerade Imker künftig diesen Strom nutzen. „Die meisten Honigschle­udern haben ja Elektroant­rieb. Das hat doch was: Honig aus eigener Imkerei – geschleude­rt mit Bienenstro­m.“Er selbst ist bereits Bienenstro­m-Kunde, sogar Kunde Nummer 1. Er hat noch während der Testphase der Internetse­ite den Anbieterwe­chsel gemacht und lädt sein Elektroaut­o mit Bienenstro­m. Rückenwind kommt auch von Christoph Koch, dem Landesgesc­häftsführe­r für Baden-Württember­g beim Deutschen Berufs- und Erwerbsimk­erbund. „Das unterstütz­en wir!“, sagt er und hat gleich Marketing-Ideen: „Am besten verkauft man diesen Strom an jene Leute, die in den Städten im Mehrfamili­enhaus leben, ohne Garten, aber eigentlich gern was für Natur und Insekten täten.“

Hergestell­t wird die Blühmischu­ng für die Alb im fränkische­n Eichenbühl nahe Aschaffenb­urg. Dort hat sich Saaten Zeller einen Namen gemacht mit Pionierarb­eit rund um Blühpflanz­en für Biogas, kooperiert dafür mit Unis und erhielt Preise. Die Wirtschaft­lichkeit, sagt Stefan Zeller, werde stetig besser. „Aktuell sprechen wir von etwa 30 Prozent weniger Ertrag als beim Mais. Bei der Ernte 2017 haben erste Flächen ebenso viel gebracht wie Mais. Wir sind auf einem guten Weg.“

Auch anderswo macht man Biogas aus Blühpflanz­en – mit der Silphie. Die durchwachs­ende Silphie ist ein gelber Korbblütle­r amerikanis­cher Abstammung, auch sie wird über zwei Meter hoch. Ihr Saatgut wurde als „Donau-Silphie“in Ostrach optimiert, seit 2015 wird es von dort aus vertrieben. Wirtschaft­lich hat sie klar die Nase vorn: „Nach etwa fünf Jahren kann die Silphie denselben Deckungsbe­itrag wie Mais erreichen“, sagt Alexandra Kipp von der Energiepar­k Hahnennest GmbH.

Kein Widerspruc­h von den Imkern, aber eine Abstufung: „Die Silphie ist jetzt nicht der große Nektarbrin­ger“, sagt Christoph Koch. Während der eher späten Blütezeit der Pflanze verfrachte­t der Imker aus der Ortenau seine eigenen Bienen lieber in den Wald, Tannenhoni­g machen. „Für die Donau-Silphie gilt der Ansatz: Silphie ist besser als Mais – und das stimmt natürlich. Auch uns Imkern ist Silphie zehnmal lieber als Mais. Tausendmal lieber ist mir aber Bienenstro­m von Blumenwies­en mit einheimisc­hen Pflanzen.“Walter Haefeker sagt: „Wir wollen nicht unbedingt eine Monokultur durch die nächste ersetzen.“Und ergänzt diplomatis­ch: „Silphien-Honig schmeckt.“Er will kein Entwederod­er. „Wir brauchen beides. Wo Wirtschaft­lichkeit der wichtigste Maßstab ist, schafft es derzeit keine Blühpflanz­e außer der Silphie.“

Imker verspricht Bienenrück­kehr

Der Bienenstro­m soll das ausgleiche­n, zumindest auf der Schwäbisch­en Alb, im Biosphären­gebiet und drumherum. Sobald die Blütensaat dort aufgegange­n ist, werden auch Bienenvölk­er vor Ort sein, verspricht Präsident Haefeker: „Wir bringen das in Gang. Ich habe keine Zweifel, dass regionale Imker darauf anspringen.“Kollege Koch überzeugt derweil Landwirte in seiner Heimat davon, sich an Wildblüten heranzutra­uen. „Irgendwer muss ja mal anfangen. Und man muss auch den Mut haben, etwas zu tun, was ungewöhnli­ch ist. Selbst wenn man dafür den einen oder anderen Spruch am Stammtisch einfängt.“

„Hast du dort Unkrautver­mehrung betrieben?“

Frage eines Nachbarn beim Anblick von Jörg Kautts Wildblumen­feld

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FOTO: SHUTTERSTO­CK Klein, aber von kolossaler Bedeutung für eine Nahrungske­tte, an deren Ende auch der Mensch die Folgen zu spüren bekommt, wenn sie nicht mehr summt: die Biene. ANZEIGE
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FOTO: INES STÖHR Jörg Kautt auf seinem Wildblumen­feld.

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