Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Unnahbar bis zum Abwinken
Sebastian Baumgarten inszeniert „Salome“nach Oscar Wilde und Einar Schleef am Staatsschauspiel Stuttgart
STUTTGART - Die Oper „Salome“von Richard Strauss beruht auf dem Einakter von Oscar Wilde aus dem Jahr 1891. Während die Oper sehr bekannt ist, wird die Vorlage kaum gespielt. 1977 brachte der Autor und Regisseur Einar Schleef eine eigene Bearbeitung von Wildes Stück zur Uraufführung. In Stuttgart hat nun Sebastian Baumgarten beide „Salome“-Texte zu einem Comic mit Splatter-Elementen verarbeitet. In der Titelrolle ist eine fulminante Julischka Eichel zu sehen.
Bei Wilde ist Johannes der Täufer ein Frauenverächter. „Zurück, Tochter Babylons! Durch das Weib kam das Übel in die Welt“, weist er Salome zurück, nachdem die um ihn geworben hatte. In der Bibel ist lediglich von der Tochter der Herodias die Rede. Dass die begehrende Frau Salome gewesen sein soll, ist eine Ausschmückung späterer Zeiten. Wilde sah in Salome eine laszive Genießerin. Bei Einar Schleef wurde sie zu einer starken und emanzipierten Frau.
Eine wilde Mischung
Und Sebastian Baumgarten? Der Opern- und Schauspielregisseur weitet die Interpretation noch aus. Ein Mitarbeiter der Nasa blickt vom Mond aus auf die Dekadenz auf der Erde. Der coole Mondfahrer mit dem Whiskyglas klärt uns auf, dass das Christentum solche Geschichten brauche, um eine Ideologie der Frauenverachtung zu etablieren. Die Sexualität der Frau werde als unrein und verachtenswert dargestellt und in die Tabuzone verbannt. Dort glaubte man sie unter Kontrolle zu haben.
Dass auch das nur männliche Erzählungen sind, zeigt Baumgarten, indem er Salome jenseits gängiger Tabuzonen etabliert. Die Stuttgarter Tänzerin mit dem Killerinstinkt ist eine souveräne Frau und betritt Tabubereiche derart selbstverständlich, dass es nie peinlich wird. Zu danken ist das Julischka Eichel, die wie eine frühreife Göre kreischt, als Bordellschwalbe auf High Heels stöckelt, zugleich schmollendes Mädchen und coole Lady sein kann, wenn sie nicht gerade ihre Arme wie Schlangen tanzen lässt. Eichel spielt aber auch so, dass diese lockende Frau kontrolliert und unnahbar bis zum Abwinken ist.
In solch eine sollte man sich besser nicht verlieben, was der jugendlich dumme Narraboth (Christian Czeremnych) zu spüren bekommt. Salome bezirzt ihn, auf dass er das Gitter der Zisterne öffne, in der Johannes der Täufer (Paul Grill) gefangen gehalten wird. Wuchtet der wortgewaltige Prophet sich dann aus seinem Gefängnis, umgarnt Julischka Eichel ihn derart verführerisch, dass Narraboth auf der Stelle Harakiri begeht.
Eigentlich ist er ja ein syrischer Prinz. Aber die Inszenierung ist verliebt in Zitate der Kulturgeschichte. Das reicht von der Nasa-Vorrede über Filmeinlagen bis hin zum Bühnenbild. Thilo Reuther hat den Hintereingang des Jerusalemer King David Hotels nachgebaut. Wer dort residiert, blickt hinüber zum Ursprung vieler Religionskonflikte: dem Jerusalemer Tempelberg. Bei Baumgarten ist das Nobelhotel eine TechnoHölle. Öffnen sich die Türen, wummert von drinnen ein infernalischer Sound, während Herodes, Statthalter von Galiäa und Peräa, tänzelnd vor der Lasterhöhle stolziert.
Thomas Wodianka macht ein überfordertes Rumpelstilzchen aus ihm. Gerade ist Tigellinus zu Besuch, ein römischer Gesandter. Herodes ist aber alles andere als ein guter Gastgeber. Das mit der souveränen Herrschaft klappt auch nicht wirklich, hat er angesichts der prophetischen Zeitbombe im Zisternenschacht doch die Hosen voll. Und das mit der Ehe ist alles andere als zielführend, begehrt er in Wirklichkeit doch die Tochter, die seine Frau mit ihn die Ehe brachte. An dieser Stelle kommt Herodias ins Spiel, aus der Astrid Meyerfeldt die coole Vorstandsvorsitzende einer Männerverwertungs-AG macht.
So eine hat alles und vor allem den Profit im Blick, auch wenn sie gerade ihren Gatten ankreischt und so tut, als sei sie eifersüchtig. In Wirklichkeit hat sie mit der Tochter wohl abgesprochen, dass die den Schleiertanz nach einigem Zieren doch noch aufführt. Schließlich verspricht Herodes im Gegenzug ja das halbe Reich. Dass Salome am Ende „nur“den Kopf des Täufers will, überrascht die Mutter dann allerdings.
Der Schleiertanz steht in Stuttgart natürlich auch auf dem Programm. Julischka Eichel bewegt ihre Arme wellenförmig, während auf ihren Körper nackte Frauen und Männer projiziert werden. Die entsprechen nicht unbedingt dem aktuellen Schönheitsideal. Genau das ist aber ziemlich gut so.
Weitere Vorstellungen am 17.5. sowie am 1., 23. und 27.6. Kartentelefon: (0711) 202090 www. schauspiel-stuttgart.de