Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Nahwärme: Gericht kippt Anschlusszwang
Verwaltungsgericht gibt Bauherrin Recht, die gegen die entsprechende Satzung geklagt hatte
BIBERACH - Die Stadt Biberach kann Bauherren im neuen Wohngebiet Hochvogelstraße nicht zwingen, ihre Gebäude an das Nahwärmenetz des Energieversorgers Ewa Riss anzuschließen, das dort verlegt ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Sigmaringen in einem inzwischen rechtskräftigen Urteil entschieden. Eine Bauherrin hatte gegen die entsprechende Satzung der Stadt Biberach geklagt.
Das Erdwärmenetz, das seit knapp zwei Jahren in Betrieb ist, funktioniert nach dem Prinzip der sogenannten kalten Nahwärme. Diese Bezeichnung bezieht sich auf das niedrige Temperaturniveau des Wasser-Glykol-Gemischs (nur sechs bis zwölf Grad Celsius), mit dem die Häuser geheizt, im Sommer aber auch gekühlt werden können. In einer Wiese neben dem Baugebiet versorgen 35 Erdsonden aus 200 Metern Tiefe das Netz mit Wärme (SZ berichtete).
Laut Stadt und Ewa Riss ist die erzeugte Energie zu 100 Prozent ökologisch. Damit sich die Investition von rund einer Million Euro aber auch rechnet, hatte die Stadt zusammen mit dem Bebauungsplan 2014 eine Satzung erlassen, die den Anschlusszwang für Bauherren an das Nahwärmenetz formulierte. Die Möglichkeit einer Befreiung ist darin zwar genannt – welche genauen Voraussetzungen dafür erforderlich sind, wird jedoch nicht näher ausgeführt.
Obwohl die Käufer der Grundstücke aus Sicht der Stadtverwaltung von Anfang an über das Nahwärmenetz und den Anschlusszwang informiert waren, artikulierten in der Folge einzelne Bauherren mehrfach ihren Unmut. Die Kosten seien vergleichsweise hoch, die Nutzungsdauer des Nahwärmefelds nicht ausreichend geklärt, lautete die Kritik.
Eine Bauherrin, die im Baugebiet ein Niedrigstenergiehaus samt großer Photovoltaikanlage bauen will, klagte im Sommer 2016 gegen die Satzung. Sie erhob dabei keinen Anspruch auf eine Befreiung, sondern hielt die gesamte Satzung für unwirksam.
Das VG gab ihr in seinem Urteil, das der SZ vorliegt, Recht und begründete dies in zwei Punkten. So hatte die Stadt in ihrer Satzung das Nahwärmenetz der Ewa Riss als „öffentliche Einrichtung“bezeichnet. Dies sei aber nicht der Fall, weil die Stadt an der Ewa Riss nur zu 50 Prozent beteiligt sei. Die anderen 50 Prozent gehören dem Energiekonzern EnBW. Für eine öffentliche Einrichtung brauche die Stadt aber hinreichende Einwirkungsund Kontrollrechte, um vollen Einfluss auf Entscheidungen nehmen zu können. Dies sei hier nicht der Fall, argumentiert das VG.
Auch die Regelung für eine Befreiung vom Anschlusszwang genüge nicht den Anforderungen, lautete der zweite Punkt, warum das VG die Satzung in diesem Fall nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Es berief sich dabei auf ein nicht-veröffentlichtes Urteil des VG Stuttgart aus dem Jahr 2001. Demzufolge hätten Tatbestände für eine Befreiung vom Anschlusszwang in der Satzung konkret festgelegt werden müssen.
„Diesen Punkt hätten wir neu formulieren und durch einen erneuten Satzungsbeschluss des Gemeinderats heilen können“, sagte Baubürgermeister Christian Kuhlmann auf Nachfrage der SZ. Ihm sei die Befreiungsregelung wichtig gewesen. „Wir haben uns bei der Formulierung der Satzung an üblichen Satzungsmustern orientiert.“Das Urteil von 2001, dass das VG nun herangezogen habe, sei beim Bauverwaltungsamt nicht bekannt gewesen, als die Satzung für das Nahwärmenetz erarbeitet wurde, so Kuhlmann.
Nicht heilbar ist aus Sicht des Baubürgermeisters allerdings der Punkt der „öffentlichen Einrichtung“. „Dazu müssten wir die Gesellschafterverträge zwischen Stadt und EnBW ändern, was wir momentan aber nicht anstreben“, sagt Kuhlmann.
Stadt will Bauherren anschreiben
In den nächsten Tagen will die Stadt alle Bauherren per Brief über das VGUrteil und seine Folgen informieren. In der Praxis bedeutet es, dass kein Bauherr mehr gezwungen ist, sich an das Nahwärmenetz anzuschließen. Ein Großteil hat dies allerdings bereits getan. „Von 38 Einfamilienhäusern sind 27 angeschlossen, bei fünf ist es derzeit unsicher“, sagt Dietmar Geier, Geschäftsführer der Ewa Riss. Angeschlossen sind auch alle Mehrfamilienhäuser im Baugebiet. Auch bereits erfolgte Anschlüsse können wieder aufgehoben werden. Geier hält dies aber für eine theoretische, weil kostenintensive Variante: „Die Bauherren müssten sich dann eine eigene neue Heizung installieren.“Außerdem funktioniere das Nahwärmenetz einwandfrei.
Nach Ablauf der gewählten Vertragszeit (zehn oder 15 Jahre) seien die Hausbesitzer dann frei in der Wahl der Energieversorgung. Er gehe aber davon aus, dass die meisten am Nahwärmenetz bleiben werden. „Die Anlage ist auf mindestens 50 Jahre Laufzeit ausgelegt“, so Geier.
Mehrkosten sollen durch das jetzt erfolgte Urteil aber weder für die Stadt noch für die bereits angeschlossenen Bauherren entstehen. „Sollten sich einige nun nicht anschließen, fehlt deren Abnahmemenge an Wärme und wir werden länger warten müssen, bis sich die ganze Anlage amortisiert“, sagt Geier.
Die Stadt ziehe aus der ganzen Sache die Konsequenz, „dass wir zwar weiter über Nahwärmenetze nachdenken, aber ohne Anschlusszwang“, so Kuhlmann. Möglicherweise werde die Stadt dann finanziell in Vorleistung gehen müssen „und hoffen, dass es so attraktiv ist, dass sich möglichst viele anschließen wollen.“