Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Keine Selbstläuf­er

Eine Studie zeigt, dass es Internethä­ndler von nebenan kaum schaffen, den großen Anbietern Paroli zu bieten

- Von Erich Reimann

DÜSSELDORF (dpa) - Immer mehr Einkaufsst­raßen in Deutschlan­d leiden wegen des Booms im OnlineHand­el unter sinkenden Besucherza­hlen. Rettung verspreche­n sich viele Kommunen in dieser Situation von lokalen Online-Marktplätz­en und digitalen Schaufenst­ern. Sie sollen die lokalen Händler auch im Internet sichtbar machen. Doch eine neue Studie weckt Zweifel an den Erfolgsaus­sichten dieser Strategie.

Sie heißen zum Beispiel Flensburg-Shopping.de, Kaufen-im-Allgäu.de, Online-City Wuppertal, Kiezkaufha­us Wiesbaden oder GoCoburg: Es sind gemeinsame Internetau­ftritte, mit denen lokale Händler in immer mehr Städten versuchen, der Konkurrenz von Amazon und Co. etwas entgegenzu­setzen.

74 digitale Initiative­n

Insgesamt 74 digitale Initiative­n zählt die „Local Commerce Alliance“inzwischen bundesweit. Das Spektrum reicht vom reinen OnlineScha­ufenster bis zu Marktplätz­en mit Einkaufsmö­glichkeit und Reservieru­ngsfunktio­n. Es gibt sie in der Millionens­tadt Hamburg ebenso wie in der schwäbisch­en 20 000-Einwohner-Gemeinde Günzburg, im rheinische­n Bonn und im oberbayeri­schen Pfaffenhof­en.

Doch eine aktuelle Studie lässt Zweifel aufkommen, ob die Marktplätz­e die in sie gesetzten Hoffnungen wirklich erfüllen können. Bei der Umfrage hatten Studenten der Hochschule Koblenz mehr als 200 Händler befragt, die an lokalen OnlineProj­ekten teilnehmen. Das Ergebnis fasste das Wirtschaft­smagazin „Harvard Business Manager“unter dem Titel zusammen: „Online-Handel – Lokale Marktplätz­e bringen nichts“.

Tatsächlic­h gaben die meisten Teilnehmer an, die Beteiligun­g an den Online-Marktplätz­en habe bei ihnen weder zu höheren Besucherza­hlen noch zu mehr Einkäufen im Laden geführt. Auch die Online-Verkäufe fielen demnach nur vereinzelt höher aus. Der überwiegen­de Teil der Befragten gab an, sie könnten anderen Händlern in vergleichb­arer Situation eine Teilnahme nicht empfehlen.

Zwar ist die Aussagekra­ft der Studie wegen der vergleichs­weise geringen Teilnehmer­zahl begrenzt. Doch hat der Leiter der Studie, der Koblenzer Wirtschaft­sdozent Andreas Hesse, angesichts der Eindeutigk­eit der Ergebnisse wenig Zweifel an ihrer grundsätzl­ichen Aussagekra­ft. Für ihn steht fest: „Solche Marktplätz­e sind kein Selbstläuf­er. Es ist gar nicht einfach, daraus einen Erfolg zu machen.“Wenn es um Auswahl oder Preise gehe, hätten die lokalen Marktplätz­e überhaupt keine Chance gegen Amazon oder Zalando. Sie müssten mit ganz anderen Vorteilen punkten.

Ein kurzer Blick auf die Seiten der Online-City Wuppertal reicht, um zu verstehen, was Hesse meint. Die Grenzen des Angebots sind schon auf den ersten Blick unübersehb­ar. Frische Lebensmitt­el sucht man vergeblich. Es gibt hauptsächl­ich Süßigkeite­n, Wein und Spirituose­n. Das Bekleidung­sangebot ist überschaub­ar. Zwar gibt es einiges an Accessoire­s, doch bei Jeans muss sich der Kunde mit sechs verschiede­nen Modellen, bei T-Shirts mit 15 Offerten und bei Röcken mit gerade einmal drei Alternativ­en zufriedeng­eben.

Zum Scheitern verurteilt

Für den E-Commerce-Experten Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhei­n ist der Versuch, die Verbrauche­r mithilfe von Online-Marktplätz­en zurück in Innenstädt­e zu locken, zum Scheitern verurteilt. „Die lokalen Marktplätz­e widersprec­hen in vielen Punkten dem, was die deutschen Verbrauche­r wollen: Die Auswahl ist kleiner, die Preise sind höher. Es gibt Begrenzung­en an allen Ecken und Enden. Das wird nicht funktionie­ren“, ist er überzeugt.

Für ihn steht fest: Die lokalen Händler haben nur eine Zukunft, wenn es ihnen gelingt, sich ein Stück von dem größer werdenden OnlineKuch­en abzuschnei­den. Dabei könne aber ein rein lokaler Marktplatz nur wenig helfen, wichtig sei hier die Zusammenar­beit mit einem der großen etablierte­n Player wie Ebay oder Amazon.

Ein Beispiel für eine solche Lösung ist das von Heinemann initiierte Projekt Mönchengla­dbach bei Ebay. Es bietet Händlern neben einer eigenen Mönchengla­dbach-Seite auch Zugang zu Millionen Ebay-Kunden weltweit. „Das sorgt zwar nicht für zusätzlich­e Belebung in der Mönchengla­dbacher Innenstadt, aber es hilft den beteiligte­n Mönchengla­dbacher Händlern zu überleben“, meint Heinemann.

Doch nicht alle Experten sehen so schwarz für die lokalen Marktplätz­e. Für den E-Commerce-Experte Kai Hudetz vom Kölner Institut für Handelsfor­schung (IFH) sind die Schwächen der bisherigen Projekte eher ein Grund, das ganze Konzept neu zu denken: weniger handelsfix­iert, dafür mehr serviceori­entiert.

„Das Ziel muss sein, den lokalen Online-Marktplatz zum selbstvers­tändlichen Anlaufpunk­t für den Verbrauche­r zu machen. Das wird mit einem doch sehr begrenzten Shopping-Angebot allein nicht gelingen“, meint er. Die Marktplätz­e müssten viel mehr bieten: etwa die Möglichkei­t, einen Friseurter­min zu vereinbare­n, einen Restaurant­tisch zu reserviere­n, Theaterkar­ten zu buchen, Behördengä­nge online zu erledigen oder sich über die Parkplatzs­ituation in der Innenstadt zu informiere­n. „Dass auch noch etwas gekauft wird, ist am Ende vielleicht eher eine Begleiters­cheinung.“

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FOTOS: DPA Markus Kuhnke gehört ein Süßwarenla­den in Wuppertal. Er ist auch auf der Internetse­ite der OnlineCity Wuppertal vertreten.
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Vom boomenden Onlinehand­el wollen auch immer mehr lokale Händler profitiere­n.

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