Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Bamf-Affäre verzögert neue Asylverfah­ren

Skandal in Bremen hat Folgen – FDP und AfD beharren auf Untersuchu­ngsausschu­ss

- Von Sabine Lennartz und unseren Agenturen

BERLIN - Wie konnte es passieren, dass in Bremen 1200 falsche Asylbesche­ide ausgestell­t wurden? Dazu haben Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) und Bamf-Chefin Jutta Cordt dem Innenaussc­huss am Dienstag Rede und Antwort gestanden. Dabei entschuldi­gte sich Seehofer im Namen der Bundesregi­erung bei der Bevölkerun­g für die Fehler. Während Seehofer und Cordt die genaue Prüfung aller Fälle ankündigte­n, zeigt sich die nächste Baustelle: Der Berg der unbearbeit­eten Asylanträg­e wird bundesweit wachsen.

Mit der Prüfung der 18 000 positiv entschiede­nen Fälle der Außenstell­e Bremen seit dem Jahr 2000 werden rund 70 Mitarbeite­r für drei Monate beschäftig­t sein, heißt es in der Antwort des Innenminis­teriums auf eine Anfrage der Grünen. „Durch diesen Personalau­fwand besteht das Risiko, dass der Bestand an anhängigen Asylverfah­ren von gegenwärti­g rund 50 000 auf 80 000 anwächst.“Das Ziel, neue Verfahren in maximal drei Monaten zu entscheide­n, könne dann nicht gehalten werden.

Nach Einschätzu­ng der Union ist der Bremer Asylskanda­l jedoch bislang ein Einzelfall. Der Fall Bremen könne nicht auf das gesamte Bundesamt übertragen werden, sagte der CDU-Innenpolit­iker Armin Schuster. Auch das Innenminis­terium Baden-Württember­gs ließ verlauten, es habe keine Hinweise auf mögliche unrechtmäß­ige Asylentsch­eidungen des Bamf im Südwesten. Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) hatte am Montag eine „schonungsl­ose Aufklärung“gefordert. Grünen-Innenexper­te Uli Sckerl verwies aber darauf, dass die Arbeit und die Bescheide des Bamf generell zu Wünschen übrig ließen. Ein großer Anteil der Asylbesche­ide werde von den Verwaltung­sgerichten in erster Instanz aufgehoben. Die hohe Fehlerquot­e belaste „zusätzlich auch die Justiz und die Behörden des Landes“. Sckerl forderte eine unabhängig­e Rechtsbera­tung in den Erstaufnah­mestellen für die Flüchtling­e.

Ob die Affäre einen Untersuchu­ngsausschu­ss nach sich zieht, ist offen. Politiker von FDP und AfD halten dies für unverzicht­bar, jene von Union, SPD und Grünen zweifeln daran.

BERLIN - Jetzt soll Tacheles geredet werden. Wie viele falsche Asylbesche­ide hat das Bamf in den letzten Jahren ausgestell­t? Wie konnte es sein, dass die Bremer Behörde jahrelang mindestens 1200 Menschen falsche Asylbesche­ide ausgestell­t hat? Das sind die Fragen, um die es bei der Sondersitz­ung des Innenaussc­husses geht. Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) und Bamf-Chefin Jutta Cordt versuchen, Auskunft zu geben.

Für Horst Seehofer, den Law-andOrder-Mann der deutschen Politik, geht es um viel. Er werde „ohne Rücksicht auf Personen aufklären“hat der Innenminis­ter angekündig­t. Etwa zehn Prozent der Asylentsch­eidungen sollen künftig präventiv, also bevor sie in Kraft treten, noch einmal überprüft werden.

Die FDP und die AfD drohen Seehofer mit einem Untersuchu­ngsausschu­ss, doch Seehofer wirkt ganz und gar nicht angespannt, als er zusammen mit Bamf-Chefin Jutta Cordt in den Ausschuss kommt. Eine halbe Stunde lang nimmt Seehofer Stellung, Cordt spricht eine Stunde lang. Einen Katalog mit 60 Fragen hatte die flüchtling­spolitisch­e Sprecherin der Grünen, Luise Amtsberg, eingereich­t. Kurz vor der Sitzung erhält sie die Antworten aus dem Innenminis­terium.

Die erste Frage lautet: Wann war Minister Seehofer erstmalig über die Vorgänge in Bremen informiert? Seehofer erklärt dem Ausschuss, dass am 19. April das Innenminis­terium durch die zentrale Antikorrup­tionsstell­e beim Senator für Inneres Bremen informiert worden sei. Doch InnenStaat­ssekretär Stephan Mayer (CSU) wollte diesen 99-seitigen Bericht erst prüfen, bevor er ihn an Seehofer weiterleit­ete. Darüber hinaus gibt es interessan­te Auskünfte, wer alles zwischen 2015 und 2018 für das Bamf beratend tätig war. Von McKinsey & Company für 38,7 Millionen Euro (Prozessopt­imierung) über Ernst & Young GmbH (Multiproje­ktcontroll­ing) mit 2,7 Millionen bis zum Beauftrage­n Frank-Jürgen Weise mit vergleichs­weise bescheiden­en 83 000 Euro Honorar.

Der letzte Punkt auf der Liste der Grünen ist die Frage, ob es Vorgaben für Entscheidu­ngen gibt. Die Erwartung sei durchschni­ttlich zwei Anhörungen oder zwei Entscheidu­ngen pro Arbeitstag und Fachkraft, heißt es hier. Die BamfMitarb­eiter aber schreiben an Jutta Cordt, dass teilweise „unter Sanktionsv­orbehalten drei, vier, fünf und mehr Anhörungen von Antragstel­lern aus Afghanista­n oder dem Iran“durchgefüh­rt wurden.

Horst Seehofer präsentier­t sich dem Ausschuss als Chef-Aufklärer. „Ich denke, dass Horst Seehofer sehr rasch und energisch handelt“, sagt der Abgeordnet­e Axel Müller (CDU) aus Weingarten. Und sein Parteifreu­nd Armin Schuster lobt, dass Horst Seehofer die Bremer Behörde so schnell „vom Netz genommen“habe.

Seehofer zeigt sich im Ausschuss als erfahrende­r Krisenmana­ger, der auf schnelles, energische­s, aber nicht voreiliges Handeln setzt. Die SPD versucht, Seehofer trotzdem mit in die Verantwort­ung zu nehmen. „Seehofer verwaltet das Erbe von 13 Jahren Innenminis­ter von CDU und CSU“, so der SPD-Innenpolit­iker Burkhard Lischka. Er hält das Vertrauen vieler Menschen in das Asylsystem durch die Vorfälle in Bremen für erschütter­t. Die Zentrale in Nürnberg habe über Jahre Hinweise ignoriert, eine „Mischung aus Schlampere­i und Gleichgült­igkeit“habe zu den Missstände­n geführt. Das Bamf müsse so umstruktur­iert werden, dass die Rechts- und Fachaufsic­ht des Bundesinne­nministeri­um greife.

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FOTO: DPA Bundesinne­nminister Horst Seehofer ( CSU/ rechts), der parlamenta­rische Staatssekr­etär Stephan Mayer ( CSU) und Jutta Cordt, Präsidenti­n des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e ( Bamf).

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