Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Digitale Schulen rücken in weite Ferne
Gutachten beschreibt gravierende Mängel bei Entwicklung der Bildungsplattform Ella
STUTTGART - Die Bildungsplattform Ella hat gravierende Mängel, die – wenn überhaupt – nur mit großem Aufwand zu beheben sind. Zu diesem Ergebnis kommt ein externes Gutachten im Auftrag von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), das der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. In dem Papier spricht der Autor des IT-Dienstleisters DST IT-Services von zwei Möglichkeiten: entweder weiter an Ella arbeiten, oder alles zurück auf Anfang. Für Eisenmann ist klar: „Wir müssen im Grunde bei null anfangen.“
Bereits Ende Februar sollte Ella starten, wurde aber kurz zuvor von der Kultusministerin wegen technischer Probleme gestoppt. Aus ihrem Ärger über die unfertige Bildungscloud machte sie keinen Hehl. Ella steht für „elektronische Lehr- und Lernassistenz“. Mit ihr sollen Lehrer landesweit mit Kollegen Unterrichtsmaterial austauschen und auf digitale Medien auf dem gemeinsamen Speicher im Netz zugreifen können. Erstmals bekommen auch alle Lehrer einheitliche E-Mail-Adressen. In anderen Bundesländern gibt es digitale Infrastrukturen bereits – beispielsweise seit 2014 in Bayern.
Dokumentation: Mangelhaft
Im Gutachten beschreibt Autor Sebastian Kern Licht und Schatten. Die Kommunale Informationsverarbeitung Baden-Franken (KIVBF) ist für die Entwicklung verantwortlich, arbeitete aber mit Sub- und zum Teil mit Subsubunternehmen. Den Auftrag dazu hat sie von der BitBW bekommen – einer obersten Landesbehörde, die dem Innenministerium unterstellt ist. Sie muss laut Gesetz die digitale Infrastruktur für die Landesverwaltung bereitstellen.
Was die KIVBF selbst erarbeitet hat, scheint gut zu funktionieren. So spricht Kern von einer soliden Cloud, auch das Betriebssystem und die Basisdienste seien gut realisiert. An anderer Stelle verweist er indes auf fehlende Transparenz und Virenschutzprobleme, Dokumentation und Qualitätssicherung seien mangelhaft. Kern wirft der KIVBF vor zu mauern. „Aktuell werden in Gesprächen Abgrenzung und Zurückhaltung signalisiert.“
Völlig unklar, wann Projekt startet
Sollte an Ella festgehalten werden, sei völlig unklar, wann die Plattform eingeführt werden könne und wie leistungsstark sie sei. Er scheint kein Fan dieser Lösung zu sein, wenn er sagt, dass Ella „trotz der Maßnahmen ein Kompromiss einer potenziell besseren anderen Lösung“wäre.
Die Alternative: Alles zurück auf Anfang. Das würde laut Kern aber eine lange Phase der Neuausschreibung und Projektierung bedeuten. Auch seien die Kosten hierfür völlig unklar, so Kern. Und: „Ein anderer neuer Partner ist auch keine Garantie für die erfolgreiche Umsetzung.“
Bereits jetzt hat das Land viel Geld gezahlt. 265 Millionen Euro gibt das Land dieses und nächstes Jahr für Digitalisierungsprojekte aus. Auf Ella entfällt mit insgesamt 24 Millionen die mit Abstand größte Summe. Bei der jüngsten Sitzung des Bildungsausschusses des Landtags erklärte Kultusministerin Eisenmann, dass 2017 bereits 8,7 Millionen Euro in Ella geflossen seien. Weitere Zahlungen seien im Frühjahr gestoppt worden.
Für Eisenmann ist nach der Prüfung des Gutachtens klar: „Auf dieser Basis ist Ella gar nicht umsetzbar. Von dem Ergebnis des Gutachtens angesichts der technischen Umsetzung bin ich schlichtweg entsetzt.“Eine Prognose, wann die Schulen mit der versprochenen Bildungsplattform arbeiten können, wage sie nicht. Sie wolle nun mit dem Innenministerium prüfen, ob auf dem Entwicklungsstand aufgebaut werden könne, oder ob ein Neustart die bessere Lösung sei. „Das würde bedeuten, dass wir acht Millionen Euro abschreiben können“, sagte Eisenmann am Donnerstag in Stuttgart.
Die SPD lastet den verpatzten Start von Ella der Kultusministerin an. „Das Prestige-Projekt der grünschwarzen Landesregierung endet in einem Fiasko“, erklärt Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei. Für die Pannen in der Projektorganisation, die das Gutachten beschreibe, macht er Eisenmann und auch Innenminister Thomas Strobl (CDU) verantwortlich. Bei ihm ist die BitBW angesiedelt. „Das ist ein Armutszeugnis für Grün-Schwarz und für die Schulen ein herber Rückschlag in Sachen Digitalisierung.“
Minister Strobl im Fokus
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke spricht von einer „peinlichen und millionenschweren Blamage“für die Regierung und sagt: „Weder die BitBW noch das Innenministerium haben sich offenbar, wie es die Pflichten als Projektsteuerer und Aufsicht erfordern, nachhaltig dafür interessiert, wie es um Ella steht.“
Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Sandra Boser sieht die Verantwortung ebenfalls klar bei Strobl. „Wir fordern den Minister für Digitalisierung auf, sich unverzüglich der gravierenden organisatorischen Probleme in der Landes-IT und Softwareentwicklung anzunehmen.“
Auch Eisenmann verweist auf die BitBW: „Wir sind als Kultusministerium nicht in der Lage, die technische Entwicklung zu begleiten.“Die BitBW müsse ihre Verantwortung aufarbeiten. Sie werde Konsequenzen prüfen.
Der für die Digitalisierung zuständige Ministerialdirektor im Innenministerium Stefan Krebs erklärt, dass die Prüfung des Gutachtens noch nicht abgeschlossen sei. „Es ist übrigens alles andere als ungewöhnlich, dass es bei einem derart anspruchsvollen und ambitionierten IT-Projekt zu Herausforderungen kommt“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“.