Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Bericht bestätigt Missbrauch in Kinderheim­en

Ergebnisse zu Evangelisc­her Brüdergeme­inde präsentier­t – Erzieher fühlten sich als „Stellvertr­eter Gottes“

- Von Philipp Richter

STUTTGART/WILHELMSDO­RF Prügel, sexuelle und physische Gewalt haben die Kinder in den Heimen der Evangelisc­hen Brüdergeme­inde Korntal in Korntal im Landkreis Ludwigsbur­g und in Wilhelmsdo­rf im Landkreis Ravensburg erfahren müssen. Das geht aus einem Aufklärung­sbericht hervor, der am Donnerstag in Stuttgart bei einer Pressekonf­erenz vorgestell­t worden ist. Der mehr als 400 Seiten starke Bericht befasst sich mit der Zeit zwischen den Jahren 1950 und 1990.

„Wir haben die traurige Gewissheit, was damals geschehen ist und wir müssen anerkennen, dass Kindern in unseren Einrichtun­gen schweres Unrecht angetan und Leid zugefügt worden ist“, sagte Klaus Andersen, der weltliche Vorsteher der Evangelisc­hen Brüdergeme­inde Korntal und bat alle Betroffene­n um Entschuldi­gung. Bislang habe es bereits sogenannte Anerkennun­gsleistung­en der Brüdergeme­inde an die Opfer gegeben. Diese liegen zwischen 1000 und 20 000 Euro bei schwerwieg­enden Fällen. Über die Zahlungen entschied eine Verteilung­skommissio­n.

Die beiden eingesetzt­en Aufklärer Brigitte Baums-Stammberge­r, ehemalige Richterin, und Benno Hafeneger, Erziehungs­wissenscha­ftler, erstellten den Bericht auf Grundlage von Interviews mit Opfern, ehemaligen Mitarbeite­rn und Archivarbe­it. Zwar habe sich kein System der Gewalt bestätigt, aber Gewalt und Missbrauch seien systematis­ch möglich gewesen. Hafeneger spricht von einem Angstraum mit Gewaltkult­ur, in dem Kinder Objekte der Erziehung gewesen seien. Kinder hätten in den Archivtext­en fast ausschließ­lich „negative Etikettier­ungen“gehabt. Die Erzieher hätten sich als Stellvertr­eter Gottes zum Austreiben des Bösen befugt gefühlt.

Die Mehrheit der Interviewt­en sei von sexualisie­rter Gewalt betroffen gewesen. Diese reichte von der verbalen Belästigun­g über ungewollte Berührunge­n bis hin zum Geschlecht­sverkehr. Von den 81 beschriebe­nen Tätern hätten sich acht als Intensivtä­ter herausgest­ellt. Immer wieder sei in diesem Zusammenha­ng die Sprache von einem Hausmeiste­r gewesen. Juristisch sind die Taten aber verjährt, wie die ehemalige Richterin Brigitte BaumsStamm­berger erklärte. Insgesamt habe sie 105 Betroffene interviewt.

Initiator Zander ist zufrieden

Der Aufklärung­sbericht steht am Ende eines langwierig­en Aufarbeitu­ngsprozess­es, der immer wieder von Rückschläg­en und gegenseiti­gem Misstrauen geprägt war. Jetzt, so scheint es, sind Betroffene und Brüdergeme­inde zufrieden mit dem Ergebnis. Das gilt auch für das ehemalige Heimkind Detlev Zander, das den Missbrauch­sskandal 2014 mit seiner eigenen Geschichte öffentlich gemacht hat. Am Ende der Pressekonf­erenz sagte er: „Ich sehe das als mein Lebenswerk.“Endlich sehe man, dass die Betroffene­n nicht gelogen hätten, sondern dass die Dinge wirklich geschehen seien, von denen sie über die Jahre gesprochen hätten.

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