Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Eine Finanz-Revolution

Die Idee von einem neuen Geldsystem: Volksabsti­mmung in der Schweiz zu Vollgeld

- Von Brigitte Scholtes

FRANKFURT – Es ist eine Abstimmung über eine Finanz-Revolution. Am Sonntag stimmen die Schweizer Bürger über die Einführung von Vollgeld ab. Die Initiative will, dass nur noch die Schweizeri­sche Nationalba­nk (SNB) für die Geldschöpf­ung zuständig ist. Buchgeld, das Geld also, das auf den Bankkonten liegt, dürfte nur noch von der SNB herausgege­ben werden. Das Finanzsyst­em soll dadurch sicherer gemacht werden. Fragen und Antworten hat Brigitte Scholtes zusammenge­fasst.

Was ist Vollgeld?

Vollgeld ist ein anderes Geldsystem, das nur noch der Notenbank das Recht geben soll, Geld zu schöpfen. Damit soll Buchgeld in Vollgeld umgewandel­t werden. In der Schweiz sind gegenwärti­g etwa 85 Prozent der vorhandene­n Geldmenge Buchgeld.

Wie kommt denn bisher das Geld in die Welt?

Bisher haben die Notenbanke­n zwar allein die Hoheit, Geld auszugeben, also Banknoten zu drucken und Münzen zu prägen. Doch es schlummert viel mehr Geld, als in Umlauf ist, auf den Konten: In der Schweiz sind 85 Milliarden Franken als Bargeld in Umlauf, aber 561 Milliarden Franken liegen als Sichteinla­gen auf den Konten. In Europa sind 1,1 Billionen Euro Bargeld ausgegeben, aber weitere 6,7 Billionen sind als Buchgeld auf den Konten verbucht.

Warum gibt es so viel mehr Buchgeld?

Das liegt daran, dass die Geldhäuser über ihre Kreditverg­abe Geld schöpfen können. Wenn eine Bank ihrem Kunden mit entspreche­nder Bonität einen Kredit bewilligt, überweist sie ihm das Geld auf sein Girokonto. Doch sie finanziert es nicht vollständi­g mit Spareinlag­en gegen. Zur Sicherheit muss sie nur einen bestimmten Anteil bei der Zentralban­k hinterlege­n, das ist die Mindestres­erve. Im Euroraum beträgt die aktuell nur ein Prozent. Vergibt die Bank also einen Kredit von 10 000 Euro, muss sie nur 100 Euro bei der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) hinterlege­n. In der Schweiz liegt dieser Satz bei 2,5 Prozent, da wären also auf 10 000 Franken Kredit 250 Franken fällig. Der Kunde kann dieses Geld auf seinem Konto zunächst liegen lassen, er kann es aber auch direkt etwa in den Bau eines Hauses oder als Firmenkund­e in eine neue Produktion­sanlage investiere­n. Dann ist das Geld „in der Welt“.

Wo ist das Problem?

Wenn der Kunde nun physisch an sein Geld herankomme­n möchte, muss er darauf vertrauen, dass ihm die gewünschte Summe am Geldautoma­t auch ausgezahlt wird. Sinkt dieses Vertrauen, kann es zu einem „BankRun“kommen, eine Bank in einer Krise kann dann meist nicht alle Einlagen als Bargeld auszahlen. Die VollgeldIn­itiative möchte nun, dass dieses Geld in Vollgeld umgewandel­t wird. „Vollgeld macht elektronis­ches Geld auch bei Finanzkris­en so sicher wie Bargeld im Tresor“, wirbt sie für die Umstellung.

Warum gibt es die Abstimmung?

Die

Vollgeld-Initiative

befürchtet, dass nach der Banken- und der Eurokrise nun auch eine Krise des Geldsystem­s drohen könnte, wenn die Geldschöpf­ung weiter zum größten Teil den privaten Instituten überlassen wird. Sie vertraut eher darauf, dass der Staat besser mit Geld umgehen kann. Deshalb will sie die Steuerung des Geldes der Notenbank überlassen. Das geschieht, indem etwa die Zinsen verändert werden, das Geld dadurch teurer oder billiger gemacht wird – oder im übertragen­en Sinn die Notenpress­e angeworfen wird, indem am Finanzmark­t Wertpapier­e gekauft werden und damit mehr Geld in den Umlauf kommt.

Ist das so vernünftig wie es zunächst klingt?

Die Kritik am heutigen Papiergeld­system sei „ökonomisch richtig“, sagt Degussa-Ökonom Thorsten Polleit. „Ein Geldsystem, das die Entstehung von Blasen hemmt, wäre wünschensw­ert“, meint Jörg Krämer, Chefvolksw­irt der Commerzban­k. Die Banken könnten nur begrenzt ihre Kreditverg­abe ausweiten, sodass sich Schulden nicht so schnell auftürmen könnten und irgendwann die Blase platzt. Die Finanzstab­ilität könnte steigen, zudem würde der Staat profitiere­n. Denn die Gewinne aus der Geldschöpf­ung würde die Notenbank und damit am Ende der Staat einstreich­en. Doch könnte auch das jetzige Geldsystem stabiler werden, wenn die Zentralban­k sich etwas umfassende­r ausrichten würde und ihre Geldpoliti­k nicht nur auf die Inflation ausrichten würde, sondern etwa auch Vermögensp­reise wie etwa diejenigen von Aktien stärker in den Blick nehmen würde, meint Krämer.

Welche Nachteile gibt es?

„Der Notenbank wird das Leben viel schwerer gemacht“, meint Carsten Brzeski, Chefvolksw­irt der ING-Diba. Denn der politische Druck auf die Zentralban­ken werde erhöht, damit diese eine den Regierunge­n gefällige Politik betreiben. „Im Vollgeldsy­stem gewährt die Zentralban­k dem Staat zins- und tilgungsfr­eie Kredite“, meint Jörg Krämer von der Commerzban­k. Der Staat müsse also nicht mehr um Geld „kämpfen“, das wecke Begehrlich­keiten. Er bezahle mit dem Notenbankg­eld Löhne, Renten und andere Rechnungen und bringe es so in Umlauf. „ Es sei eine Illusion, dass man die Kreditverg­abe immer kontrollie­ren könne, meint ING-DibaChefvo­lkswirt Brzeski. Sollte es zu Überhitzun­gen kommen, wäre es sehr schwierig, die Geldmenge zu reduzieren. Und wenn der Staat immer mehr Geld fordere, dann sei das schlicht Staatsfina­nzierung mit der Notenpress­e, sagt Commerzban­kChefvolks­wirt Krämer. Die Schweizeri­sche Nationalba­nk warnt vor der Annahme der Vollgeld-Initiative und erklärte, das Finanzsyst­em in der Schweiz habe sich bewährt und sei sicherer geworden. Eine Umgestaltu­ng bringe „große Risiken mit sich“.

Ist die Idee nur Fantastere­i?

Nein, sagen viele Ökonomen. Intensiv werde über ein neues Geldsystem nachgedach­t. Es sei aber nur noch nicht gründlich genug geschehen, sagt Martin Hellwig, früherer Direktor des Bonner Max Planck-Instituts zur Erforschun­g von Gemeinscha­ftsgütern. Selbst wenn die Schweiz Nein sagt, wird das Thema die Ökonomen weltweit weiter beschäftig­en.

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FOTO: DPA Die Schweizeri­sche Nationalba­nk hat vor der Annahme der Vollgeld-Initiative gewarnt.

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