Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Viele Kaffeetrin­ker mögen’s zu heiß

Mehr als 65 Grad Celsius gelten als krebserreg­end – Studentinn­en widmen sich dem Thema

- Von Corinna Wolber

SIGMARINGE­N - Kaum ein Getränk trinken die Deutschen so eifrig wie Kaffee – laut Deutschem Kaffeeverb­and lag der Pro-Kopf-Konsum 2017 bei 162 Litern. Das Problem: Häufig wird er zu heiß getrunken. Die Internatio­nale Agentur für Krebsforsc­hung (IARC) bewertet sehr heiß konsumiert­e Getränke als wahrschein­lich krebserreg­end – also alles ab einer Temperatur von 65 Grad Celsius. „Es wird vermutet, dass dabei immer wieder die obere Gewebeschi­cht der Speiseröhr­e geschädigt wird“, sagt Prof. Dr. Gertrud Winkler.

Drei Studentinn­en der Hochschule in Sigmaringe­n haben sich vor diesem Hintergrun­d im Bachelor-Studiengan­g Lebensmitt­el, Ernährung, Hygiene (LEH) in Kooperatio­n mit dem Chemischen und Veterinäru­ntersuchun­gsamt (CVUA) in Karlsruhe in ihren Abschlussa­rbeiten mit diesem Thema beschäftig­t und dabei jeweils unterschie­dliche Aspekte beleuchtet. Die Ergebnisse der Abschlussa­rbeiten sind Grundlage für Krebsrisik­oanalysen und konkrete Verbrauche­rempfehlun­gen, sagt Winkler, die die Arbeiten betreut hat.

Lisa-Marie Verst erhob für ihre Arbeit die Servier- beziehungs­weise Ausgabetem­peratur von 356 Kaffees in der Gastronomi­e und von 110 Kaffees aus unterschie­dlichen Maschinent­ypen in Privathaus­halten. Damit legte sie als Erste überhaupt Temperatur­daten von Kaffeegetr­änken in Deutschlan­d vor. Die gemessenen Temperatur­en lagen sowohl im Haushalt als auch in der Gastronomi­e im Mittel zehn Grad über der Schwellent­emperatur der IARC. In der

Regel sei eine Mindestabk­ühlzeit von mindestens zehn Minuten oder eine Zugabe von mindestens 20 Milliliter­n kalter Milch ausreichen­d, um Kaffee auf Temperatur­en von unter 65 Grad Celsius abzukühlen.

Tabea Langer widmete sich den Fragen, welchen Einfluss der Bechertyp und die Füllmenge unterschie­dlicher Tassen und Coffee-to-go-Becher

„Es wird vermutet, dass dabei immer wieder die obere Gewebeschi­cht der Speiseröhr­e geschädigt wird“,

auf das Abkühlverh­alten von Kaffee haben und wie lange es dauert, bis Kaffee auf weniger als 65 Grad abgekühlt ist. „In den üblichen Coffee-togo-Bechern kühlt der Kaffee erstaunlic­h langsam ab“, sagt Gertrud Winkler. Es sei also durchaus geboten, die Becherprob­lematik nicht nur unter dem Aspekt des Umweltschu­tzes zu betrachten: „In der wissenscha­ftlichen Literatur in Deutschlan­d gibt es zu diesen Fragen keine Daten.“

Mithilfe von drei Messfühler­n im Becherinne­ren maß Tabea Langer die Abkühldaue­r von 88 Grad heißem Wasser auf unter 65 Grad; Wasser hat sagt Prof. Dr. Gertrud Winkler ein vergleichb­ares Abkühlverh­alten wie Kaffee. Pro Bechertyp wurden für verschiede­ne Füllmengen zwischen zwei und fünf Messungen durchgefüh­rt. Dabei habe sich gezeigt, dass der Abkühlvorg­ang bei einer größeren Füllmenge erwartungs­gemäß länger dauert. Einwegbech­er benötigen durchschni­ttlich zwischen 20 und

24 Minuten, um auf Temperatur­en unterhalb von 65 Grad abzukühlen. Mehrweg-Isolierbec­her brauchen sogar 29 bis 42 Minuten. Am schnellste­n kühlt Kaffee in einer Keramiktas­se ab, die längste Zeit benötigt er in einem doppelwand­igen Isolierbec­her aus Edelstahl.

Julia Dirler untersucht­e für ihre Arbeit, ab welcher Temperatur Heißgeträn­ke von Konsumente­n als zu heiß empfunden werden. An der Pilotstudi­e nahmen 87 Hochschula­ngehörige teil. Ihre bevorzugte Trinktempe­ratur von durchschni­ttlich 63 Grad und ihre Schmerzsch­welle von durchschni­ttlich 67 Grad lagen beide nahe bei der IARCSchwel­lentempera­tur von 65 Grad.

Generell lassen sich aus den Ergebnisse­n ganz konkrete Empfehlung­en für Verbrauche­r ableiten, sagt Winkler. Heißgeträn­ke sollten in den meisten Fällen vor dem Trinken durch ausreichen­d lange Wartezeite­n oder Milchzu-gabe abgekühlt werden. In Keramiktas­sen und bei geringen Füllmengen kühlten Heißgeträn­ke außerdem schneller ab. Die Professori­n findet es spannend, wie viele Folgefrage­n sich aus den Arbeiten ergeben: Wie hängen Hitze und Geschmack zusammen? Ab welcher Temperatur wird Kaffee als zu heiß empfunden? „Dafür möchten wir gern noch viel mehr Personen testen“, sagt Winkler. Warum kann der eine heißer schlucken als der andere? Und wie verhält es sich eigentlich mit Suppen?

Die Forschungs­ansätze in diesem Themenkomp­lex werden wohl so bald nicht ausgehen. Gut so, findet Winkler: „Wir wollen die Datenlage verbessern und daraus konkrete Empfehlung­en ableiten, die jeder Verbrauche­r umsetzen kann.“

Bei festen Nahrungsmi­tteln sei das Risiko, sie zu heiß herunterzu­schlucken, übrigens geringer: Diese hat man zum Kauen länger im Mund.

„In den üblichen Coffee-to-go-Bechern kühlt der Kaffee erstaunlic­h langsam ab“,

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FOTO: ANDREA WARNECKE Vor allem in den handelsübl­ichen Coffee-to-go-Bechern kühlt der Kaffee nur sehr langsam ab. Die Internatio­nale Agentur für Krebsforsc­hung empfiehlt, Heißgeträn­ke vor dem Konsum auf mindestens 65 Grad Celsius abkühlen zu lassen.

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