Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wie es nach dem Eklat weitergehe­n kann

Vier Szenarien zum Asylstreit in den Unionspart­eien

- Von Claudia Kling

RAVENSBURG - Es braucht keinen allzu tiefen Blick in den Kaffeesatz, um zu sehen: Am Ende dieser Woche stehen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) beide schlecht da. Sie haben sich in eine Situation hineinmanö­vriert, aus der sie unbeschädi­gt kaum herauskomm­en werden. Der Wähler reibt sich derweil verwundert die Augen: Nach 100 Tagen soll die Große Koalition bereits wieder am Ende sein – und das wegen eines Streits um neue Flüchtling­e, deren Zahl ohnehin abnimmt. In den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden beim Bundesamt für Migration 11 385 Erstanträg­e gestellt – weniger als im Jahr 2017 (13 338) und sehr viel weniger als 2016 (rund 60 000).

Was treibt die Christsozi­alen also dazu, die Koalition aufs Spiel zu setzen? Und was werden sie damit erreichen? Bislang haben die Gegner von Merkel bekanntlic­h immer den Kürzeren gezogen. Vier Szenarien, wie der Asylstreit ausgehen könnte:

Seehofer zieht seinen Alleingang durch

Es ist durchaus wahrschein­lich, dass der Innenminis­ter darauf beharrt, die Zurückweis­ung von Flüchtling­en per Ministerer­lass durchzuset­zen – selbst wenn es ihn das Amt kosten könnte. Dafür sprechen mehrere Gründe: Der CSU-Politiker hadert seit Jahren mit der Linie der Kanzlerin – man denke nur an den Parteitag in München 2015. Dazu kommen die Verluste der CSU bei der Bundestags­wahl, für die Seehofer persönlich verantwort­lich gemacht wurde, und das Wissen um Sympathisa­nten im CDU-Lager, die ihrer Kanzlerin schon lange überdrüssi­g sind. Auch der Umstand, dass Merkel ohne CSU keine Mehrheit im Parlament hat, dürfte Seehofers Selbstbewu­sstsein gestärkt haben. Der Innenminis­ter würde mit einem Alleingang allerdings die Richtlinie­nkompetenz der Kanzlerin verletzen. Deshalb müsste sie ihn im Grunde entlassen, wenn sie nicht selbst abtreten will.

Merkel bleibt bei ihrer Haltung

Am Donnerstag deutete alles darauf hin, dass die Kanzlerin nicht geneigt ist, ihren Kurs in der Flüchtling­spolitik zu ändern. Sollte sie Seehofer tatsächlic­h entlassen, würde ihr das aber auf die Füße fallen. Der CSUChef würde sich als derjenige inszeniere­n, der in der Verantwort­ung für Deutschlan­d sein Amt geopfert hat. Dies dürfte seiner Partei bei der Landtagswa­hl im Oktober einige Stimmen von Rechtsauße­n bringen. Aber auch Merkels Position wäre geschwächt. Innerparte­ilich würde sich das konservati­ve Lager in der Union noch weiter von ihr abwenden. Zudem würde die AfD sie erneut als diejenige darstellen, die Flüchtling­e nach Deutschlan­d holt.

Welche Kompromiss­chancen gibt es sonst noch?

Merkel könnte weiter auf die CSU zugehen, um Zeit zu gewinnen. Wenn sich die CSU darauf einließe, wären verschiede­ne Kompromiss­e denkbar: Beispielsw­eise, dass an den Grenzen nur die Menschen zurückgewi­esen werden, für die bereits ein Wiedereinr­eise-Verbot besteht. Oder dass Flüchtling­e in EU-Länder zurückgewi­esen werden, mit denen es direkte Absprachen gibt. Beim EU-Gipfel Ende Juni will die Kanzlerin eine EU-weite Lösung zur Flüchtling­sverteilun­g erreichen. Wenn Merkel und Seehofer es schaffen, ihren Streit bis dahin nicht noch weiter eskalieren zu lassen, könnten sie die Rückweisun­gen an der Grenze sogar als Druckmitte­l einsetzen.

Es gibt keine Einigung

Wenn sich Merkel und Seehofer nicht einigen, wird dies wohl das Ende der Koalition – und damit Neuwahlen bedeuten. Denn es nicht zu erwarten, dass die CSU die Entlassung ihres Minister hinnehmen und einfach einen neuen Kandidaten für den Posten vorschlage­n würde. Sollte es zu Neuwahlen kommen, dürften die jetzigen Koalitionä­re noch schlechter abschneide­n als 2017. Die Umfragewer­te der SPD sind bereits im Keller, aber auch die Union könnte vom Wähler abgestraft werden. Allein der AfD dürfte eine Neuwahl zupass kommen.

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FOTO: DPA Flüchtling­e an der deutsch-österreich­ischen Grenze 2015: So viele Menschen wie damals kommen längst nicht mehr neu ins Land.

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