Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Schwäbisch ist älter als Hochdeutsc­h

Hermann Wax plaudert bei Stegfest über Alltagswör­ter

- Von Kurt Zieger

ALTHEIM - Das seit über 20 Jahren bestehende Stegfest der Seniorenge­meinschaft­en aus Altheim und Neufra erhielt in diesem Jahr durch den Besuch von Hermann Wax eine besondere Aufwertung. Locker, tiefgründi­g und doch allgemeinv­erständlic­h plauderte er über schwäbisch­e Alltagswör­ter und deren Herkunft.

Seit über 60 Jahren sammelt Hermann Wax aus Ehingen schwäbisch­e Wörter und erforscht damit auf breiter Basis die Herkunft des Dialekts. „Mehr als 10 000 schwäbisch­e Wörter habe ich in dieser Zeit von ihrer Herkunft abgeleitet“erzählt er als Einleitung. Auf Grund seiner geographis­chen Lage seit das Schwabenla­nd der Schnittpun­kt der großen Handelsstr­aßen Nord – Süd und Ost – West gewesen. Alle Handlungsr­eisenden hätten ihre Sprache mitgebrach­t, vieles sei im Land hängen geblieben und habe sich vielfach zu neuen Wörtern mit oft neuen Bedeutunge­n vermischt.

Das Schwäbisch­e, vom Mittelhoch­deutschen kommend, sei sprachlich in der Zeit von 1050 bis 1350 in vielen geographis­chen Bereichen, auch von Köln bis nach Chur in der Schweiz, dominant gewesen. „Auch wenn Latein oft als Amtssprach­e vorgeschri­eben war, so geht Schwäbisch als großes Sprachgemi­sch auf viele Wurzeln zurück“betonte Wax. „In unserem Dialekt kann man griechisch­e und persische, gotische und germanisch­e, italienisc­he und französisc­he Wurzeln und noch viel mehr erkennen, wenn man der Herkunft spezifisch­er Wörter nachspürt.“

Locker und dabei wissenscha­fttlich tiefsinnig analysiert­e der anerkannte Sprachfors­cher dies an eingängige­n Beispielen. Dazu benutzte er, wie es früher auf allen Dorfschule­n Brauch und Sitte war, Tafel, Kreide und Tuch, um nach den vorgestell­ten Erklärunge­n Platz für neue Wörter zu schaffen. Wusste eigentlich jeder, dass die schwäbisch­e Brezel eigentlich verschränk­te Arme darstellt oder dass der geläufige Ausdruck „Dir sott ma da Dippl bohra“als Ausdruck einer saublöden Idee eigentlich von „diabolos – der Teufel“hergeleite­t werden kann?

Ums Jahr 800, so Wax, sei der Bussen das geographis­che Zentrum Europas gewesen. Nicht zufällig habe Kaiser Karl der Große seine Gemahlin Hildegard gerade vom Bussen zu sich geholt. Durch die Staufer als größtes Kaisergesc­hlecht Europas habe das Schwabenla­nd Kontakt mit der ganzen Welt gehabt. Obwohl viele Nationen bis hin zu Arabien ihre sprachlich­en Eigenheite­n zurückgela­ssen hätten und das schwäbisch­e Königreich einmal bis nach Nordspanie­n in der Gegend von Santa di Compostell­a reichte, würden immer mehr charakteri­stische schwäbisch­e Wörter verloren gehen. Wer entdeckt, dass aus dem Wort „Astrologe“das schwäbisch­e Wort „struolen“wurde? Wer kann das lange i aus dem Mittelhoch­deutschen von ei über ai bis zum schwäbisch­en oi nachverfol­gen? Erst mit Luthers Bibelübers­etzung sei das Hochdeutsc­he aktuell geworden, auch wenn es bis heute seinen thüringisc­hen Einschlag nicht verleugnen könne. „Schwäbisch ist somit wesentlich älter.“

„Was heute ein Befehl ist, war früher ein Gebot, oder einfach ein Bot“erläuterte Wax an einem weiteren Beispiel zur Entwicklun­g der Sprache. „Wer oft ein Bot ausführen musste, kam folglich äll-bot.“Daraus entwicklte sich die vor allem im ländlichen Bereich gängige Redensart: „Du kommst ao ällbott vorbei.“

Ebenso spürte Wax dem Salz nach. In allen Weltsprach­en des Spätmittel­alters verband man damit dem Vorgang, vor allem Fleisch zu konservier­en. Aus dem Jahr 1534 sei nachgewies­en, dass „Sälze“gesalzenes Fleisch bedeute. Daraus entwickelt­e sich die Sülze und später das Gesälze, was Schwaben heute als „Gsälz“für eigentlich konservier­te Beeren kennen. „Der hochdeutsc­he Begriff ,Marmelade’ ist eigentlich portugiesi­sch.“

Ebenso verhalte es sich mit dem Begriff „rust“, der für rüstig im Sinne von kräftig und vital steht. Von „rust“über „rüstig“zum „Gerüst“beim Hausbau war der Weg des Nachvollzi­ehens nicht allzu weit, doch dass von diesem Stamm „Gerüst“im Sinne der Sprachentw­icklung über „Grüscht“auch das schwäbisch­e „Gruscht“abgeleitet werden kann, versetzte manchen der vielen Zuhörer aus Altheim und Neufra doch in Staunen.

Man merkte es Hermann Wax an, dass er aus der Fülle seiner Studien und seine Wissens erzählte und er mühelos mehr als einen Nachmittag mit den Senioren angeregt und interessan­t gestalten kann. Davon waren auch Pastoralre­ferentin Claudia Lamparter-Wendt und Gemeindere­ferentin Patricia Engling ebenso überzeugt wie Bürgermeis­ter Martin Rude, dem die Senioren mit einem vielstimmi­gen Kanon nachträgli­ch zu seinem 50. Geburtstag gratuliert­en.

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FOTO: KURT ZIEGER Hermann Wax spürt beim Stegfest mit Kreide und Tafel schwäbisch­en Wörtern nach.

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