Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die Nerven der Konservativen liegen blank
Im Asylstreit zwischen CDU und CSU ist keine Lösung in Sicht – Am Montag droht die nächste Eskalationsstufe
BERLIN/RAVENSBURG - Am Freitagmittag scheint für einen Moment alles klar zu sein. Über den Kurznachrichtendienst Twitter lässt „hr Tagesgeschehen“, eine vermeintliche Seite des Hessischen Rundfunks, vermelden: „+++Breaking – Politbombe platzt in Hessen+++ Seehofer kündigt laut interner Bouffier-Mail Unionsbündnis mit CDU auf +++ Merkel informiert, PK gegen 15 Uhr +++ Details folgen!“. Mehrere Medien greifen den Tweet auf. Kurz darauf stellt sich heraus: Es handelt sich um eine Falschmeldung eines Redakteurs der Satirezeitschrift „Titanic“.
Die Episode zeigt: Am Freitag liegen die Nerven blank. Es ist der Tag nach der Eskalation, dem Beinahebruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU und dem Ultimatum an die Kanzlerin Angela Merkel. Auch am Freitag geht der Asylstreit in der Union weiter und spitzt sich zu. Am Donnerstag hatten die Schwesterparteien vier Stunden lang in getrennten Sitzungen um einen Kompromiss gerungen – ohne Ergebnis und Annäherung. Im Gegenteil: Die Fronten sind weiter verhärtet. Ein Ausweg aus der Krise der Union ist nicht in Sicht. Meldungen, nach denen Bundestagspräsident und CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble als Vermittler agieren soll, wurden von der Unionsfraktion dementiert.
72 Stunden bis zum Showdown
Nur noch 72 Stunden bis zum Showdown im Machtkampf zwischen Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel. Am kommenden Montag soll der CSU-Vorstand in München dem Parteichef und Bundesinnenminister Rückendeckung geben für sein Vorhaben, bereits in anderen EU-Ländern registrierte Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen. Seehofer will dann im Alleingang handeln und die Pläne per Ministeranordnung auch gegen den erklärten Willen der Kanzlerin durchsetzen.
Ein offener Affront, der wohl zum Bruch der Fraktionsgemeinschaft und der Großen Koalition führen könnte. Schließlich wäre es ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung der Bundesregierung und eine Missachtung der im Grundgesetz garantierten Richtlinienkompetenz der Kanzlerin. Merkel bliebe kaum eine andere Wahl, als ihn zu entlassen, sonst droht ihr ein schwerer Autoritätsverlust. Hat der CSU-Chef noch das Vertrauen der Kanzlerin? „Herr Seehofer ist der Bundesinnenminister, und insofern ist es doch ganz klar, dass die Bundeskanzlerin ihm auch vertraut“, erklärte Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert.
Hochspannung gestern im Bundestag. Der Nervenkrieg geht weiter. Am Morgen danach hat sich Angela Merkel zurückgezogen, die Regierungsbank verlassen. Sie sitzt in ihrem kleinen Büro im Reichstag und telefoniert. Krisenmanagement, statt der Debatte über die Parteienfinanzierung im Plenum zu lauschen – die Kanzlerin sammelt ihre Truppen, sondiert mögliche Kompromisse und sucht einen Ausweg aus dem Streit mit Bundesinnenminister Seehofer und der CSU. Kann die Union einen Bruch der Bundestagsfraktion verhindern und eine Lösung im letzten Augenblick erreichen? Gestern gab es keine Entspannungssignale.
Weitere Sondersitzungen der Bundestagsfraktion seien vorerst ebenso wenig geplant wie ein Krisengipfel von Merkel, Seehofer und Co. im Kanzleramt. „Die Uhr tickt“, heißt es aus den Reihen der CSU. Merkel müsse sich jetzt auf Seehofer zubewegen und einlenken. Kompromissvorschläge der Kanzlerin, den EU-Gipfel Ende Juni abzuwarten, auf eine europäische Lösung zu setzen und bilaterale Abkommen für die Zurückweisung etwa mit Italien und Griechenland zu schließen, wies die CSU zurück.
CSU gibt sich kompromisslos
Die Christsozialen geben sich kompromisslos, denken nicht daran, beizudrehen und drängen auf eine Entscheidung am Montag. Ein Koalitionsbruch sei möglich, aber nicht wahrscheinlich, hieß es gestern auf beiden Seiten. „Das kann man am Ende nicht ganz ausschließen“erklärte CDU-Innenexperte Thomas Middelberg. Der Streit sei verfahren, die beiden Parteichefs „stur und unversöhnlich“. Die CDU-Parlamentarier versichern: Etwa 80 Prozent hätten sich am Donnerstag in der Krisensitzung hinter Merkel gestellt.
Auch die Kanzlerin bleibt hart, pocht im Asylstreit mit der CSU weiter auf eine europäische Lösung. Merkel habe einen Vorschlag gemacht, „und an dessen Umsetzung arbeitet sie jetzt“, erklärte Regierungssprecher Seibert. „Wir brauchen Lösungen in enger Zusammenarbeit mit den anderen betroffenen Staaten.“