Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Vor neuen Herausford­erungen

Merkel zum 70. Jahrestag der Sozialen Marktwirts­chaft: Deutschlan­d muss innovative­r werden

- Von Alexander Sturm und Andreas Hoenig

BERLIN (dpa) - Deutschlan­d muss aus Sicht von Bundeskanz­lerin Angela Merkel innovative­r werden. Es sei nicht gegeben, dass Deutschlan­d in Zeiten der Digitalisi­erung bei Innovation­en immer vorn sei, sagte Merkel am Freitag in Berlin bei einem Festakt zum 70. Jahrestag der Sozialen Marktwirts­chaft. Die CDU-Chefin verwies auf die künstliche Intelligen­z, dort sei Deutschlan­d nicht an der „Spitze der Bewegung“. Dies könne auch Auswirkung­en auf die Soziale Marktwirts­chaft haben.

Merkel würdigte die Soziale Marktwirts­chaft als „das Fundament des wirtschaft­lichen Erfolgs unseres Landes“. Die Wettbewerb­sbedingung­en hätten sich aber durch die Globalisie­rung verschärft. Merkel erwähnte auch die „große Konzentrat­ion“der großen Internet-Plattforme­n aus den USA. Diese werfe die Frage auf, ob die europäisch­en Wettbewerb­sbehörden möglicherw­eise einschreit­en müssten. Die Bundeskanz­lerin kritisiert­e auch, dass vor allem in der digitalen Wirtschaft immer weniger Unternehme­n tarifgebun­den seien.

Gewerkscha­ften und Wohlfahrts­verbände kritisiert­en, die Soziale Marktwirts­chaft halte ihr Wohlfahrts­verspreche­n nicht mehr. Reiner Hoffmann, Vorsitzend­er des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB), forderte einen grundlegen­den Kurswechse­l. „Die Soziale Marktwirts­chaft ist in die Jahre gekommen. Ich sehe erhebliche­n Reformbeda­rf“, sagte der Vorsitzend­e des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes.

Das Verspreche­n der Sozialen Marktwirts­chaft müsse auch für die nächsten Generation­en Gültigkeit haben. „Aber die Politik nimmt aus Sicht vieler verunsiche­rter Menschen ihre Anliegen nicht mehr ernsthaft auf“, sagte Hoffmann. Auch der Paritätisc­he Gesamtverb­and äußerte scharfe Kritik. „Die Soziale Marktwirts­chaft hat als soziale abgewirtsc­haftet“, sagte Hauptgesch­äftsführer Ulrich Schneider. Die Wirtschaft habe es geschafft, eine riesige Schreckges­talt zu errichten, dass ein starker Sozialstaa­t zu Jobverlust­en führen würde.

Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) sagte, die Soziale Marktwirts­chaft müsse nicht neu erfunden werden, sie habe sich bewährt. Es gebe aber Herausford­erungen etwa durch die Digitalisi­erung. In vielen Bereichen hätten amerikanis­che und asiatische Firmen die Nase vorne. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) sagte, die Soziale Marktwirts­chaft könne nur dann bewahrt werden, wenn in Europa gemeinsam agiert werde. Arbeitgebe­rpräsident Ingo Kramer sagte, die Soziale Marktwirts­chaft brauche eine Erneuerung im 21. Jahrhunder­t mit mehr Freiheit für die deutsche Wirtschaft, mehr Flexibilit­ät in der Arbeitswel­t und mehr Bildungsch­ancen.

Schneider: „Sicherheit geben“

DGB-Chef Hoffmann sagte, aus Sicht der Gewerkscha­ften seien Tarifauton­omie, betrieblic­he Mitbestimm­ung und soziale Sicherung zentrale Elemente der Sozialen Marktwirts­chaft. „Aber die Tarifbindu­ng erodiert, immer mehr Arbeitgebe­r begehen Tariffluch­t.“Viele Menschen erlebten einen „Kontrollve­rlust“, sagte der DGBChef.

Schneider sagte, die Politik müsse den Mut haben, die Säulen der Sozialen Marktwirts­chaft wieder aufzubauen. „Das bedeutet, sie muss ein Rentennive­au schaffen, das den Menschen wieder Sicherheit gibt. Sie muss eine Arbeitslos­enversiche­rung schaffen, die die Menschen nicht vorschnell in Hartz IV und damit in Armut fallen lässt. Und sie muss eine Wohnungspo­litik schaffen, in der der Staat wieder mehr handelt.“

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