Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Vor neuen Herausforderungen
Merkel zum 70. Jahrestag der Sozialen Marktwirtschaft: Deutschland muss innovativer werden
BERLIN (dpa) - Deutschland muss aus Sicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel innovativer werden. Es sei nicht gegeben, dass Deutschland in Zeiten der Digitalisierung bei Innovationen immer vorn sei, sagte Merkel am Freitag in Berlin bei einem Festakt zum 70. Jahrestag der Sozialen Marktwirtschaft. Die CDU-Chefin verwies auf die künstliche Intelligenz, dort sei Deutschland nicht an der „Spitze der Bewegung“. Dies könne auch Auswirkungen auf die Soziale Marktwirtschaft haben.
Merkel würdigte die Soziale Marktwirtschaft als „das Fundament des wirtschaftlichen Erfolgs unseres Landes“. Die Wettbewerbsbedingungen hätten sich aber durch die Globalisierung verschärft. Merkel erwähnte auch die „große Konzentration“der großen Internet-Plattformen aus den USA. Diese werfe die Frage auf, ob die europäischen Wettbewerbsbehörden möglicherweise einschreiten müssten. Die Bundeskanzlerin kritisierte auch, dass vor allem in der digitalen Wirtschaft immer weniger Unternehmen tarifgebunden seien.
Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände kritisierten, die Soziale Marktwirtschaft halte ihr Wohlfahrtsversprechen nicht mehr. Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), forderte einen grundlegenden Kurswechsel. „Die Soziale Marktwirtschaft ist in die Jahre gekommen. Ich sehe erheblichen Reformbedarf“, sagte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Das Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft müsse auch für die nächsten Generationen Gültigkeit haben. „Aber die Politik nimmt aus Sicht vieler verunsicherter Menschen ihre Anliegen nicht mehr ernsthaft auf“, sagte Hoffmann. Auch der Paritätische Gesamtverband äußerte scharfe Kritik. „Die Soziale Marktwirtschaft hat als soziale abgewirtschaftet“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Die Wirtschaft habe es geschafft, eine riesige Schreckgestalt zu errichten, dass ein starker Sozialstaat zu Jobverlusten führen würde.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte, die Soziale Marktwirtschaft müsse nicht neu erfunden werden, sie habe sich bewährt. Es gebe aber Herausforderungen etwa durch die Digitalisierung. In vielen Bereichen hätten amerikanische und asiatische Firmen die Nase vorne. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte, die Soziale Marktwirtschaft könne nur dann bewahrt werden, wenn in Europa gemeinsam agiert werde. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sagte, die Soziale Marktwirtschaft brauche eine Erneuerung im 21. Jahrhundert mit mehr Freiheit für die deutsche Wirtschaft, mehr Flexibilität in der Arbeitswelt und mehr Bildungschancen.
Schneider: „Sicherheit geben“
DGB-Chef Hoffmann sagte, aus Sicht der Gewerkschaften seien Tarifautonomie, betriebliche Mitbestimmung und soziale Sicherung zentrale Elemente der Sozialen Marktwirtschaft. „Aber die Tarifbindung erodiert, immer mehr Arbeitgeber begehen Tarifflucht.“Viele Menschen erlebten einen „Kontrollverlust“, sagte der DGBChef.
Schneider sagte, die Politik müsse den Mut haben, die Säulen der Sozialen Marktwirtschaft wieder aufzubauen. „Das bedeutet, sie muss ein Rentenniveau schaffen, das den Menschen wieder Sicherheit gibt. Sie muss eine Arbeitslosenversicherung schaffen, die die Menschen nicht vorschnell in Hartz IV und damit in Armut fallen lässt. Und sie muss eine Wohnungspolitik schaffen, in der der Staat wieder mehr handelt.“