Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Cappuccino statt Caro
Nestlé schließt das Caro-Kaffee-Werk in Ludwigsburg – Der Kultstatus aber bleibt
LUDWIGSBURG - Weite Roggenfelder im Sommer, eine rote Picknickdecke liegt zwischen den Ähren. Eine Familie veranstaltet ein Picknick. Der Vater gießt Caro-Kaffee auf und alle nehmen einen herzhaften Schluck aus den gepunkteten Tassen. Dazu das Lied von Schlagersänger Volker Lechtenbrink: „Caro, ich mag Dich“. Heute mögen Caro immer weniger Leute. Das Caro-Kaffe-Werk in Ludwigsburg schließt deswegen zum Ende des Jahres.
Die Nachfrage nach dem Ersatzkaffee sei schlichtweg zu gering, um das Werk auszulasten. Das sagt ein Sprecher des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé, der das Werk betreibt, auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Deshalb werde die Produktion nach Informationen der „Stuttgarter Zeitung“nach Portugal verlegt. Bestätigen wollte das der Sprecher allerdings nicht. Die rund 100 Mitarbeiter sollen bei anderen Standorten unterkommen. Kündigungen sind nicht ausgeschlossen.
„Muckefuck“ersetzt die Bohne
„Getränke wie Latte Macchiato oder Cappuccino liegen einfach mehr im Trend als Caro-Landkaffee“, begründet der Sprecher die sinkende Nachfrage. Heißgetränke, an die in der erfolgreichsten Zeit von Caro-Kaffee gar nicht zu denken gewesen ist. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg ist Bohnenkaffee rar und teuer. Die Bevölkerung will auf Kaffee dennoch nicht verzichten und hilft sich mit „Muckefuck“, Ersatzkaffee aus Gerste, Malz, Zichorie oder Feige. Eine der bekanntesten Muckefuck-Marken, „Linde’s Kornkaffee“, wird ebenfalls im Ludwigsburger Werk produziert.
Dieses geht zurück auf eine Kaffee-Manufaktur aus dem Jahr 1828 in der Nähe von Ludwigsburg. Der Kolonialwarenhändler Johann Heinrich Franck stellt darin als erster im großen Stil den sogenannten Landkaffee her. Franck mischt Gerste, Malz und Roggen mit der Zichorie-Pflanze, die mit Chicorée verwandt ist. 1868 verlegt die Firma die Produktion nach Ludwigsburg.
Seit 1954 heißt das lösliche Kaffeepulver „Caro“. Und von Anfang an wird mit dieser Löslichkeit geworben. Ein Vorteil gegenüber anderen Ersatzkaffees, die erst aufgebrüht werden müssen. „Caro löst sich in der Tasse“, heißt es in einem frühen Werbespot aus den 50er-Jahren. „Caro ist bequemer und sekundenschnell. Caro schmeckt auch feiner, Caro ist sofort trinkfertig“, so das Werbelied weiter.
Nestlé übernimmt das Werk und die Marke 1971 und vertreibt das Getränkepulver nach eigenen Angaben weltweit, teilweise jedoch unter anderem Namen. Verkauft wird CaroKaffee in Frankreich, Polen, Tschechien und den USA. Hauptabnehmer seien aber laut Nestlé Österreich, Italien und allen voran Deutschland.
Aufschwung für Ersatzkaffee
Seit der Währungsreform zur DMark vor knapp 70 Jahren ist der Bohnenkaffee zwar wieder für die breite Masse erschwinglich, der Muckefuck aber bleibt beliebt. Und er erlebt in den 70er-Jahren sogar einen Aufschwung. Der Kaffeepreis zog nach einem Tiefststand 1969 in den folgenden Jahren stark an. Als Gründe nennt die Fachliteratur Kriege, Naturkatastrophen und Schädlingsbefälle in den Anbaugebieten: 1970 verbreitet sich beispielsweise in Brasilien der Kaffeerost, eine Pilzerkrankung die sich auch nach Kolumbien und Mittelamerika ausweitet. In Angola und Äthiopien beeinflusst der Bürgerkrieg die Kaffeeernte und in Guatemala zerstört ein Erdbeben 1976 wichtige Verkehrsstrecken.
Besonders bei Familien mit Kindern ist das Getränk gefragt. Und so vermarktet Nestlé den Landkaffee auch. Die TV-Werbungen aus den 80ern und 90ern zeigen sommerliche Szenen auf erntereifen Getreidefeldern. Die Familie verbringt Zeit in der Natur. Im Werbesong trällert eine Frauenstimme: „Du findest es wieder mit jedem Schluck Caro: das Gute, Gesunde aus der Natur.“CaroKaffee wird angerührt, und alle haben etwas davon. Nicht nur die Erwachsenen trinken Caro, auch die Kinder. Ebenfalls in den 80ern dichtet der Schlagersänger Volker Lechtenbrink sein Lied „Ich mag“in „Caro, ich mag dich“für eine Werbekampagne um.
Rund zwei Milliarden Tassen Landkaffee werden in Deutschland 1976 getrunken. In den 90ern verbucht Nestlé eine Mengensteigerung von fünf Prozent. Der Großteil entfällt auf Instant-Pulver. Nach Schätzungen von Nestlé geben die Deutschen 1995 etwa 100 Millionen Mark für Landkaffee aus.
Werk ist nicht ausgelastet
Und heute will ihn scheinbar kaum mehr jemand. Wie stark die Nachfrage nach dem Kultgetränk bis zur Entscheidung der Werksschließung gesunken ist, will Nestlé nicht preisgeben. Nur so viel: Das Werk sei bei Weitem nicht ausgelastet, sagte ein Sprecher. Mit welcher Produktionsmenge das Werk theoretisch ausgelastet wäre, wollte der Konzern ebenfalls nicht mitteilen. Bestätigt ist bislang nur, dass Caro-Kaffee ab 2019 nicht mehr in Deutschland produziert wird.
Aber verschwinden wird der Ersatzkaffee nicht. In den Supermarktregalen wird Caro-Kaffee seinen Platz behalten. Genauso wie seinen Status als Kult-Getränk.