Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Cappuccino statt Caro

Nestlé schließt das Caro-Kaffee-Werk in Ludwigsbur­g – Der Kultstatus aber bleibt

- Von Kristina Priebe und unseren Agenturen

LUDWIGSBUR­G - Weite Roggenfeld­er im Sommer, eine rote Picknickde­cke liegt zwischen den Ähren. Eine Familie veranstalt­et ein Picknick. Der Vater gießt Caro-Kaffee auf und alle nehmen einen herzhaften Schluck aus den gepunktete­n Tassen. Dazu das Lied von Schlagersä­nger Volker Lechtenbri­nk: „Caro, ich mag Dich“. Heute mögen Caro immer weniger Leute. Das Caro-Kaffe-Werk in Ludwigsbur­g schließt deswegen zum Ende des Jahres.

Die Nachfrage nach dem Ersatzkaff­ee sei schlichtwe­g zu gering, um das Werk auszulaste­n. Das sagt ein Sprecher des Nahrungsmi­ttelkonzer­ns Nestlé, der das Werk betreibt, auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Deshalb werde die Produktion nach Informatio­nen der „Stuttgarte­r Zeitung“nach Portugal verlegt. Bestätigen wollte das der Sprecher allerdings nicht. Die rund 100 Mitarbeite­r sollen bei anderen Standorten unterkomme­n. Kündigunge­n sind nicht ausgeschlo­ssen.

„Muckefuck“ersetzt die Bohne

„Getränke wie Latte Macchiato oder Cappuccino liegen einfach mehr im Trend als Caro-Landkaffee“, begründet der Sprecher die sinkende Nachfrage. Heißgeträn­ke, an die in der erfolgreic­hsten Zeit von Caro-Kaffee gar nicht zu denken gewesen ist. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg ist Bohnenkaff­ee rar und teuer. Die Bevölkerun­g will auf Kaffee dennoch nicht verzichten und hilft sich mit „Muckefuck“, Ersatzkaff­ee aus Gerste, Malz, Zichorie oder Feige. Eine der bekanntest­en Muckefuck-Marken, „Linde’s Kornkaffee“, wird ebenfalls im Ludwigsbur­ger Werk produziert.

Dieses geht zurück auf eine Kaffee-Manufaktur aus dem Jahr 1828 in der Nähe von Ludwigsbur­g. Der Kolonialwa­renhändler Johann Heinrich Franck stellt darin als erster im großen Stil den sogenannte­n Landkaffee her. Franck mischt Gerste, Malz und Roggen mit der Zichorie-Pflanze, die mit Chicorée verwandt ist. 1868 verlegt die Firma die Produktion nach Ludwigsbur­g.

Seit 1954 heißt das lösliche Kaffeepulv­er „Caro“. Und von Anfang an wird mit dieser Löslichkei­t geworben. Ein Vorteil gegenüber anderen Ersatzkaff­ees, die erst aufgebrüht werden müssen. „Caro löst sich in der Tasse“, heißt es in einem frühen Werbespot aus den 50er-Jahren. „Caro ist bequemer und sekundensc­hnell. Caro schmeckt auch feiner, Caro ist sofort trinkferti­g“, so das Werbelied weiter.

Nestlé übernimmt das Werk und die Marke 1971 und vertreibt das Getränkepu­lver nach eigenen Angaben weltweit, teilweise jedoch unter anderem Namen. Verkauft wird CaroKaffee in Frankreich, Polen, Tschechien und den USA. Hauptabneh­mer seien aber laut Nestlé Österreich, Italien und allen voran Deutschlan­d.

Aufschwung für Ersatzkaff­ee

Seit der Währungsre­form zur DMark vor knapp 70 Jahren ist der Bohnenkaff­ee zwar wieder für die breite Masse erschwingl­ich, der Muckefuck aber bleibt beliebt. Und er erlebt in den 70er-Jahren sogar einen Aufschwung. Der Kaffeeprei­s zog nach einem Tiefststan­d 1969 in den folgenden Jahren stark an. Als Gründe nennt die Fachlitera­tur Kriege, Naturkatas­trophen und Schädlings­befälle in den Anbaugebie­ten: 1970 verbreitet sich beispielsw­eise in Brasilien der Kaffeerost, eine Pilzerkran­kung die sich auch nach Kolumbien und Mittelamer­ika ausweitet. In Angola und Äthiopien beeinfluss­t der Bürgerkrie­g die Kaffeeernt­e und in Guatemala zerstört ein Erdbeben 1976 wichtige Verkehrsst­recken.

Besonders bei Familien mit Kindern ist das Getränk gefragt. Und so vermarktet Nestlé den Landkaffee auch. Die TV-Werbungen aus den 80ern und 90ern zeigen sommerlich­e Szenen auf erntereife­n Getreidefe­ldern. Die Familie verbringt Zeit in der Natur. Im Werbesong trällert eine Frauenstim­me: „Du findest es wieder mit jedem Schluck Caro: das Gute, Gesunde aus der Natur.“CaroKaffee wird angerührt, und alle haben etwas davon. Nicht nur die Erwachsene­n trinken Caro, auch die Kinder. Ebenfalls in den 80ern dichtet der Schlagersä­nger Volker Lechtenbri­nk sein Lied „Ich mag“in „Caro, ich mag dich“für eine Werbekampa­gne um.

Rund zwei Milliarden Tassen Landkaffee werden in Deutschlan­d 1976 getrunken. In den 90ern verbucht Nestlé eine Mengenstei­gerung von fünf Prozent. Der Großteil entfällt auf Instant-Pulver. Nach Schätzunge­n von Nestlé geben die Deutschen 1995 etwa 100 Millionen Mark für Landkaffee aus.

Werk ist nicht ausgelaste­t

Und heute will ihn scheinbar kaum mehr jemand. Wie stark die Nachfrage nach dem Kultgeträn­k bis zur Entscheidu­ng der Werksschli­eßung gesunken ist, will Nestlé nicht preisgeben. Nur so viel: Das Werk sei bei Weitem nicht ausgelaste­t, sagte ein Sprecher. Mit welcher Produktion­smenge das Werk theoretisc­h ausgelaste­t wäre, wollte der Konzern ebenfalls nicht mitteilen. Bestätigt ist bislang nur, dass Caro-Kaffee ab 2019 nicht mehr in Deutschlan­d produziert wird.

Aber verschwind­en wird der Ersatzkaff­ee nicht. In den Supermarkt­regalen wird Caro-Kaffee seinen Platz behalten. Genauso wie seinen Status als Kult-Getränk.

 ?? FOTO: DPA ?? Ein Glas Caro-Kaffee vor der Verpackung. Der Ersatzkaff­ee ist immer weniger gefragt. Deswegen schließt das Caro-Kaffee-Werk in Ludwigsbur­g zum Jahresende. Die Produktion wird ins Ausland verlagert, aber in Deutschlan­d bleibt das Getränkt Kult.
FOTO: DPA Ein Glas Caro-Kaffee vor der Verpackung. Der Ersatzkaff­ee ist immer weniger gefragt. Deswegen schließt das Caro-Kaffee-Werk in Ludwigsbur­g zum Jahresende. Die Produktion wird ins Ausland verlagert, aber in Deutschlan­d bleibt das Getränkt Kult.

Newspapers in German

Newspapers from Germany