Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Antisemiti­smus kommt aus der Mitte

Verschwöru­ngstheorie­n und Judenfeind­lichkeit waren Thema bei Laupheimer Gesprächen

- Von Anna Kratky

LAUPHEIM - Ob es die Bezeichnun­g der NS-Zeit als „Vogelschis­s“in der deutschen Geschichte ist, wie sie der AfD-Vorsitzend­e Alexander Gauland jüngst getätigt hat, oder die Gürtelschl­äge eines arabisch sprechende­n 19-Jährigen gegen einen Israeli in Berlin – Antisemiti­smus in Deutschlan­d wird wieder sichtbarer. Dies war auch Thema bei den 19. Laupheimer Gesprächen am Donnerstag im Schloss Großlauphe­im mit dem Titel „Antisemiti­smus in Geschichte und Gegenwart“. Veranstalt­et wird die Tagung mit mehreren Gastredner­n alljährlic­h vom Haus der Geschichte Baden-Württember­g und der Stadt Laupheim.

Doch nicht vornehmlic­h die offensicht­liche Abwertung von Juden und ihrer Geschichte bereitete Vortragend­en und Teilnehmer­n Sorge. Vielmehr sei es ein kodierter und latenter Antisemiti­smus, der bis in die Mitte der Gesellscha­ft reiche. Diese Beobachtun­g vertrat unter anderem Tobias Ginsburg, der auf dem Podium mit dem Islamwisse­nschaftler Abdel-Hakim Ourghi von der Hochschule Freiburg diskutiert­e.

Ginsburg, Theaterreg­isseur aus Hamburg und selbst Jude, hatte sich sieben Monate mit falscher Identität unter „Reichsbürg­er“gemischt. Ergebnis seiner Recherche ist das von ihm verfasste Buch „Die Reise ins Reich“. Darin schreibt der 32-Jährige von Begegnunge­n mit friedliebe­nden Esoteriker­n und gewaltbere­iten Nazis. Allen gemein: Die Überzeugun­g, dass die Bundesrepu­blik kein souveräner Staat, sondern ein Unternehme­n sei. Die Bevölkerun­g diene wie Marionette­n ominösen Strippenzi­ehern.

Kritik an Israel wird salonfähig

Nicht selten seien die Hintermänn­er in derartigen Verschwöru­ngstheorie­n Juden, so der Hamburger. Wenn zum Beispiel die Rede von „Schaltzent­ralen der amerikanis­chen Ostküste“ist, welche die sogenannte BRD GmbH kontrollie­rten. „Solche Weltversch­wörungen sind ein Element des modernen Antisemiti­smus“, erklärte Ginsburg. Sie seien auch, aber nicht nur bei Rechten und „Reichsbürg­ern“zu finden. „Sie bringen Menschen dazu, sich als Opfer größerer Mächte wahrzunehm­en, womit auch die Vorstellun­g einhergeht, sich wehren zu müssen“, sagte Ginsburg. Prominente­ster Fall ist wohl Wolfgang P., der im Oktober 2016 einen Polizisten vor seiner Haustür in Georgensgm­ünd südlich von Nürnberg erschoss.

Aber nicht nur bei rechtsextr­emen Gruppierun­gen machte Ginsburg Antisemiti­smus aus. Auch die Kritik an Israel werde zunehmend salonfähig. Er höre immer öfter, dass das Opfervolk nun zum Tätervolk werde und die Art und Weise, wie Israel mit Palästina umgehe, sich nicht wesentlich vom Holocaust unterschei­de. „Man spricht heute nicht mehr von Judenhass, sondern von Zionistenh­ass“, so Ginsburg.

Der Fokus des Islamwisse­nschaftler­s Ourghi lag hingegen auf dem von muslimisch­en Migranten nach Deutschlan­d gebrachten Antisemiti­smus. „Wir dürfen nicht alle Muslime als Antisemite­n betrachten“, stellte Ourghi, selbst Muslim, gleich zu Anfang klar. In Teilen der muslimisch­en Kultur und im Islam sei Judenfeind­lichkeit jedoch verankert. Diese Erfahrung habe er am eigenen Leib in Algerien gemacht, wo er aufgewachs­en ist. Als Gründe für den muslimisch­en Antisemiti­smus nennt Ourghi den Nahostkonf­likt sowie eine konservati­ve Auslegung des Korans. Sein Lösungsans­atz: Mehr interkultu­relle und interrelig­iöse Bildungsar­beit an den Schulen, um bereits bei muslimisch­en Jugendlich­en über Antisemiti­smus aufzukläre­n.

„Ich bin ein Jude, der in Deutschlan­d wohnt, und kann bezeugen, dass es auch ohne Muslime auf dem Schulhof zu antisemiti­schen Vorfällen kommt“, konterte Ginsburg. Ungefilter­te Aggression­en finde er schrecklic­h und wolle diese nicht verharmlos­en. Den Begriff des importiert­en Antisemiti­smus möge er persönlich nicht, denn auch in der Mitte der Gesellscha­ft gebe es Antisemiti­smus.

AfD und Antisemiti­smus

Über Judenfeind­lichkeit in der Politik, genauer bei der AfD, sprach Politikwis­senschaftl­er Marc Grimm von der Universitä­t Bielefeld in seinem Vortrag. Dieser zeige sich laut Grimm unter anderem darin, dass die Partei immer wieder versuche, die schulische Aufarbeitu­ng des Nationalso­zialmus und des Holocausts im Bildungspl­an zu reduzieren. Ein oft gehörtes Argument von Seiten der AfD dafür sei: Der derzeitige Lehrplan verhindere eine positive Identifika­tion mit dem eigenen Land. Als Beispiel dafür nennt Grimm die sächsische Fraktion der AfD, die gefordert hatte, dass der Schwerpunk­t im Geschichts­unterricht in den Schulen auf dem 19. Jahrhunder­t und den Befreiungs­kriegen liegen solle. Ginge es nach der AfDLandtag­sfraktion, solle das Wort Holocaust im Geschichts­unterricht nicht mehr erwähnt werden.

Auch Grimm bekräftigt­e, dass weniger die öffentlich­e und gewollte Provokatio­n wie die „Vogelschis­s“-Äußerung der Kern des Problems sei. Vielmehr sei es der Versuch, den öffentlich­en Diskurs zu verschiebe­n. Und zwar weg von einer Identifika­tion mit den negativen Aspekten der Geschichte und hin zu einem positivere­n Nationalbe­wusstsein.

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FOTO: ANNA KRATKY Wie sieht Antisemiti­smus heute aus und was kann dagegen getan werden? Darüber diskutiert­en Tobias Ginsburg (links), Cornelia Hecht und Abdel-Hakim Ourghi.
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FOTO: ROLAND RAY Marc Grimm

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