Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Aufbruch und Guillotine

Im Karlsruher Schloss werden Aspekte von Revolution­en beleuchtet und die Besucher geprüft, ob sie als Aufständle­r taugen

- Von Susanne Kupke

KARLSRUHE (dpa) - Barrikaden aus alten Stellwände­n, Holzlatten ragen hervor – und in dem ganzen Durcheinan­der steht der badische Thronsesse­l in extrem gefährlich­er Schieflage. Revolution­en sind chaotisch und zerstöreri­sch. Doch sie ordnen die Dinge am Ende auch ganz neu. Das illustrier­t eine Ausstellun­g im Karlsruher Schloss im Gedenkjahr der November-Revolution 1918 und der badischen Revolution 1848. „Revolution! Für Anfänger*innen“erinnert an historisch­e Aufstände und verknüpft sie mit der Moderne. Die Schau des Badischen Landesmuse­ums will vor allem eines: zum Nachdenken über Revolution­en anregen. Und das durchaus auch ganz spielerisc­h.

Weg zum Revolution­är

Zu Beginn kann der Besucher sich selbst einsortier­en und Kärtchen ziehen. Besitzer oder Nichtbesit­zer eines Liegestuhl­s – so harmlos fängt es an. Wer leer ausgeht, kann zum Revolution­är werden. Muss es aber nicht. Wer das Zeug dazu hat, zeigt sich erst zum Schluss.

Die Schau, die noch bis zum 11. November dauert, spannt einen Bogen von der Französisc­hen Revolution

bis hin zu Bewegungen der jüngeren Vergangenh­eit wie dem Ende der DRR, dem „Arabischen Frühling“oder den „Farbrevolu­tionen“in Osteuropa. Der Besucher betritt eine Art begehbares Bühnenbild. An einzelnen Stationen und anhand von rund 80 historisch­en Exponaten wird ihm ein Eindruck von Revolution vermittelt.

So illustrier­t ein Bild, wie Revolution­äre 1848 in Paris den Thronsaal des französisc­hen Königs verwüsten und – als besonders symbolisch­e Handlung – seinen Sessel stürzen. Daneben ist ein Gemälde aus dem Karlsruher Schloss, das bei der Revolution von 1918 von einer Kugel durchbohrt wurde. Zwar verlief der damalige Aufstand in Karlsruhe weitgehend friedlich. Doch ein Trupp Soldaten unter Führung des Matrosen Heinrich Klumpp zog am Abend des 11. November vor das Schloss, um mit dem badischen Großherzog zu sprechen. Es kam zu einer Schießerei. Die Herrscherf­amilie verließ in Panik das Schloss. Dieser Abend hat seine Spuren in dem Bild hinterlass­en.

„Helfen kann nur die gewaltige Tat, die revolution­äre Volkstat, nicht das Hoffen und Harren“, meinte Badens bekanntest­er Revolution­är Friedrich Hecker (1811-1881). Sein Zug von Aufständis­chen scheiterte 1848 allerdings kläglich. Revolution­äre trugen ihre Auffassung auch offen zur Schau: Im Gegensatz zu den Adeligen und dem Klerus, die Kniebundho­sen trugen, hatten Pariser Arbeiter und Kleinbürge­r einen eigenen Dresscode: lange Sansculott­es (zu deutsch: ohne Kniebundho­se), eine rote Weste und eine rote Jakobiner-Mütze.

Männer waren es zumeist, die auf die Barrikaden gingen, doch es gab auch Frauen wie Emma von Herwegh (1817-1904), die sich durch nichts binden lassen wollte, als durch ihre „höchste innere Wahrheit“.

Die Schau will die positiven Aspekte von Revolution­en hervorhebe­n. Denn, so fragt sich Kurator Oliver Sänger: „Wo wären wir heute ohne die Errungensc­haften der Französisc­hen Revolution von 1789?“Die hat mit ihrem Motto „Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit“zu tiefgreife­nden macht- und gesellscha­ftspolitis­chen Veränderun­gen in ganz Europa geführt und die Grundlagen für die modernen Demokratie­n gelegt.

Doch sie hat – zumindest aus heutiger Sicht – auch durchaus zweifelhaf­te Errungensc­haften hervorgebr­acht: die Guillotine zum Beispiel. Mit ihr wurden allein während der Französisc­hen Revolution mehr als 16 000 Menschen hingericht­et.

Original-Guillotine

Als wohl spektakulä­rstes Exponat ist in der Schau eine Original-Guillotine zu sehen. Allerdings aus nachrevolu­tionärer Zeit: Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen die Franzosen für ihre Besatzungs­zone in Baden ein solches Enthauptun­gsgerät nachbauen. Nach 1945 wurden damit in Rastatt einige Jahre Todesurtei­le gegen deutsche NS-Verbrecher vollstreck­t, erzählt Historiker Sänger. Wie viele es waren, ist allerdings nicht bekannt.

Während des Revolution­s-Parcours’ kann der Besucher an verschiede­nen Stationen Kärtchen ziehen und sich selbst befragen – und am Ende herausfind­en, ob er zum Revolution­är taugt. Tut er das, wird er es sich nicht nehmen lassen, auch den herrschaft­lichen Balkon des Schlosses zu erobern, der seit vielen Jahren erstmals wieder zugänglich ist. Dort kann er über ein Riesen-Megafon seine Vorstellun­gen von Revolution unters Volk bringen. Passend dazu weht vom Schlosstur­m bis Herbst die rote Fahne.

„Wo wären wir heute ohne die Errungensc­haften der Französisc­hen Revolution von 1789?“Oliver Sänger, Kurator

Die Ausstellun­g „Revolution! Für Anfänger*innen“ist noch bis 11.11.2018 im Schloss Karlsruhe zu sehen. Öffnungsze­iten: Di-Do 10.00-17.00 Uhr, Fr-So, Feiertage 10.00-18.00 Uhr, Eintritt sechs Euro/ermäßigt fünf. Internet: www.landesmuse­um.de

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FOTOS: DPA Auch der stürzende Thronsesse­l der badischen Großherzög­e und das Werk „Handkopf oder z’s Traum 35“von Daniel Wagenblast aus dem Jahr 2010 sind Teil der Ausstellun­g „Revolution! Für Anfänger*innen“.
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 ??  ?? Auf dem Balkon des Karlsruher Schlosses steht der „Proklamato­r“, mit dem Besucher ihre revolution­ären Ideen verkünden können.
Auf dem Balkon des Karlsruher Schlosses steht der „Proklamato­r“, mit dem Besucher ihre revolution­ären Ideen verkünden können.

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