Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Orgie, Drogen, Titelträume
Escort-Damen und Geldwäschegerüchte: Mexikos Vorbereitung verlief unruhig – Ansprüche dennoch hoch
MEXIKO-STADT - Die Reise der mexikanischen Nationalmannschaft zu ihrer 16. WM begleitet eine Hintergrundmusik aus Häme, Empörung und der Furcht, dass es bei einer solchen Vorbereitung dann doch in Russland auch wieder nur zu was Kleinem reichen könnte. Dabei sollte beim ersten deutschen Gruppengegner (Sonntag, 17 Uhr/ZDF und Sky) doch dieses Mal alles anders werden.
Kurz nachdem sich die Mannschaft mit einem 1:0-Sieg gegen Schottland daheim von ihrem Publikum verabschiedete, hatte sie noch einen Tweet an ihre Fans in die Welt geschickt: „Nach vier Jahren harter Arbeit zeigen wir den Mexikanern, dass uns nichts aufhält.“Russland wir kommen.
Wie wörtlich die Mexikaner das nehmen mussten, zeigte sich schon wenige Stunden später: Noch am Abend des Spiels machte sich das ganze Team zu einer Feier in einer Villa in einem feinen Viertel von Mexiko-Stadt auf. Selbstverständlich mit Damenbegleitung. Nur, dass es nicht die gewöhnlichen Partnerinnen der Spieler waren. Die Sause blieb nicht unentdeckt, und Mexikos wichtiger Mittelfeldspieler Héctor Herrera vom FC Porto musste sogar kurzfristig das Team verlassen und nach Portugal reisen, um seine Ehe zu retten.
Und auch die Legende, der Kapitän, Rafael Márquez sorgte nicht nur für Glanzmomente. Zwar feiern die Anhänger den 39-Jährigen weiter mit Sprechchören. Márquez spielt wie immer: souverän und mit langen, punktgenauen Pässen, auch wenn alles bei ihm ein bisschen langsamer als früher geht. Aber noch immer strahlt er Ruhe auf die Mannschaft aus. In den Wochen und Monaten zuvor hatten ungewöhnliche Anschuldigungen gegen den Fußballer allerdings eher Unruhe gestiftet.
Die Partie gegen Schottland war sein 141. Länderspiel und das erste nach elf Monaten Pause. Es war eine Zwangspause, denn der frühere Star von FC Barcelona steckt in heiklen juristischen Problemen. Am 10. August rückten US-Drogenfahnder den Spieler in die Nähe des organsierten Verbrechens. Márquez soll für den Rauschgifthändler Raúl Flores Hernández in großem Stil Geld gewaschen haben. Der Fußballer ist zwar ein Freund von Flores, bestreitet aber, für ihn Geld gewaschen zu haben. Dennoch waren und sind die Vorwürfe in der Welt.
Auswahlcoach Juan Carlos Osorio hat jedoch nicht gezögert, seinen Kapitän für dessen fünfte WM zu nominieren. „Rafael ist sehr erfahren, hat eine hohe technische Qualität und ist trotz seines Alters noch fit“, sagt der kolumbianische Trainer im Gespräch mit dieser Zeitung. „Er wird sehr wichtig für uns sein. Entweder als Startspieler oder als Einwechselspieler, je nachdem, gegen wen wir spielen.“ Chicharito
Eine ruhige Vorbereitung sieht also anders aus, auch wenn die Ansprüche weiter hoch bleiben. Denn Mexiko gehört zu den Rekord-Teilnehmern bei Weltmeisterschaften, weil die Qualifikation in der Nordamerikaund Karibikgruppe CONCACAF mit Gegnern wie Honduras und Haiti fast immer gelingt. Nur Brasilien, Deutschland, Italien und Argentinien waren öfter dabei, haben aber zusammen 15 Weltmeistertitel errungen. Mexiko kam aber bei all den Teilnahmen nur zweimal ins Viertelfinale, 1970 und 1986 im eigenen Land.
In keinem anderen Land Lateinamerikas klaffen dennoch Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander wie in Mexiko. 25 Niederlagen hat die „Tri“bei 15 Teilnahmen einstecken müssen. Gegen den Weltmeister und Angstgegner Deutschland steht nicht ein einziger Sieg in einem Pflichtspiel zu Buche. Das wollen die Mexikaner am Sonntag ändern. Sicher könne man gegen Deutschland gewinnen, sagt Javier Hernández, genannt Chicharito, der zwischen 2015 und 2017 bei Bayer Leverkusen spielte. Und sogar noch mehr: „Wir kommen, um Weltmeister zu sein.“Der bekannte Schriftsteller und mexikanische FußballPhilosoph Juan Villoro kontert das mit Ironie: „Unglücklicherweise steht uns bei der WM gleich zu Beginn gegen Deutschland A eine Art Postdoktoranden-Examen bevor.“Und vor einem Jahr sei die „Tri“ja bekanntlich schon gegen Deutschland B klar durchgefallen.
Das letzte Aufeinandertreffen beim Halbfinale des Confed-Cups in Russland am 29. Juni endete mit einer Vorführung der mexikanischen Auswahl. 1:4 unterlag das Team von Juan Carlos Osorio den Deutschen.
Nun also wollen die Mexikaner in Russland endlich etwas Großes erreichen. Mal wieder ist man geneigt zu sagen. Denn schon so oft wollten sie eine WM rocken. Manchmal war die Mannschaft aber einfach nur schlecht, manchmal war es aber auch Pech, so wie beim dramatischen Aus 2014 gegen die Niederlande.
Dabei war die mexikanische Auswahl damals ähnlich wie die von 2018 eine richtig gute. Osorio setzt konsequent auf Spieler, die in Europa ihr Geld verdienen. „Weil sie dort auf höchstem Niveau trainieren und spielen“. Zwölf europäische Legionäre sind für Russland nominiert.
Und sollte es auch in diesem Sommer nichts werden, bleibt ja immer noch das Fernziel der Drittel-HeimWM 2026. Mexiko wird dann das erste Land sein, das Gastgeber von drei Weltmeisterschaften ist, auch wenn es sich die Endrunde mit den USA und Kanada teilen muss. Den mexikanischen Offiziellen ist da auch kaum wichtig, dass ihr Land in acht Jahren nur einen Bruchteil der Spiele abbekommt.
Aber Mexikos Fußball-Legende Hugo Sánchez findet, das reicht nicht. „Mexiko hätte Würde zeigen müssen, mehr als miserable zehn Spiele aushandeln und sich nicht mit Krümeln abspeisen lassen sollen. Als Mexikaner schäme ich mich dafür.“Wahrscheinlich nicht nur dafür.
„Wir kommen, um Weltmeister zu sein.“