Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Isländer haben Probleme, einem Chef zu folgen“
Der Ostracher Isländer Helgi Kolvidsson, Co-Trainer des Nordlands, bringt seinem Team deutsche Tugenden bei
MOSKAU - Helgi Kolvidsson ist in Oberschwaben bestens bekannt. Der mittlerweile 46-Jährige hat beim SSV Ulm gespielt, hat den SC Pfullendorf trainiert und lebt nach wie vor in Oberschwaben. Seit August 2016 ist Kolvidsson Co-Trainer der isländischen Nationalmannschaft – und nun erstmals bei der WM dabei. Im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst spricht Kolvidsson darüber, warum sein Cheftrainer nie gegen Deutschland spielen möchte.
Herr Kolvidsson, wie sehr fiebert Island der WM-Premiere entgegen?
Zur Europameisterschaft nach Frankreich sind uns alle nachgereist, weil sie geglaubt haben, das ist einmalig. Und jetzt sind wir bei der Weltmeisterschaft dabei. Das ganze Land freut sich riesig darauf.
Ihr erster Gruppengegner ist Argentinien. Wie wollen Sie Lionel Messi stoppen?
Argentinien hat sensationelle Fußballer, nicht nur die Nummer 10. Nach den ersten Videoanalysen haben wir uns gefragt: Wie soll man die eigentlich stoppen? Alles, was wir bis jetzt gemacht haben, müssen wir noch besser machen – und schneller.
Aus dem Island-Team sticht kein Spieler heraus, weder spielerisch noch charakterlich. Warum ist das so?
Isländer haben generell ein Problem damit, einem Chef zu folgen. Wir kommen eher über die Gemeinschaft. Wir sind nicht die beste Mannschaft, aber wir können die am besten organisierte sein. Wir können uns aber nicht ewig nur darauf verlassen und müssen uns weiterentwickeln.
Wie kommt es, dass das IslandTeam überall so beliebt ist?
Das liegt zum einen an unseren Fans, die sind wirklich fantastisch, machen aus jedem Spiel ein Fußballfest für die Familie. Die Leute sehen aber auch eine Mannschaft, die immer ans Maximum geht.
Sie wohnen in Oberschwaben und haben eine deutsche Frau. Haben Sie auch eine deutsche Komponente ins Team gebracht?
Ja, die Pünktlichkeit. Grundsätzlich sind für Isländer fünf Minuten zu spät oder zu früh ganz normal, das geht mir ziemlich auf die Nerven. Die Jungs kommen jetzt alle pünktlich. Ich habe auch einen deutschen Fitnesstrainer mitgebracht, und unser Torwarttrainer hat in Deutschland trainiert. Der Einzige, der bei uns im Trainerteam kein Deutsch spricht, ist der Cheftrainer. Er hat mal zu uns gesagt: Hoffentlich spielen wir nie gegen Deutschland, weil ich nicht wüsste, auf welche Bank ihr euch setzen würdet.
Haben die EM und die WM-Qualifikation einen Fußball-Boom in Island ausgelöst?
Das Geld, das wir mit der Nationalmannschaft einspielen, geht in die Infrastruktur und Jugendarbeit. Das hat bereits viel bewegt. Wir haben auch gute Handballer und Basketballer, aber Fußball ist schon die Nummer eins geworden. Wir Isländer wollen es immer besser machen, keiner ist mit dem Erreichten zufrieden. Man muss auch sagen, dass es in Island viele Sportangebote für die Jugend gibt. Und die Wege sind kurz.