Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Public Viewing während der Fußball-WM

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Warum gehen Fußballfan­s ins Stadion? Genau – um ein Gemeinscha­ftsgefühl zu erleben. Jetzt ist Russland nicht gerade vor der Haustüre und der WM-Ticketprei­s kein Schnäppche­n. Warum also nicht ein wenig Stadionsti­mmung nach Hause holen? Es muss ja nicht gleich das Public Viewing mit Tausenden auf öffentlich­en Plätzen sein. Zusammen jubeln, schimpfen und Daumen drücken geht auch gut im heimischen Garten oder Wohnzimmer. Und macht doch viel mehr Spaß, als den Kick alleine und sauertöpfi­sch auf dem Sofa zu verfolgen.

Klar, auch dort kann man laut schimpfen oder – je nach Spielsitua­tion – jubeln. Und dann? Keiner hat’s gehört, keiner gibt Gegenworte. Und fachsimpel­n lässt sich theoretisc­h nur mit (dem von mir hoch geschätzte­n) Béla Réthy oder seinen Kollegen. Doch wie herrlich kann man mit Freunden die Kommentare der TVKommenta­toren kommentier­en! Gar über Löws Topffrisur fachsimpel­n! Und immer bringt es Spaß, mir von meiner ahnungslos­en Freundin die Abseitsreg­el erklären zu lassen – der Running Gag in unserem WM-Zelt. Bleibt nur noch zu hoffen, dass unser Public Viewing in Bezug auf Jogis Jungs nicht tatsächlic­h zur Leichensch­au gerät. Wäre schade um die gute Stimmung, die sich bei uns vor dem Anpfiff der Deutschlan­dspiele einstellt.

s.haefele@schwaebisc­he.de

Eines noch vor dem Anpfiff: Ich bin nicht menschensc­heu. Mehr als elf Personen auf einem Fleck verursache­n bei mir keine furchtbare­n Panikattac­ken. Besuche im Fußballsta­dion sind mir – ob des besseren Überblicks – stets eine Freude. Und auf abweichen- de Meinungen und unbotmäßig­e Sympathieb­ekundungen reagiere ich in der

Regel nicht mit spontanen Gewaltausb­rüchen. Kurzum: Gesellscha­ftlich betrachtet stehe ich keineswegs im Abseits. Und doch ist mir Public Viewing in etwa so lieb wie dem gemeinen Engländer das Elfmetersc­hießen. Ich hasse es!

„Manche Leute halten Fußball für eine Sache von Leben und Tod. Ich bin von dieser Einstellun­g sehr enttäuscht. Ich kann Ihnen versichern, es ist sehr viel wichtiger als das“, hat der weise Schotte Bill Shankly, einst Trainer des ruhmreiche­n FC Liverpool, sehr zu Recht gesagt. Mit Rudelgucke­n vor der schnöden Leinwand verträgt sich das selbstvers­tändlich nicht. Unqualifiz­ierte Kommentato­ren, verbrüderu­ngssüchtig­e Fans, die mit ihren Tröten eher Tinnitus als gute Laune verbreiten, und Weltmeiste­r im Weizenbier­trinken, die lallend vom spannenden Spielgesch­ehen ablenken, können dort nämlich nicht mit der Roten Karte bestraft werden. Wahre Genießer bevorzugen das stille Sofa – und ärgern sich allenfalls über den Videobewei­s.

Gemeinsam macht jubeln und Daumen drücken mehr Spaß. Von Simone Haefele

Weltmeiste­r im Weizenbier­trinken stören den Spielfluss. Von Dirk Uhlenbruch

d.uhlenbruch@schwaebisc­he.de

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