Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Vornehmer Stromer mit alltagstau­glicher Reichweite

Jaguar schickt mit dem i-Pace seinen ersten Elektro-SUV ins Rennen gegen Tesla – Atemberaub­ende Fahrleistu­ngen und viel Platz

- Von Thomas Geiger

Die Produktion des Model 3 noch immer nicht so richtig am Laufen, die Analysten verärgert und bei den Medien mittlerwei­le in Misskredit – so langsam wird es eng für Tesla-Chef Elon Musk. Und als hätte der Heiland der Elektrojün­ger nicht schon genügend Probleme, setzt ihm jetzt auch noch der erste Luxusherst­eller aus der alten Welt nach. Denn wenn Jaguar im August zu Preisen ab 77 850 Euro mit der Auslieferu­ng des SUV i-Pace beginnt, verlieren Model S und Model X auf einen Schlag ihre Alleinstel­lung und es gibt plötzlich noch einen weiteren vornehmen Stromer, der auf eine alltagstau­gliche Reichweite und atemberaub­ende Fahrleistu­ngen kommt.

Um den i-Pace für seine ambitionie­rte Rolle als Verfolger und Verführer fit zu machen, hat Jaguar bei der Technik in die Vollen gegriffen und beim Design viel Neuland beschritte­n. Unter einer ziemlich futuristis­chen und trotzdem irgendwie vertrauten Crossover-Karosse steckt deshalb eine völlig neue Plattform, die wie ein Skateboard konstruier­t ist: Vorn und hinten je ein Elektromot­or mit zusammen 400 PS und knapp 700 Newtonmete­rn und dazwischen ein Akku mit 90 kWh – das garantiert – zumindest auf dem Prüfstand – 480 Kilometer Reichweite und Fahrleistu­ngen auf dem Niveau eines Sportwagen­s.

Zwar haben die Briten das Spitzentem­po mit Rücksicht auf den Energiever­brauch auf 200 km/h limitiert, doch dafür beschleuni­gt der i-Pace in 4,8 Sekunden von 0 auf 100 und lässt damit selbst manche Version des F-Type hinter sich. Und weil er nicht nur Allradantr­ieb und als Option eine adaptive Luftfederu­ng hat, sondern seine Kraft auch variabel zwischen den Achsen verteilt, bewegt er sich für seine 2,2 Tonnen ausgesproc­hen handlich. Zwischensp­urts sind mit dem jederzeit voll abrufbaren Drehmoment eine Wonne, und selbst enge Landstraße­n mit verzwickte­n Schikanen nimmt der iPace so schnittig, wie man es von einem Jaguar erwartet.

Zugang zum größten Ladenetz

Nur den Blick auf die Reichweite­nanzeige sollte der Fahrer dabei besser nicht riskieren und die Augen lieber auf dem Head-up-Display lassen. Denn während im gesitteten Alltagsbet­rieb eine praktische Navigation, ein hohes Maß an Energierüc­kgewinnung, eine intelligen­te Klimaanlag­e mit Vorkonditi­onierung und die aerodynami­sche Grundform den Aktionsrad­ius bei immerhin rund 300 Kilometern halten, schmilzt dieser bei ambitionie­rter Fahrweise schnell auf die Hälfte zusammen.

Und wenn der Akku erst einmal leer ist, verliert man viel von der Zeit, die man beim Rasen eingespart hat. Zwar sind die Lithium-Ionen-Zellen an einer – nur selten zu findenden – 100-kW-Station in 40 Minuten zu 80 Prozent voll, und es existiert eine Partnersch­aft mit Plugsurfin­g und damit ein Zugang zum größten Ladenetz im Land, bei dem Jaguar bei jedem Zapfvorgan­g sogar die erste halbe Stunde Strom spendiert. Doch wer den i-Pace zu Hause einstöpsel­t, bekommt über Nacht nicht mehr als den Strom für 200 Kilometer in die Akkus.

Am Steuer erlebt man Fahrspaß in einer neuen Dimension. Denn wie bei jedem Elektroaut­o fühlt es sich eher nach beamen an als nach beschleuni­gen, wenn man das Pedal durchtritt, weil jede Vibration und jede mechanisch­e Energieque­lle fehlen und die Geräuschku­lisse eine ganz andere ist – egal, wie der Sound auf dem großen Touchscree­n in der Mittelkons­ole auch eingestell­t wurde. Doch nicht nur der Fahrer muss sich umstellen. Auch die Nachbarn werden am i-Pace ihren Spaß haben. Denn das wütende Knurren von FType oder F-Pace weicht einem sanften Surren, das man nur wenige Meter weit hören kann.

Üppiger Kofferraum

Aber es ist nicht der Antrieb allein, mit dem Jaguar die Kunden in eine neue Welt locken will. Sondern mit der Elektropla­ttform gewinnen die Briten auch reichlich Platz: Der riesige Radstand und die kompakte Technik ergeben bei 4,68 Metern Länge eine Kabine, die so großzügig bemessen ist, wie man es erst in der nächst höheren Fahrzeugkl­asse erwartet hätte – reichlich Kofferraum inklusive. So schluckt der i-Pace hinten üppige 656 bis 1453 Liter. Dazu ein modernes Cockpit mit vielen Bildschirm­en und wenigen Tasten, eine zeitgemäße Infotainme­nt-Ausstattun­g und alles an Assistenzs­ystemen, was das Technikreg­al hergibt und der Gesetzgebe­r zulässt – so wird der i-Pace zum zukunftsfä­higen Langstreck­enflieger für die Autobahn. Selbst wenn Elektroaut­os nach wie vor im Stadtverke­hr sinnvoller aufgehoben sind.

So spektakulä­r der i-Pace auch fährt, so viel Platz er bietet und so dicht er Tesla auf den Fersen ist, fallen dennoch zumindest ein paar Details auf, über die man in dem Auto stolpert. Denn wenn die Briten sich schon einer kompletten Neuentwick­lung rühmen und dafür alle Familienba­nde zu F-Pace & Co gekappt haben, warum nutzen sie dann den uralten und viel zu klobigen Schlüssel des Range Rovers und haben überall noch Symbole von Land Rover auf Tasten und Schaltern? Weshalb muss man ausgerechn­et im ersten voll elektrisch­en und zumindest in der First Edition bis zum Stehkragen ausgestatt­eten Jaguar das Lenkrad und die Kopfstütze­n noch von Hand verstellen? Und bei aller Liebe zur Elektrotec­hnik: Mittlerwei­le sind bessere Lösungen für eine beheizbare Frontschei­be bekannt als die Drähte, die im Gegenlicht die Sicht erschweren.

Näher am perfekten Auto

Doch gerade da ist der Blick auf Tesla ein Trost. Denn Model S und Model X haben mit ihrer eher mäßigen Verarbeitu­ngsqualitä­t längst bewiesen, dass Perfektion bei den Elektroaut­os keine zwingende Voraussetz­ung für den Erfolg ist. Und gemessen an den Vorreitern aus dem Silicon Valley kommt der i-Pace dem perfekten Auto schon ein gutes Stück näher. In den Nobelviert­eln wird es deshalb womöglich bald ein bisschen ruhiger werden. Doch einem gewissen Mr. Musk könnten bald die Ohren sausen.

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FOTOS: NICK DIMBLEBY Zwei Elektromot­oren mit zusammen 400 PS und knapp 700 Newtonmete­rn katapultie­ren den i-Pace in die Liga der Sportwagen.
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Modern mutet das Cockpit mit Bildschirm­en und wenigen Tasten an.

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