Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wo sich Wisent und Wolf gute Nacht sagen
Die schönste Art, den Nationalpark Bieszczady im Südosten Polens zu erobern, ist hoch zu Ross
Wälder, Wiesen, Weiden so weit das Auge reicht. In der polnischen Mittelgebirgslandschaft Bieszczady geht Naturliebhabern das Herz auf. Nicht nur, weil es in der menschenleeren Gegend einmalige Pflanzenarten zu bestaunen gibt, sondern auch, weil hier zahlreiche wilde Tiere leben: Wisente, Hirsche, Adler, Luchse, Biber, Wölfe und sogar Bären. Wer gerne bei Wind und Wetter draußen aktiv ist und dabei am liebsten seine Ruhe hat, der ist in Polens äußerstem Südosten goldrichtig.
Die Bieszczady liegen in der Woiwodschaft Karpatenvorland. Eine Woiwodschaft ist ein Verwaltungsbezirk, der in etwa einem deutschen Bundesland gleicht. Als Gebirgslandschaft gehören die Bieszczady zu den Ostkarpaten, die sich weiter über die angrenzenden Länder Slowakei und Ukraine erstrecken. Die Region wird auch als Ostbeskiden oder Waldkarpaten bezeichnet. Prägend für die Bieszczady sind neben den Mischwäldern die sogenannten Poloninen – die baumlosen Höhenlagen, die früher teilweise als Bergweiden genutzt wurden. Die Baumgrenze liegt hier bei 1100 Metern.
Wegen seiner ungezähmten und ursprünglichen Schönheit ist ein Teil der Bieszczady 1973 zum Nationalpark erklärt und fast 20 Jahre später in das neu geschaffene Unesco-Biosphärenreservat Ostkarpaten aufgenommen worden. Der Nationalpark ist mit 29 000 Hektar der drittgrößte in Polen.
In den Bieszczady heißt es: „Die Menschen kommen nicht wegen des Trubels oder der lauten Partys hierher. Sie kommen, um inspiriert zu werden.“Und Inspiration findet sich genug – ob zu Fuß, im Boot, auf dem Rad, der Draisine oder dem Rücken der Pferde. Durch den Nationalpark schlängeln sich Wanderwege mit einer Gesamtlänge von mehr als 200 Kilometern. Die Strecken sind farblich markiert. Der gelbe Wanderweg führt auf den sattelförmigen Berg Tarnica nahe der ukrainischen Grenze – mit 1346 Metern der höchste Berg in den Bieszczady. Vom Gipfel aus hat man eine wunderbare Fernsicht über die unberührte und unbewohnte Landschaft.
Dabei war es hier in früheren Zeiten alles andere als menschenleer. Bis zum Zweiten Weltkrieg lebten am Rande Polens Zehntausende Ukrainer sowie die Volksgruppen der Lemken und Bojken. Sie wurden zum Politikum, als es nach dem Krieg zu Grenzverschiebungen kam. Im Jahr 1947 begann die sogenannte „Aktion Weichsel“. Politische und ethnische Grenzen sollten verschmelzen, die Minderheiten wurden nicht länger geduldet. Wer nicht freiwillig ging, wurde nach Westen umgesiedelt. So auch die Bewohner in den Bieszczady. Was von ihnen bis heute blieb, ist ihr kulturelles Erbe – wie die typischen Holzkirchen.
Pferdezucht im Nationalpark
In den Jahren nach der Zwangsumsiedlung blieben die Bieszczady weitestgehend sich selbst überlassen. Bis heute ist sie die am dünnsten besiedelte Region Polens. Entsprechend jungfräulich ist der Tourismus – auch weil dieser in Zeiten des Kommunismus ausschließlich staatlich organisiert war und jetzt erst langsam wachsen muss. Indes entfalten sich Flora und Fauna umso lebendiger. Zu den rund 4000 Tierarten, die im Bieszczady-Nationalpark leben, zählen unter anderem die stattlichen Wisente, die europäischen Bisons. Anfang des 20. Jahrhunderts waren sie fast ausgerottet. In den 1960erJahren wurden fünf Tiere in den Bieszczady ausgewildert. Nach und nach kamen weitere Tiere hinzu. Heute gibt es in den Bieszczady Hunderte frei lebende Wisente, in ganz Polen sind es 2000 – die Hälfte der weltweiten Population. Mittlerweile gehören sie sogar zum nationalen Kulturgut. Wanderer treffen hingegen nur selten auf die Wisente. Auch die Braunbären und Wölfe sind eher scheu. Von ihnen findet man nur die Spuren. Mit etwas Glück sehen Besucher aber hin und wieder einen Hirsch.
Die berühmtesten tierischen Bewohner von Polens wildem Osten sind aber die Huzulenpferde. Auch sie waren einst vom Aussterben bedroht, werden jetzt aber unter der Federführung des Nationalparks wieder gezüchtet, um ihren Fortbestand zu sichern. Ihren Namen hat die Pferderasse von den Huzulen, einer ethnischen Minderheit, die als Bergbauern in der Huzulei lebten – in den heute auf ukrainischer Seite liegenden Ostkarpaten.
Die kleinen, halbwilden Huzulenpferde gelten als robust, zäh, mutig und trittsicher. Für die Waldkarpaten sind das die besten Voraussetzungen. Wegen ihres gutmütigen und freundlichen Wesens werden die Tiere zudem als Therapiepferde genutzt. Eine Handvoll Ställe in den Bieszczady bieten Reitstunden, Ausritte und Kutschfahrten an – so wie in Tarnawa Nizna. Und es ist wahrlich ein unvergessliches Erlebnis, die unangetastete Natur der Bieszczady hoch zu Ross zu erkunden. Im Galopp geht es über saftige Wiesen, im Schritt durch Flüsse und Gräben. Stress gibt es in solchen Momenten keinen, nur Inspiration.