Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Kein klarer Anführer in Sicht
Rückflug-Tickets für die Weltmeister? Khedira will sie „erst am 16. Juli“– Dennoch fehlt dem DFB-Team ein wahrer Chef
SOTSCHI - Flug SK 2004, von Sotschi nach Berlin, datiert auf den 23. Juni, 23 Uhr, ausgestellt auf „Die Mannschaft“. Motto: „World Cup to Holiday“, also von der WM ab in den Urlaub. Verpflegung an Bord: Speisen und „frei Weißbier“. Diese selbst gebastelte Bordkarte mit Abreise direkt nach Abpfiff am Samstag hielt Ludvig Holmberg von der schwedischen Boulevard-Zeitung „Expressen“Weltmeister Sami Khedira am Donnerstagmorgen am Rande des Trainingsplatzes unter die Nase:
Holmberg: „Wenn Sie am Samstag gegen Schweden verlieren, geht's bereits auf die Heimreise. Darum habe ich hier ein paar Bordkarten für Sie und Ihre Teamkollegen.“
Khedira: „Herzlichen Dank. Aber die brauchen wir nicht. Wir wissen, dass wir eine starke Mannschaft haben und sind überzeugt, dass wir das Spiel gewinnen werden.“
Holmberg: „Okay, dann kriegen Sie die Bordkarten vielleicht nach dem Spiel.“Khedira: „Ich denke, wir brauchen die am 16. Juli.“
Der 16. Juli? Der Tag nach dem WM-Finale. Das ist mal ein Statement! Sami Khedira (31), nach dem 0:1 zum Auftakt gegen Mexiko wegen seines Fehlers vor dem Gegentor und seiner teils zu langsamen Spielweise kritisiert, präsentierte sich zwei Tage vor dem zweiten Gruppenspiel, das nun schon das erste K.o.-Spiel ist, rein rhetorisch in Bestform: „Wir haben wie Schuljungen gespielt, uns auskontern lassen. Wir müssen in allen Mannschaftsteilen kompakter und intelligenter spielen, besser umschalten“, sagte der Mittelfeldspieler, „und besser kommunizieren.“
Miteinander reden, kommunizieren – das war das Thema dieser Tage von Sotschi nachdem die Nationalelf sich noch am Dienstag in Moskau zu einer Teamsitzung mit deutlichen Worten getroffen hatte. Als Wortführer traten neben Kapitän Manuel Neuer und Khedira die Spieler auf, die schon als stellvertretender Kapitän aufgelaufen sind: Thomas Müller, Toni Kroos, Jérôme Boateng und Mats Hummels. Gegen Schweden wird sich zeigen, wer für „Die Mannschaft“(so lautet ja auch der offizielle Marken-Claim) Verantwortung übernimmt. Und wie es wirklich um die Hierarchie, dieses Zusammenspiel aus Leistung, Erfahrung und soziales Verhalten, bestellt ist. Gegen Mexiko wirkte man führungslos. „Das ist der Vorwurf, den wir uns machen müssen, auch ich, definitiv“, sagte Khedira ehrlich, „wir haben nicht reagiert, haben keine Lösungen gehabt“.
Hierarchie ist nicht eindeutig
Das aktuelle Problem: Dieser Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw fehlt ein wahrer Chef, auch weil Neuer durch seine langwierige Verletzung eineinhalb Jahre lang kaum Länderspiele bestreiten konnte.
Es ist kein klarer Anführer in Sicht wie einst die alten Haudegen vom Schlage eines Lothar Matthäus, Michael Ballack, Oliver Kahn. Oder man nehme die Doppelspitze der WM 2014: Hier Philipp Lahm, der nominelle Kapitän, der Administrator, dort Bastian Schweinsteiger, der Stellvertreter und emotionale Leader – ein Erfolgsgespann.