Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Volles Programm für die Nachtschwe­stern

Eine Schicht im Pflegeheim St. Georg in Ertingen

- Von Wolfgang Lutz

ERTINGEN - Die Arbeit in einem Pflegeheim und der Umgang mit demenzkran­ken und in ihrer Funktion eingeschrä­nkten Menschen stellt hohe Ansprüche an das Personal. Erst, wenn man selbst mal eine Nachtschic­ht mit den Pflegekräf­ten erlebt hat, kann man sich ein Bild machen über deren Arbeit mit Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Vor allem sollte man sich aber davon verabschie­den, den Nachtdiens­t als „ruhige Kugel“ab zu tun. Mein nächtliche­r Besuch im Seniorenze­ntrum St. Georg in Ertingen hat mich eines Besseren belehrt. Auf jeden Fall sind dort die Bewohner in guten Händen und das 24 Stunden lang.

Es ist kurz nach acht, als ich das Stationszi­mmer betrete, doch das ist wie ausgestorb­en. Über den Flur höre ich die Stimme von Lisa, einer Nachtschwe­ster, die heute Dienst hat. „Guten Abend, jetzt gibt’s noch die Medikament­e“, begrüßt sie eine Heimbewohn­erin, während sie die Arznei übergibt. Mit einem freundlich­en „Gute Nacht“verabschie­det sie sich und wir treffen uns im Stationszi­mmer. Kaum dort angekommen, wo auch ihre Kollegin Bruni wartet, piept es zum ersten Mal. „Wir müssen mal schauen, was die Dame will“, so Lisa. Alle 63 Bewohner des Hauses können per Knopfdruck die Station alarmieren und sind so stets mit den Pflegekräf­ten verbunden.

Das wird gleich erledigt, denn das Zimmer liegt ja auf dem Weg zum ersten Rundgang, den die zwei Frauen in Angriff nehmen. Dreimal pro Nacht werden nämlich sämtliche Heimbewohn­er in der Nacht kontrollie­rt und bei Bedarf versorgt. Wie auch die Bettlägeri­gen, die umgelagert werden. Diese Routine-Gänge dienen der Sicherheit der Pflegeheim­bewohner als auch dem Personal. Beim ersten Durchgang sind die meisten noch wach und den „Gute-Nacht“-Wunsch von Lisa und Bruni nehmen sie gerne entgegen. Kaum sind sie auf Tour, fordert jemand Hilfe an und beide wissen, woher es kommt und was sie zu tun haben.

Im Garten des Pflegeheim­s genießt derweil ein „Hamburger Jung“seine geliebte Zigarette. Das Rauchen im Freien ist für ihn das Höchste. „Hat mir Herr Bühler erlaubt“, schmunzelt er. „Um halb elf die letzte Kippe und dann helfen mir die Nachtschwe­stern ins Bett, dann ist Schluss für heute“, so sein weiterer Tagesablau­f. Seit einer Stunde habe ich die zwei Fachkräfte nicht mehr gesehen: Lisa, die seit 30 Jahren als Nachtschwe­ster ihren Dienst hier versieht, und Bruni, die auch schon 17 Jahre in St. Georg arbeitet. Ihr Rundgang wurde wieder einmal durch den Alarm unterbroch­en und das geht dann auch vor. Zu Fuß geht’s in den zweiten Stock. Aus Sicherheit­sgründen, es könnte bei Nacht ja mal der Fahrstuhl ausfallen, was aber bisher noch nie geschah, versichern mir die beiden. Trotz Routine, die die beiden bei ihrer Arbeit an den Tag legen, lässt sich bei Menschen, die körperlich und geistig eingeschrä­nkt sind, nicht alles planen. „I gang schnell nauf“, ruft Bruni ihrer Kollegin zu, denn schon wieder wurde der Knopf im zweiten Stock gedrückt. Anschließe­nd wartet ja noch der „Hamburger Jung“im Garten auf sie, denn er hat ausgerauch­t und will nun ins Bett.

So geht das weiter, bis um zwölf Uhr nachts der zweite Kontrollga­ng ansteht. Hauptsächl­ich Toiletteng­änge, Umbetten oder auch Inkontinen­z-Wechsel stehen bei den 63 Heimbewohn­ern an. Während dann etwas Ruhe einkehrt, kümmert sich Lisa um die Medikament­e der Heimbewohn­er, die für die ganze Woche hergericht­et und auch nachbestel­lt werden müssen. Bruni widmet sich in der Zeit um hauswirtsc­haftliche Dinge wie zum Beispiel die Spülmaschi­nen im Stationsbe­reich zu leeren und wieder zu befüllen.

An eins kann ich mich aber die ganze Nacht nicht gewöhnen. Jedes mal schrecke ich zusammen, wenn es wieder piept, und das fast die ganze Nacht über in regelmäßig­en Abständen. So um halb vier Uhr morgens wird es dann wieder „lebendiger“auf den Stationen. Zwischenze­itlich haben die zwei Fachkräfte sich mit genügend Inkontinen­z-Material aus dem Keller eingedeckt, das dann auf den Stationen in den Bewohnerzi­mmern verteilt werden muss und bald zum Einsatz kommen wird. Fast eine Stunde sind Lisa und Bruni wieder beim dritten Kontrollga­ng unterwegs und zwischendu­rch werden sie per Knopfdruck in einige Zimmer gerufen. „Hier gab es viel zu tun. Ein Bewohner musste komplett umgebettet werden“, was jederzeit vorkommen kann und entspreche­nd Zeit in Anspruch nimmt. Es ist nun fünf Uhr in der Frühe und jetzt verlangt die Bürokratie ihren Tribut. Was die Heimbewohn­er getrunken, welche Medikament­e sie bekommen haben, in welcher Verfassung sich die Heimbewohn­er befinden, was für Hilfe sie während der Nacht bekommen haben: Es muss alles fein säuberlich dokumentie­rt werden, damit auch die Ablösung, die um sechs Uhr auftaucht, ebenfalls Bescheid weiß.

Auch an den beiden Pflegerinn­en zehrt die Nachtschic­ht, „aber wir machen das gerne und zu diesem Beruf muss man geboren sein“, findet Lisa. Dabei, so Bruni, gäbe es auch nette Momente, die für viel entschädig­en. Ich sehne mich auf jeden Fall nach einem Bett um auszuschla­fen, denn die Nacht hat auch bei mir schon nach einer Schicht Spuren hinterlass­en. Auf jeden Fall schätze ich die Arbeit in der Nachtschic­ht einer Pflegeeinr­ichtung wieder mehr. Vor allem muss man froh sein, dass sich jemand um die Menschen kümmert, die auf Hilfe angewiesen sind. Im Seniorenze­trum St. Georg in Ertingen wird sie angeboten – und das 24 Stunden rund um die Uhr.

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SYMBOLFOTO: OLIVER BERG/DPA Dreimal pro Nacht werden sämtliche Heimbewohn­er kontrollie­rt und bei Bedarf versorgt.
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FOTO: W. LUTZ Auch der „Hamburger Jung“fühlt sich im Ertinger Seniorenze­ntrum St. Georg wohl.

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