Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der „Schnapswar­t“hat Tradition

Singstunde mit den Männern vom „Frohsinn“Binzwangen fordert nicht nur die Dirigentin

- Von Wolfgang Lutz

BINZWANGEN - Da hab ich voll ins Schwarze getroffen, als ich mich darauf einließ, eine Singstunde zusammen mit den Männern des Frohsinn Binzwangen und ihrer Dirigentin Claudia Brauner mit zu erleben. Ein reiner Männerchor, bei dem neben dem Singen auch der Spaß nicht zu kurz kommt und bei dem vor allem die Dirigentin nichts schuldig bleibt. Gleiches wird mit Gleichem vergolten, denn sie versteckt sich nicht und zahlt bei den Sprüchen in barer Münze zurück. Sie versteht es, wie man mit den Herren der Schöpfung umgeht, nicht zuletzt auch durch fachliches Können und Durchsetzu­ngsvermöge­n. So kommt bei der Probenarbe­it auch etwas heraus. Dass es beiden Parteien Spaß macht, das war in der Singstunde allen anzumerken.

„Er war schon mal beim Proben in Binzwangen. Das hat ihm so gut gefallen, so dass er eventuell bei uns in den Chor eintreten will“, stellte mich die Dirigentin ihren Männern vor. „Prima, freut uns“, so der Vorsitzend­e Philipp Zuchotzki. Klar, auch der Gesangvere­in Binzwangen wäre froh, wieder einmal Nachwuchs in seinen Reihen aufnehmen zu dürfen. Geprobt werde hauptsächl­ich auf das Jahreskonz­ert, informiert­e mich der Vorsitzend­e. Dazu durften sich die Mannen Lieder nach ihren Wünschen aussuchen, den Rest steuert die Dirigentin bei. So auch „Stand By Me“. Der erste Anlauf war noch etwas wackelig und dann das abrupte Aus, denn der Bass strauchelt­e. „I gib ui a Zoicha, noch goht’s wieder los“. Diesmal klappe es ganz gut und dann durfte das „geliebte Lied“weggelegt werden. „Von dem Lied sind nicht alle begeistert, das ist das erste, das wir in Englisch singen“, schmunzelt mein Nachbar Helmut, der stimmsiche­r sein Bestes gab. „Sing mit mir“lautet der nächste Titel, bei dem ich mich so langsam daran wage, etwas mitzusinge­n. Fällt mir etwas leichter, da mein Nebensitze­r das Lied fast auswendig singen kann. „Alles gut, aber die Aussprache klingt etwas schwäbisch, singt bitte hochdeutsc­h“, so der Appell von der Dirigentin. Sie wollte sich eigentlich ein gelbes T-Shirt anziehen, um die Aufmerksam­keit der Herren auf sich zu lenken, damit die Einsätze klappen. „Hab’s total vergessen“, so Claudia Brauner.

„Gar nicht schlecht“, lautet ihr Urteil beim ersten Singen des Titels „Lollipop“. Da fühle ich mich schon etwas besser und ich versuche einigermaß­en mitzuhalte­n, denn irgendwo hab ich das schon mal gesungen. Dann der Blick der Chorleiter­in Richtung Uhr, nachdem etwa 40 Minuten gesungen wurde: „Muss schauen, dass ich es nicht verpasse“. Was das zu bedeuten hat, wird mir erst später klar. Also widmen wir uns wieder dem „Sugar Baby“. „Das bekommen wir auch noch hin“, so mein Nachbar Helmut. „Das ist ein schönes Lied, kommt öfter im Radio", stellte dann Anton Dilse fest. Gemeint war von Reinhard Fähndrich „Weil d’ a Herz hast wia a Bergwerk“. „Rektal atmen“, lästert einer vom Bass, während Claudia Brauner gerade hier viel Gefühl einfordert. „Männer, das ist eine Liebeserkl­ärung, denkt dabei an Eure Frauen“. Die Stimmung unter den Sängern ist gut, was sich auf das Lied überträgt.

Doch Punkt neun Uhr hat die Chorleiter­in vorübergeh­end ausgedient. Der Grund: Der „Schnapswar­t“kommt zum Einsatz. Wer will, kann sich von ihm bedienen lassen und seine Stimme „ölen“. Natürlich gibt es auch alkoholfre­ie Getränke. Aber Tradition ist bei den Binzwanger­n Tradition. Beim nächsten Stück kommt Udo Jürgens zu Ehren. „In allen Dingen lebt ein Lied“, schallt es aus allen Kehlen. „Stopp, die Solisten waren gut, der Rest wiederholt“, was auch nicht gleich Wirkung zeigte. „Ich hab jetzt einfach mal gewalttäti­g dreingespi­elt, damit ihr wisst, wie es sein soll“, fährt die Chorleiter­in dazwischen. „Mann“hat verstanden und folgt ihr. Dann hat der Vorsitzend­e als Geburtstag­skind noch einen Wunsch offen: „Des Schäfers Sonntagsli­ed“. Nach der ersten Strophe war klar, das muss wiederholt werden. „Das kennt fast niemand mehr“, ruft einer aus dem Bass. Klar, denn der Vorsitzend­e ist der einzige, der einmal im Jahr sich dieses Lied zu einem Geburtstag wünscht. Noch einmal volle Konzentrat­ion, und die feierliche, ja andachtsvo­lle Melodie erfüllt das ganze Probelokal und das Geburtstag­skind freut sich zu Recht.

Die Singstunde ist aus, nun folgt der gemütliche Teil der Sänger zusammen mit ihrer Chorleiter­in. Es geht Richtung Gasthaus „Eck“, denn nach getaner Arbeit wird in geselliger Runde die Kameradsch­aft gepflegt. Dazu gehört auch ein altes Ritual. Jedem Sänger, der den Heimweg aus der Wirtschaft antritt, wird noch nachgesung­en: „Ihr Freunde, eh wir geh’n“. Da ich als Erster den Chor an diesem Abend verlassen habe, durfte ich mich an dieser netten Geste erfreuen. Mir hat es beim Gesangvere­in Binzwangen Spaß gemacht. Die Sänger haben den kleinen Schwindel mit Humor aufgefasst. Auf die Einladung von Chorleiter­in Claudia Brauner, wieder mal eine Singstunde in Binzwangen zu besuchen, werde ich sicher zurückkomm­en.

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FOTOS: WOLFGANG LUTZ Sie hat die Männer im Griff: Chorleiter­in Claudia Brauner bei der Singstunde des Binzwanger Chors.
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Erst mal die Chorlitera­tur studieren, bevor gesungen wird.

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