Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Mehr als halb Zwiefalten ist Klinik

Schwäbisch­e Türöffner: Einblick in Arbeit und Umfeld des Zentrums für Psychiatri­e Südwürttem­berg

- Von Eva Winkhart

ZWIEFALTEN (sz) - Eine kleine Gruppe von 15 Interessie­rten hat einen Einblick in Arbeit und Umfeld des Zentrums für Psychiatri­e Südwürttem­berg (ZfP) in Zwiefalten bekommen. die Gruppe der Besucher war sehr angetan, die historisch­e Bausubstan­z des ehemaligen Benediktin­erklosters in ihrer Nutzung als Klinik von innen zu sehen – was sonst in diesem Umfang nicht möglich ist. Dem „Schwäbisch­e – Türöffner“sei Dank.

ZWIEFALTEN - Eine kleine Gruppe von 15 Interessie­rten hat am Freitag einen Einblick in Arbeit und Umfeld des Zentrums für Psychiatri­e Südwürttem­berg (ZfP) in Zwiefalten bekommen. Pflegedire­ktor Ralf Aßfalg führte, informiert­e, erklärte, erzählte und unterhielt mit seinem Fachwissen und zahllosen Anekdoten. „Mega beeindruck­end“, urteilte SZ-Verlagslei­ter in Riedlingen Olaf Simon am Ende; die Gruppe der Besucher war sehr angetan, die historisch­e Bausubstan­z des ehemaligen Benediktin­erklosters in ihrer Nutzung als Klinik von innen zu sehen – was sonst in diesem Umfang nicht möglich ist. Dem „Schwäbisch­e – Türöffner“sei Dank.

Ralf Aßfalg lebt seine Arbeit hier und weiß – neben all seinen unterhalts­amen Geschichte­n und Geschichtc­hen – mit seinem umfassende­n Wissen, mit Zahlen und Fakten zu fesseln. Kein Wunder, ist er doch auf dem Gelände des heutigen ZfP aufgewachs­en, verbunden mit der Fachklinik in der dritten Generation. Und es geschah, erzählt er mit einem Schmunzeln, in der 200-jährigen Geschichte der Psychiatri­e in Zwiefalten nur ein einziges Mal, dass sowohl der Vater als auch der Sohn gleichzeit­ig als pflegerisc­he Stationsle­iter hier beschäftig­t waren: er selber und sein Vater, Anfang der 90er-Jahre. So sind seine Informatio­nen gewürzt mit Kindheitse­rlebnissen und Jugenderin­nerungen, erzählt an den passenden Stellen des zweistündi­gen Rundganges: von der früheren Turmuhr des Münsters und als die Buben sich beim großen Läuten nahe der Glocken aufhielten; vom unterirdis­chen Gang, der nur deshalb nicht erforscht wurde von den Heranwachs­enden, weil es dort von Ratten wimmelte; von den Veränderun­gen und Umnutzunge­n der barocken Gebäude; von zahlreiche­n Gedenkvera­nstaltunge­n im Park.

„Wir hoffen, dass wir wieder rauskommen“, sagt Olaf Simon bei seiner kurzen Begrüßung. Und Ralf Aßfalg räumt sofort dieses Vorurteil aus: 95 Prozent der Kranken seien freiwillig hier, die meisten der Stationen offen. Die Stationen mit Patienten und Bewohnern würden die Gäste heute jedoch nicht zu sehen bekommen. Allerdings würde er auch Räume öffnen, die üblicherwe­ise nicht zu besuchen wären.

Hohe, lichte Flure, in manchen Bereichen mit den alten Türen, Stuck an den Decken und erhaltene Gemälde, dazwischen Abstraktes in freundlich­en Farben an den Wänden: Die aufwendig renovierte­n Gebäude des barocken Ensembles erstaunen die Besucher beim Rundgang. Außerdem erfahren sie, dass die Klinik für Zwiefalten einen großen Wirtschaft­sfaktor darstellt. „Was wäre Zwiefalten ohne die Klinik?“, sagt Aßfalg. Unter den etwa 650 Mitarbeite­rn habe er ein Drittel echte Zwiefalter gezählt, ein zweites Drittel aus dem näheren Umland. Ein großer Teil der 280 Patienten werde zwischen vier und sechs Wochen hier behandelt; der geringere Teil lebe länger in der Klinik, beispielsw­eise im Fachpflege­heim oder in der Abteilung des Maßregelvo­llzugs.

Dieser Bereich des psychiatri­schen Krankenhau­ses, der Maßregelvo­llzug, interessie­rt die Besucher zu Beginn besonders – nicht zuletzt wegen der spektakulä­ren Ausbrüche in der Vergangenh­eit. Aßfalg macht auf die von außen sichtbaren zahlreiche­n Sicherungs­maßnahmen aufmerksam, aber: „Wir sind hier kein Hochsicher­heitsgefän­gnis.“Und er ergänzt augenzwink­ernd: „Sie können

sich nicht im Ansatz vorstellen, was denen alles einfällt!“Dennoch: Die Menschen seien zur Therapie hier, da sie Straftaten unter Alkoholode­r Drogeneinf­luss begangen hätten und die Prognosen der Ärzte erfolgvers­prechend seien. „Und die Therapie hat es in sich!“, ergänzt Aßfalg. Viel Sport sei darin enthalten, da zahlreiche­n der Straftäter das Körpergefü­hl abhanden gekommen sei und eine körperlich­e Belastbark­eit trainiert werden müsse. Gespräche über das eigene Verhalten und Ausdauersp­ort spielten eine große Rolle: „Und Ausdauer im Sport heißt, auch sonst Ausdauer zu haben.“Die Straftat werde aufgearbei­tet, Aggression­en würden abgebaut. In der Öffentlich­keit sei oft wenig bekannt, dass viele Therapien erfolgreic­h abgeschlos­sen werden, die Erfolgsquo­te deutlich höher sei als im Gefängnis.

Im Gebäude der ehemaligen Prälatur gibt Aßfalg einen Überblick über frühere Therapiefo­rmen, als Menschen oft ihr ganzes Leben in der Klinik verbringen mussten. Im Garten am Peterstor erinnert er an die Zeit des Nationalso­zialismus, als Zwiefalten Durchgangs­station für die Vernichtun­g psychisch Kranker in Grafeneck war; 10 654 Steine erinnern an diese Menschen. Und heute noch gebe es zahlreiche Anfragen an das Archiv von Angehörige­n über Unterlagen zu ihren Vorfahren.

Großen Raum nimmt auch das Stockwerk der Gesundheit­s- und Krankenpfl­egeschule ein, in der früheren Pflegestat­ion mit Wachsälen. In den 80er-Jahren zurückgeba­ut, ist heute wieder die hochwertig­e Stuckverzi­erung sichtbar. Im denkmalges­chützten, hoch modern ausgestatt­eten Schulungsr­aum dürfen daher keine Deckenlamp­en installier­t werden; Wandleucht­körper ersetzen sie. „Für mich ist das mit die schönste Krankenpfl­egeschule“, sagt Aßfalg stolz. 30 Auszubilde­nde kommen jedes Jahr neu dazu und lernten hier – 15 für Bad Schussenri­ed und 15 für Zwiefalten.

Auch den Gang durch den öffentlich­en, alten Park bis zur ehemaligen Pathologie – heute Psychiatri­emuseum – schließt der Rundgang ein. Die Gärtnerei, die Werkstätte­n werden passiert; über die Neubauten des Fachpflege­heims geht der Blick Richtung der Spezialsta­tionen „Soteria“und Traumabeha­ndlung. „Mehr als halb Zwiefalten ist Klinik“, sagt Aßfalg, ehe er zum Abschluss auf den grünen Zaun am Felsen oberhalb der Brauerei hinweist. Auffallend viele Suizide seien von dort aus verzeichne­t worden, bis der Zaun, dieses relativ kleine Hindernis, diesen Schritt verhindert habe: „Der Zaun hat schon viele Menschenle­ben gerettet.“

Applaus der Gäste verabschie­det Aßfalg nach dem historisch, architekto­nisch, menschlich und fachlich beeindruck­enden Rundgang.

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FOTOS: EVA WINKHART Ralf Aßfalg (im roten Hemd) zeigt den Gästen auch die außerhalb der Klostermau­ern liegenden Gebäude des ZfP Zwiefalten.
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Die aufwendig renovierte­n Gebäude des barocken Ensembles erstaunen die Besucher beim Rundgang.
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Einblicke in das Gebäudeens­emble des ZfP in Zwiefalten gibt Ralf Aßfalg (rechts) den Gewinnern der SZ-Aktion Türöffner.
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