Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Witz im Wohlklang von Reim und Rhythmus

Norbert Wickert begeistert in Neufra mit Nonsens-Gedichten von Ringelnatz bis Goethe

- Von Waltraud Wolf

NEUFRA - Wer in den Gewölbekel­ler eine Treppe nach oben steigt, der befindet sich unter den Hängenden Gärten in Neufra, so geschehen am Samstag, als Christiane Johannsen zu einem „Nonsens“-Abend eingeladen hatte. Dazu gewonnen hat sie anlässlich des 40-jährigen Engagement­s der Familie Johannsen in Sachen Hängegarte­n Norbert Wickert, einen Nachbarsbu­ben von einst, der lange vor ihrer Zeit im Rentamt und Schlossgar­ten wie zu Hause war. Als er zehn Jahre alt war, kam Norbert Wickert, der damals noch Binder hieß, ins Internat nach Bad Wurzach und in Neufra war er nur noch „zu Besuch“. Einmal im Jahr, wenn er von seinem Wohnort bei Lahr nach Oberstaufe­n in den Ski-Urlaub fahre, schaue er bei seinem Bruder Ulrich vorbei, berichtet der Gymnasiall­ehrer für Latein und Geschichte vor der Veranstalt­ung. Die Anfrage von Christiane Johannsen hat ihn ein weiteres Mal in den Riedlinger Teilort geführt, und zwar „gerne“, wie er betont. Nicht zum ersten Mal trägt er Nonsens-Gedichte und –Balladen in den Hängenden Gärten vor, doch der letzte Auftritt liegt sicher 15 Jahre zurück, schätzt er. Und so füllt sich der Raum bis auf den letzten Platz.

Mehr als 30 Interessen­ten sind gekommen, Bekannte, die ihn hören wollen, aber auch Fremde, denen es um die Gedichte von Heinz Erhardt oder Joachim Ringelnatz geht und

die gespannt sind, was er von Christian Morgenster­n im Köcher hat. Weil seine Frau nicht geglaubt hat, dass man sich in Neufra für seinen Vortrag interessie­rt, hat er ihr gleich mal per Whatsapp ein Beweisfoto von dem vollen Raum gesendet, gleichsam bedauernd, dass die Schüler von heute keine Gedichte mehr auswendig lernen wollen, sie könnten ja stets in ihrem Smartphone nachsehen.

Sich mit Nonsens zu befassen, gehöre zu den schönsten Beschäftig­ungsformen mit Sprache, Text und Inhalten, der Kreativitä­t, künstleris­chen Freiheit und „gnadenlose­n“Effektivit­ät wegen und das im Wohlklang von Reim und Rhythmus, führt Wickert ein, zählt auf, was günstig oder ungünstig sein kann – als Mädchen oder Bub geboren worden zu sein, eines natürliche­n oder unnatürlic­hen Todes zu sterben und welche Verarbeitu­ng des Baumes auf dem Grab die günstigere ist, die zu Brettern oder Klopapier…

Ein „Aha-Erlebnis“beschert er mit dem Gedicht von dem Wagen, der „blitzeschn­elle langsam um die runde Ecke fuhr“, zum Kichern bringt er das Publikum mit der Nase, deren Flügel nicht fliegen, sondern laufen. Es ist der Sprachwitz, der immer wieder überrascht, sind Wortspiele, die begeistern. Heinz Erhardt hat sie beherrscht wie kein anderer. Klar, dass seine geniale „Made“zum Repertoire des Abends gehört, aber auch die „Pechmarie“. Wickert ahmt den Ruf des Uhus nach im ErhardtGed­icht „Das Gewitter“. Die Spannung steigt und löst sich – nach kurzer Dunkelheit – bei den Schlusszei­len: Und wie es stürmt und brandet und kracht, da, eine Jungfrau tritt hinaus in die Nacht und ruft in die tosenden Winde hinaus: „Na, das ist ein Dreckwette­r, da bleib ich zu Haus!“Oder Wilhelm Tell in der Erhardt-Version: „Der Pfeil traf tödlich – einen Wurm, der in dem Apfel wohnte .... Erst war es still, dann brach ein Sturm des Jubels los, der ’n Schützen lohnte! Man rief: „Ein Hoch dir, Willi Tell! Jetzt gehn wir einen trinken, gell?“Auch Friedrich Schillers „Taucher“hat sich Erhardt vorgenomme­n und Wickert bringt ihn als „Tauchenich­ts“in Neufra den aufmerksam lauschende­n Frauen und Männern nahe mit dem Resümee: „Da schlichen die Mannen und Knappen von dannen. Bald waren sie alle verschwund­en. Sie wussten verlässlic­h: Die Tochter ist grässlich! Der Becher liegt heute noch unten...

Obwohl Wickert bat, den Applaus bis zum Schluss aufzuheben, brandet immer wieder Szenen-Beifall auf. Nach der „Eskimojade“von Julis Schmidt zum Beispiel, die so viel Wortspiele­reien von „Eskimaid“und „Eskimaus“bis hin zur „Eskimähr“beinhaltet und von Wickert auswendig vorgetrage­n wird, wie alle anderen Texte. Das verdient Bewunderun­g und da ist es auch nicht schlimm, wenn die eine oder andere Zeile wiederholt werden muss. Das gut gelaunte Publikum ficht das nicht an.

Wie genial Joachim Ringelnatz war, wird nicht nur in dem Gedicht „Ein Nagel saß in einem Stück Holz“deutlich, in dem er anhand der Rückkehr nach einem Seitenspru­ng seiner Gattin – der Messingsch­raube – mit einem Häkchen deutlich macht: „Ja, alte Liebe rostet nicht“. Nicht weniger Christian Morgenster­n mit seiner Möwe Emma oder dem Sensibelch­en Palmström, der ein rotes Taschentuc­h entfaltet und später wieder unbenutzt zusammenle­gt, denn: „Palmström wagt nicht, sich hinein zu schnäuzen, er gehört zu jenen Käuzen, die oft unvermitte­lt-nackt Ehrfurcht vor dem Schönen packt.“ Und schließlic­h hat Wickert doch noch die immer wieder anvisierte­n „Frösche“von keinem Geringeren wie Johann Wolfgang von Goethe aus dem Gedächtnis gegraben, Frösche, die im zugefroren­en Teich davon träumen, wie Nachtigall­en zu singen, sollten sie wieder nach oben kommen und dann doch nur quaken.

Unterhalts­am war sie, die Stunde im Gewölbekel­ler unter den Hängenden Gärten und sie verleitete dazu, die Texte der begnadeten Nonsens-Dichter noch einmal nachzulese­n und ihnen und ihren Wortspiele­reien nachzuspür­en. Norbert Wickert und Christiane Johannsen sei es gedankt. Sie durfte sich im Übrigen über die Spenden freuen, die der Nachbarsbu­b von einst zum Erhalt der Gewölbekel­ler im Körbchen ließ.

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