Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Kreis sucht Pflegefamilien: Etwa 100 Kinder sind derzeit in Vollzeitpflege
Der Bedarf an Pflegefamilien ist gestiegen – Vorbereitungskurse helfen interessierten Familien sich auf die Aufgaben einzustellen
KREIS SIGMARINGEN (sz) - Seit fast vier Wochen lebt der sechsjährige Thomas nun schon in seinem neuen zu Hause bei seinem Pflegevater Joachim Hartbeck (Name geändert). Vier Wochen, in denen sich schon vieles geändert hat. Klar, bei seinem Pflegevater gibt es natürlich Regeln und feste Abläufe. Vor allem aber erlebt Thomas zum ersten Mal in seinem Leben, dass ein Erwachsener zuverlässig für ihn da ist, ihm Sicherheit bietet und ihm vor allem ganz viel Zeit und Aufmerksamkeit schenken kann. Gemeinsame Mahlzeiten, ausgiebiges Spielen, Freibadbesuche – von seinen leiblichen Eltern kennt Thomas das so nicht.
Thomas Mutter und Vater hatten viele Probleme. Sie stritten sich häufig, die Mutter trank täglich Alkohol. Thomas und sein älterer Bruder Michael waren sich meist völlig selbst überlassen. Er saß viel vor dem Fernseher und dem Computer, ging unregelmäßig in den Kindergarten, hatte kaum Freunde. Gemeinsame Familienzeiten, Ausflüge oder auch nur ein paar Stunden auf dem Spielplatz mit den Eltern und dem Bruder gab es so gut wie nie. Stattdessen saßen Kinder und Erwachsene meist in einer kleinen, engen und verrauchten Wohnung im fünften Stock eines Mehrfamilienhauses. Die Eltern waren völlig überfordert mit Thomas, der immer mehr Verhaltensauffälligkeiten entwickelte und die Familie mit seinen Wutanfällen tyrannisierte.
Als der Fachbereich Jugend im Landratsamt von Nachbarn und dem Kindergarten auf die Familie aufmerksam gemacht wurde, ging alles ganz schnell. Katja Pfeil, Leiterin des Pflegekinderdienstes im Landratsamt erklärt: „Eine Familienhelferin kam mehrmals in der Woche, um die Familie zu unterstützen. Sie merkte jedoch schnell, dass die Eltern große Probleme haben und ihre Kinder derzeit nicht versorgen und erziehen können. Nach Gesprächen mit dem Fachbereich Jugend stimmten die Eltern daher zu, dass Thomas in eine Pflegefamilie und der ältere Bruder in eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe ziehen.“
Zahl der Pflegekinder gestiegen
Seit dem Umzug besuchen Thomas Eltern ihn und den Pflegevater alle zwei Wochen. Die Eltern haben jetzt Zeit, sich um ihre Probleme zu kümmern und ihr Leben wieder neu zu ordnen. Im August fährt Thomas mit den beiden weiteren Pflegekindern der Familie Hartbeck in den Urlaub nach Norwegen – der erste Urlaub in seinem Leben. Und im September kommt er in die erste Klasse, worauf er sich schon sehr freut. Die Zahl der Pflegekinder im Kreis Sigmaringen ist in den vergangenen Jahren weiter gestiegen. „Derzeit befinden sich über 100 Kinder im Kreis in Vollzeitpflege. Vor zehn Jahren waren es noch zwischen 60 und 80 Kinder. Zugleich konnten immer mehr Familien und Einzelpersonen dafür gewonnen werden, ein oder mehrere Pflegekinder bei sich aufzunehmen. Dadurch konnten wir bislang jedes Kind, das einen Bedarf an Vollzeitpflege hat, in eine passende Familie vermitteln“, erzählt Katja Pfeil. Damit das so bleibt, legt sich das Landratsamt ins Zeug.
Kurs bereitet auf die Aufgaben vor
Im Juli endete der jährlich stattfindende Vorbereitungskurs mit insgesamt zwölf Pflegefamilien. In dem mehrere Abende umfassenden Kurs werden den zukünftigen Pflegeeltern neben rechtlichen und formalen Grundlagen vor allem praktische Inhalte vermittelt, die sie optimal auf ihre Aufgabe vorbereiten. Die Mitarbeiter bilden die Pflegeeltern im Kontakt mit der Herkunftsfamilie oder auch im Umgang mit seelisch verletzten Kindern aus. In einige der Familien wurden bereits Pflegekinder vermittelt.
„Keine Pflegefamilie ist wie die andere“, betont Katja Pfeil. „Wir suchen für jedes Pflegekind eine individuell passende Familie. Daher brauchen wir auch Familien mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften, Fähigkeiten und Lebensmodellen.“Eine pädagogische Ausbildung ist nicht erforderlich. Der Pflegekinderdienst bietet für alle Interessierten Informationsgespräche an, überprüft Bewerber ausführlich und bildet diese aus.
Nach dem Umzug eines Kindes in die Familie begleitet das fünfköpfige Team des Pflegekinderdienstes das Kind, die Pflegefamilie, aber auch die Herkunftsfamilie intensiv und steht beratend und unterstützend in allen Lebenslagen zur Seite. „Auch die Rückkehr des Kindes zu seinen leiblichen Eltern oder seine Verselbstständigung aus der Pflegefamilie heraus begleiten wir eng“, so Pfeil.
Der Pflegekinderdienst sucht laufend Familien und Einzelpersonen, die sich die Aufnahme eines Pflegekindes in ihren Haushalt für einen begrenzten oder längeren Zeitraum vorstellen können. Weitere Informationen erhalten sie telefonisch beim Pflegekinderdienst, Tobias Conzelmann, unter der Telefonnummer 07571/1024235 oder im Internet unter