Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Katastroph­e trifft die Ärmsten der Armen

Johanna und Paul Rieger sammeln Spenden für die Flutopfer in Kerala.

- Von Annette Grüninger

OGGELSHAUS­EN - Luftaufnah­men von überflutet­en Dörfern, bei denen einzig die Dächer aus den Wassermass­en ragen; schmutzig-gelbe Fluten, die alles mit sich fortreißen, was ihren Weg kreuzt; Menschen, die sich auf hohe Zäune oder Hausdächer in Sicherheit gebracht haben: Die Bilder aus dem westindisc­hen Bundesstaa­t Kerala, die in den vergangene­n Wochen in den Nachrichte­nsendungen liefen, sind Johanna und Paul Rieger besonders nahe gegangen. Das Ehepaar aus Oggelshaus­en kennt die Region seit vielen Jahren und hat viele Freunde und Bekannte dort. Deshalb wollen die Riegers nun helfen: Zusammen mit der Seelsorgee­inheit Federsee sammeln sie Spenden, die sie im September direkt an Pfarrer Mathew Vazhayil übergeben wollen.

Bis zu ihrer Abreise am 28. September ist noch fast einen Monat lang Zeit – dennoch wissen Johanna und Paul Rieger bereits ganz genau, was für ihre nächste Indienreis­e keinesfall­s im Koffer fehlen darf: „Wir nehmen auf jeden Fall eine Arbeitshos­e und Gummistief­el mit“, sagt Johanna Rieger. Der südindisch­e Bundesstaa­t Kerala erlebt derzeit die größte Flutkatast­rophe seit hundert Jahren. Und die Riegers wollen helfen: finanziell, indem sie Spenden sammeln und direkt an die Akteure vor Ort übergeben – und auch ganz tatkräftig, indem sie Pfarrer Mathew Vazhayil bei der von ihm organisier­ten Fluthilfe tatkräftig unterstütz­en.

Die Urlaubsver­tretung aus Indien

Mathew Vazhayil ist rund um Bad Buchau kein Unbekannte­r. Schon seit 2001 kommt der Pfarrer aus der Diözese Palghat fast jeden Sommer als Urlaubsver­tretung in die Seelsorgee­inheit Federsee. Der Kontakt zu dem Oggelshaus­er Ehepaar kam durch Johanna Riegers damaligen Arbeitskol­leginnen zustande. Die 65-Jährige war damals in der Küche und Hauswirtsc­haft des Blönrieder Missionsha­uses tätig, in der auch einige indische Nonnen, die Preshitara­m Sisters Kalady, lebten. „Die Schwestern haben kaum Deutsch gesprochen und hatten auch kein Auto“, erzählt Johanna Rieger. So kam die Idee zu gemeinsame­n Unternehmu­ngen und Treffen mit dem indischen Pfarrer, damit die Schwestern endlich mal wieder in ihrer Mutterspra­che sprechen konnten.

Seither verbindet „Pfarrer Matthäus“, wie Vazhayil am Federsee genannt wird, und das Ehepaar Rieger eine enge Freundscha­ft.

Wenn der Geistliche die Urlaubsver­tretung am Federsee übernimmt, kann er bei den Riegers mit Familienan­schluss logieren. Und dass Pfarrer Matthäus heute nicht nur sehr gut Deutsch, sondern sogar Schwäbisch kann, ist wohl auch dieser herzlichen Gastfreund­schaft zu verdanken. „Er ist bei uns daheim und wir bei ihm“, sagt Johanna Rieger und lacht.

Denn mittlerwei­le haben die Oggelshaus­er ihren Pfarrer Matthäus auch in seiner Heimat in Kerala besucht – und haben dabei Land und Leute in ihr Herz geschlosse­n. „Das ist ein fasziniere­ndes Land“, schwärmt Johanna Rieger. „Und auch die Leute, die sind nicht so hektisch, einfach gelassener.“Die Freundscha­ft mit Pfarrer Mathew hat den Riegers einen anderen Zugang zu dem fremden Land ermöglicht: Sie sind nicht als Touristen unterwegs, sondern besichtige­n kirchliche Einrichtun­gen, erhalten private Einladunge­n und blicken in Bereiche, die sonst nur Einheimisc­hen offen stehen.

Umso stärker war ihre Betroffenh­eit, als sie nun die Bilder von der Flutkatast­rophe in den Nachrichte­n verfolgten. Viele der Orte sind den Riegers aus ihren Reisen vertraut. Den ausgetrock­neten Malapuzha-See konnte das Paar bei ihrer letzten Reise vor zwei Jahren mit dem Auto durchfahre­n. „Jetzt ist hier das Wasser zwölf Meter hoch“, berichtet Paul Rieger. In den südlichen Landesteil­en seien viele Häuser durch die Fluten einfach weggerisse­n und zerstört worden. „Das Wasser steht in den Städten oft mannshoch“, schildert der 67-Jährige, der früher als Polizist gearbeitet hat, die Zustände. So vermischen sich die Wassermass­en mit Fäkalien, Tierkadave­r treiben in der Flut. Dadurch fehle sauberes Trinkwasse­r, Seuchen drohten. Die Reisernte sei vielerorts vernichtet worden.

Dabei sei die Not der Menschen ohnehin schon groß. „Da trifft es wirklich die Ärmsten von den Armen“, weiß Johanna Rieger. Ein Altersheim, das die Riegers in einem früheren Aufenthalt kennengele­rnt haben, sei komplett überschwem­mt worden. Überall biete sich ein Bild der Zerstörung. Oftmals hätten die Menschen gerade mal ihr nacktes Leben retten können, mit nichts als dem, was sie am Leib trugen.

Angesichts dieses Elends stand für die Riegers schnell fest, dass sie ihre Indienreis­e in diesem Jahr wie geplant antreten wollen – auch deshalb, um vor Ort mit anzupacken. Pfarrer Mathew hat inzwischen eine Hilfsaktio­n organisier­t: Schüler und Lehrer des Yuvakshetr­a Institute in Mundur packen Hilfspaket­e mit Lebensmitt­eln und Kleidung, die dann von den Pfarrern mit Lastwagen in die Notgebiete transporti­ert werden.

„Das Wasser steht in den Städten oft mannshoch.“Paul Rieger

Es bleiben Dreck und Zerstörung

Mit Spenden aus Deutschlan­d möchte das Ehepaar zusammen mit der Seelsorgee­inheit Federsee nun diese Aktion direkt unterstütz­en. Bei einem Bildervort­rag in Oggelshaus­en haben die Riegers auf die Notlage der Menschen in Kerala aufmerksam gemacht und bereits viel Unterstütz­ung erfahren. Bis zu ihrer Abreise in September hoffen sie nun, dass noch weitere Spenden zusammen kommen. Mittlerwei­le sei der Monsunrege­n zwar zurückgega­ngen, hat Paul Rieger von seinen fast täglichen Telefonate­n mit Pfarrer Mathew erfahren. Doch wenn sich die Wassermass­en zurückzieh­en, bleiben Dreck, Zerstörung und Not.

Wer den Flutopfern in Kerala helfen möchte, kann eine Spende auf das Konto des Pfarramts Bad Buchau überweisen: IBAN DE92 6545 0070 0008 3329 90 , Stichwort „ Indienhilf­e Pfarrer Mathew“. Alle Gelder, die bis zum 26. September auf dem Konto eingegange­n sind, wird das Ehepaar Rieger auf seine Indienreis­e mitnehmen und direkt an Pfarrer Mathew übergeben.

 ?? FOTO: PRIVAT ??
FOTO: PRIVAT
 ?? FOTOS: MATHEW ?? In Kerala herrschen katastroph­ale Zustände: Zwei Männer ( linkes Bild) haben sich vor den Wassermass­en auf einem Zaun in Sicherheit gebracht – „ der Zaun ist so hoch wie ich“, sagt Johanna Rieger, die die Gegebenhei­ten vor Ort gut kennt. Das Auto ( rechts oben) vor den Fluten zu bergen, erwies sich als vergeblich­e Liebesmühe. Und auch die Pfarrer des St. Thomas College aus Palai ( rechts unten) stehen hüfthoch im Wasser.
FOTOS: MATHEW In Kerala herrschen katastroph­ale Zustände: Zwei Männer ( linkes Bild) haben sich vor den Wassermass­en auf einem Zaun in Sicherheit gebracht – „ der Zaun ist so hoch wie ich“, sagt Johanna Rieger, die die Gegebenhei­ten vor Ort gut kennt. Das Auto ( rechts oben) vor den Fluten zu bergen, erwies sich als vergeblich­e Liebesmühe. Und auch die Pfarrer des St. Thomas College aus Palai ( rechts unten) stehen hüfthoch im Wasser.
 ??  ??
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Mit Pfarrer Mathew Vazhayil ( links im Bild) verbindet Johanna und Paul Rieger eine lange Freundscha­ft. Bei ihren Besuchen in Indien hat das Ehepaar aus Oggelshaus­en Land und Leute in ihr Herz geschlosse­n.
FOTO: PRIVAT Mit Pfarrer Mathew Vazhayil ( links im Bild) verbindet Johanna und Paul Rieger eine lange Freundscha­ft. Bei ihren Besuchen in Indien hat das Ehepaar aus Oggelshaus­en Land und Leute in ihr Herz geschlosse­n.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany