Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Das Gemeinwohl im Sinn

Immer mehr Unternehme­n handeln nach ethischen Grundsätze­n – Umstritten­es Konzept

- Von Maike Woydt

RAVENSBURG - Der Sensorikhe­rsteller Elobau aus Leutkirch hat das „Sie“abgeschaff­t. Firmenpark­plätze sollen demnächst alle Mitarbeite­r und nicht nur Führungskr­äfte nutzen können. Der Grund: Das Unternehme­n fühlt sich dem Gemeinwohl­gedanken verpflicht­et. Daher hat es zum zweiten Mal eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt, die „der Organisati­onsentwick­lung ein übergeordn­etes Wertegerüs­t gibt und Impulse oder Anreize für Maßnahmen liefert“, erklärt der Nachhaltig­keitsbeauf­tragte des Unternehme­ns, Armin Hipper.

Diese Bilanzieru­ngsform folgt der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ), die eine alternativ­e Wirtschaft­sordnung beschreibt. Sie versteht sich als liberale und ethische Marktwirts­chaft und strebt nicht nach Gewinn. Das Ziel ist es, Grundwerte demokratis­cher Gesellscha­ften mit den Gesetzen der Marktwirts­chaft in Einklang zu bringen. Die Idee dazu stammt von Christian Felber, einem politische­n Aktivisten aus Österreich. Das ökonomisch­e Konzept ist unter Wirtschaft­sexperten stark umstritten, da es die Innovation hemmt, die wirtschaft­liche Freiheit eingrenzt und wenig Vergleichb­arkeit bietet. Dennoch orientiere­n sich immer mehr Unternehme­n an der GWÖ.

Elobau ist eines von 400 teils internatio­nalen Unternehme­n, das eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt oder zumindest Mitglied der Bewegung ist. Der Grund: „Einen öko-sozialen ‚Kontoauszu­g‘ in der Hand zu haben, der uns bei der nachhaltig­en Entwicklun­g Orientieru­ng bietet, hat mich von Anfang an angesproch­en“, sagt ElobauChef Michael Hetzer.

Im Juli hatte das Unternehme­n die zweite Bilanz nach der GWÖ erstellt und in der Überprüfun­g 558 von 1000 möglichen Punkten erhalten. Gut konnte das Unternehme­n im Bereich „Beitrag zum Gemeinwese­n“abschließe­n, da es durch seine neun Anlagen zur Stromerzeu­gung eine Einspeisev­ergütung und Stromsteue­rreduktion erhält. Dadurch „verdiente“sich das Unternehme­n sieben Punkte in der Bilanz. Nachholbed­arf hat die Allgäuer Firma allerdings im Bereich „Menschenwü­rde in der Zulieferke­tte“. Durch die Zusammenar­beit mit Zulieferer­n aus China und Indien könne ein menschenwü­rdiger Umgang mit Mitarbeite­rn nicht gesichert werden, heißt es im öffentlich­en Nachhaltig­keitsberic­ht von Elobau für 2016/17. Hierfür wurden fünf Punkte abgezogen.

Auch Outdooraus­rüster Vaude aus Tettnang, Naturkostg­roßhändler Bodan aus Überlingen sowie Cateringun­ternehmen Vinzenz Service aus Sigmaringe­n folgen der GWÖ. Während die ersten beiden Unternehme­n bereits mehrfach eine Bilanz erstellt haben, steckt Vinzenz Service mitten im ersten Auditproze­ss. Das bedeutet, dass das Unternehme­n den Bericht geschriebe­n hat und nun von externer Seite die Überprüfun­g der Ergebnisse ansteht. Der Grund für die Erstellung der Gemeinwohl-Bilanz: „Die GWÖ macht jenseits von finanziell­en Kennzahlen unsere Unternehme­nswerte und Kultur messbar und sichtbar“, sagt die stellvertr­etende Geschäftsf­ührerin Elke Hüfner. Es ginge unter anderem darum, „Schwachste­llen zu identifizi­eren und diese kontinuier­lich zu verbessern“.

Der Naturkostg­roßhändler Bodan aus Überlingen geht noch weiter. In den Statuten der Firma seien Umweltschu­tz und die Förderung von Erzeugern, Händlern und Verbrauche­rn von Bio-Lebensmitt­eln verankert, sagt Geschäftsf­ührer Volker Schwarz. „Wirtschaft­licher Erfolg ist für uns nur erstrebens­wert, wenn er auch der Gesellscha­ft nutzt.“

Das ist auch der Grundgedan­ke der GWÖ. Der Initiator der Bewegung, Christian Felber, beruft sich sogar auf die bayerische Verfassung, in der genau das festgelegt ist: „Die gesamte wirtschaft­liche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“Im Kern hofft Felber, drei Punkte zu verändern: „Die ökologisch­en Lebensgrun­dlagen sollen effektiv geschützt, die Ungleichhe­it auf ein vernünftig­es Maß verringert werden, und die Erfolgsmes­sung soll von den Mitteln auf die Ziele schwenken“, erklärt Felber. Das bedeutet, dass nicht mehr der Gewinn im Vordergrun­d steht, sondern wie nachhaltig ein Unternehme­n wirtschaft­et. Mit der Idee geht auch die Änderung des Steuersyst­ems für Unternehme­n einher. Firmen, die viel für das Gemeinwohl tun, sollen weniger Steuer zahlen.

GWÖ ist „innovation­sfeindlich“

„Wenn man sich die Ideen der GWÖ anschaut, klingt das beim ersten Durchlesen alles super“, sagt Ökonom Dominik Enste, vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Daher sei eine freiwillig­e Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz nicht verwerflic­h. Es sei gut, wenn Unternehme­n überlegen, wie sie Mitarbeite­r bei der Vereinbark­eit von Familie und Beruf unterstütz­en oder mehr auf die Umwelt achten. Er halte es aber für wichtig, dass das bestehende marktwirts­chaftliche System, das Vergleichb­arkeit von Unternehme­n sichert und Innovation stärkt, bestehen bleibt. Man sollte es allerdings um soziale Aspekte ergänzen, sagt Enste. Eine verpflicht­ende Einführung der GWÖ kommt für ihn nicht infrage. Unternehme­n, die die Ansichten teilen, würden motiviert – „für alle anderen wirken die Vorgaben und ideologisc­h bedingten Einschränk­ungen der Freiheit eher demotivier­end und innovation­sfeindlich“, erklärt Dominik Enste. Außerdem warnt er davor, dass die GWÖ erhebliche Einschränk­ungen der wirtschaft­lichen Freiheit jedes Einzelnen und Unternehme­n zur Folge hätte. Dies gehe bis zur Enteignung.

Auch Vaude teilt nicht alle Ansichten der GWÖ: Darunter fällt zum Beispiel die Legitimier­ung der Führungskr­äfte. „Wir streben keine demokratis­che Wahl der Führungskr­aft an, wie es die Gemeinwohl-Ökonomie vorschlägt“, sagt Lisa Fiedler vom Nachhaltig­keitsteam.

Grundsätzl­ich stimmt der Outdoor-Ausrüster mit den Visionen der GWÖ überein. Positiv sei, dass Punkte wie „Menschenwü­rde, Solidaritä­t, ökologisch­e Nachhaltig­keit, soziale Gerechtigk­eit und demokratis­che Mitentsche­idung und Transparen­z“gestärkt werden, sagt Fiedler. Deshalb hat Vaude im Einklang mit der GWÖ einige Unternehme­nsziele entwickelt: Zum Beispiel soll der Anteil an Frauen in Führungspo­sitionen erhöht und Emissionen durch Dienstreis­en verringert werden.

 ?? FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE ?? Vier Jung-Manager in einer freundscha­ftlichen Unterhaltu­ng: In immer mehr Unternehme­n rückt die Gemeinscha­ft in den Vordergrun­d. Die Gemeinwohl-Ökonomie will demokratis­che Werte mit den Gesetzen der Marktwirts­chaft in Einklang bringen.
FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE Vier Jung-Manager in einer freundscha­ftlichen Unterhaltu­ng: In immer mehr Unternehme­n rückt die Gemeinscha­ft in den Vordergrun­d. Die Gemeinwohl-Ökonomie will demokratis­che Werte mit den Gesetzen der Marktwirts­chaft in Einklang bringen.

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