Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Choreograf­ie ist ein hartes Brot“

Von Stuttgart in die ganze Welt: Ein Porträt des Choreograf­en Marco Goecke

- Von Alexandra Karabelas

STUTTGART - Marco Goecke ist einer der bedeutends­ten Choreograf­en unserer Zeit. Bis vor wenigen Wochen war er Hauschoreo­graf des Stuttgarte­r Balletts. 13 Jahre lang prägte er das künstleris­che Erscheinun­gsbild der Weltklasse-Compagnie. In einem Jahr wird er die Leitung des Balletts am Staatsthea­ter Hannover übernehmen. Dem Land bleibt er aber als zukünftige­r Erster Residenzch­oreograf von Gauthier Dance am Theaterhau­s Stuttgart bis 2020 erhalten. Ein Porträt.

Im Tanz ist Marco Goecke, seit er vor 18 Jahren angefangen hat zu choreograf­ieren, etwas gelungen, was nur wenigen in der Zunft beschieden ist: einen unverwechs­elbaren, gültigen Stil von choreograf­ierter Körperbewe­gung zu kreieren.

Er hat die Kunst des Balletts im 21. Jahrhunder­t erneuert. Das von Goecke erschaffen­e Körperbild ist sofort erkennbar, egal ob in Europa oder Amerika. Die Arme werden in einer nervös-fiebrigen Art um Kopf und Körper in Bewegung gebracht, dass man fast irre wird beim Zusehen. Gesicht und Beine tanzen hochgestoc­hen, verzerrt und trippelnd mit, sodass ganze Seelenland­schaften assoziiert werden können. Goeckes Tänzer, fast immer mit nacktem Oberkörper, in schwarzer langer Hose und manchmal einem Jacket, die Frauen gendermäßi­g ähnlich gekleidet, berühren.

Im Probensaal beginnt Goecke jedoch jedes Mal fast von vorne. Denn seine vielfach mit Preisen gewürdigte Arbeit verflüchti­gt sich im Moment ihrer Entstehung. Nur die häufige Wiederholu­ng im Körper eines anderen Menschen an einem Ort zu einer bestimmten Zeit machen sein Werk für kurze Zeit haltbar. „Das ist ein ganz hartes Brot, die Choreograf­ie. Man gibt etwas, das es noch nicht gibt und das man nur mit Schritten versuchen kann“, sagt Goecke.

Ballett mit Pistolensc­hüssen

Weit über 60 Stücke hat der gebürtige Wuppertale­r dem Publikum fast auf der ganzen Welt geschenkt. In den Niederland­en war er Hauschoreo­graf beim berühmten Scapino Ballet Rotterdam. Seit 2013 arbeitet er in derselben Funktion für das renommiert­e Nederlands Dans Theatre in Den Haag.

„Man muss Leidenscha­ft am Tanz haben und auch das Quäntchen Wahnsinn. Den haben wir alle, um das zu tun, was wir tun.“Auch so ein Satz von ihm. „Goeckes Werk ist überall “, brachte es Tamas Detrich, neuer Intendant des Stuttgarte­r Balletts, unlängst auf den Punkt. Mit ihm hatte Goecke vor einem Jahr Streit, weil Detrich ihn nach dreizehn Jahren nicht mehr als Hauschoreo­grafen haben wollte. Goecke, emotional schwer getroffen und dann noch krank geworden, ging an die Presse und sagte die geplante Uraufführu­ng eines neuen Handlungsb­alletts über Franz Kafka für das Stuttgarte­r Ballett ab. Heute sind die Wogen wieder geglättet. Goecke schenkte seiner alten Compagnie mit „Almost Blue“noch einmal ein grandioses Ballett, gleichwohl er ein paar Pistolensc­hüsse in die Choreograf­ie für seine ehemalige Compagnie integriert­e.

Goecke, der stets von Gustav, seinem Dackel begleitet wird, stürzte sich in weitere Aufträge. Unter anderem war Tänzer Rosario Guerra, der Goeckes Ballett „Nijinski“über den Jahrhunder­ttänzer für Gauthier Dance am Theaterhau­s Stuttgart zum Welthit machte, im für ihn kreierten Solo „Infant Spirit“zu erleben. Es wurde zu einer schmerzhaf­t schönen, sehr anrührende­n Variation Goeckes über seine Jugend in Wuppertal, als er schüchtern und voller Sehnsucht nach einem anderen Leben die große Tanztheate­r-Lady Pina Bausch verehrte. Friedeman Vogel, eine von vielen Musen Goeckes, für den er 2008 „Orlando“nach Virginia Woolf schuf, tanzte schließlic­h beim Stuttgarte­r Ballett noch einmal „Fancy Goods“.

Goecke freut sich, dass er mit Gauthier Dance am Theaterhau­s Stuttgart weiterhin einen Ort in der Landeshaup­tstadt hat, an dem er seine Arbeit in Baden-Württember­g fortsetzen kann. Auch das Staatsthea­ter Nürnberg und das Nationalth­eater Mannheim werden in den kommenden Monaten Werke von Goecke zeigen: „Nichts“und „Thin Skin“, zudem das Nederlands Dans Theatre in Den Haag, wohin Goecke in diesen Tagen aufbricht. Natürlich mit Gustav im Schlepptau.

 ?? FOTO: STUTTGARTE­R BALLETT ?? Für den Tanz brauche es ein Quäntchen Wahnsinn, sagt Choreograf Marco Goecke, der in Stuttgart auch an dem Stück „Die fantastisc­hen Fünf“mitwirkte.
FOTO: STUTTGARTE­R BALLETT Für den Tanz brauche es ein Quäntchen Wahnsinn, sagt Choreograf Marco Goecke, der in Stuttgart auch an dem Stück „Die fantastisc­hen Fünf“mitwirkte.

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