Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Dem Mythos Bayern auf der Spur
„Wald, Gebirg und Königstraum“heißt die Landesausstellung in Ettal – All das gibt es rund um Oberammergau zuhauf
Eigentlich müssten sie ihrem neuen Ministerpräsidenten dankbar sein hier in Oberammergau. Denn die von Markus Söder verordnete Pflicht zum Kreuz sollte die Nachfrage nach einem wichtigen Exportartikel der oberbayerischen Gemeinde in die Höhe schnellen lassen: Schließlich ist die Kunst der Holzschnitzerei nirgends so sehr verankert wie hier, wo im Pilateshaus, einem Schmuckstück aus dem 18. Jahrhundert im Dorfkern, noch heute Holzbildhauer in einer „lebenden Werkstatt“den Besuchern Rede und Antwort stehen.
Aber von wegen. „Kurz nach dem Kruzifix-Erlass hat die Staatskanzlei angerufen“, lästert Ulrike Bubenezer-Schmitz, die Touristen durch ihre Heimatstadt führt. „Sie sagten, es würden zwei Kruzifixe für die bayerische Landesvertretung in Brüssel benötigt. Sie haben aber keine neuen Kreuze in Auftrag gegeben, sondern beim Museum nach einer Dauerleihgabe gefragt.“Dem Bund der Steuerzahler mag dieses Vorgehen lobenswert erscheinen – in Oberammergau runzelte man darüber die Stirn.
Gäste aus der ganzen Welt
Dass die Oberammergauer Holzschnitzer nicht reich werden mit ihrer Kunstfertigkeit, das hat allerdings Tradition. „Nicht die Holzschnitzer sind zu Vermögen gekommen, sondern die Verleger“, erzählt Bubenezer-Schmitz. Verleger – so wurden die Händler genannt, die das Kunsthandwerk aus Oberammergau jahrhundertelang vertrieben haben. Noch heute dominiert das Geschäft der Verlegerfamilie „Lang Selig Erben“die zentrale Kreuzung im Ort, Italiener und Asiaten schlendern vorbei – der Name Oberammergau zieht internationales Publikum an, selbst wenn die nächste Aufführung der Passionsspiele erst in zwei Jahren stattfindet.
Dabei gibt es in der Umgebung bereits in diesem Jahr ein Zugpferd für Besucher: In der nahen Benediktinerabtei Ettal richtet der Freistaat eine Landesausstellung aus, in der die Besucher noch bis zum 4. November dem „Mythos Bayern“nachspüren können – genauer dem „Wald, Gebirg und Königstraum“.
Jeden dieser drei Punkte, die den Ausstellungsmachern zufolge den Mythos Bayern ausmachen, kann man in Oberammergau allerdings auch jenseits der Ettaler Klostermauern erleben. Für den „Königstraum“bietet sich ein Ausflug ins nahe gelegene Schloss Linderhof an. Das Lieblingsschloss Ludwigs II. ist nur wenige Kilometer westlich entlang des Flüsschens Linder bequem per Fahrrad zu erreichen. Und was „Wald“und „Gebirg“angeht: Beides ist in und um Oberammergau überall und reichlich zu erleben.
Zum Beispiel, indem man die Seilbahn hinauf zum Laber nimmt. Auf dem 1680 Meter hohen Oberammergauer Hausberg hat man einen weiten Ausblick über die Umgebung – im Süden erhebt sich die Zugspitze, im Norden glitzern Staffelsee, Starnberger See und Ammersee in der Sonne. Die Bergstation bietet sich auch als Ausgangspunkt für Wanderungen an, etwa eine halbe Stunde braucht man hinüber zum Ettaler Mandl, einer markanten Felsformation, die kurz vor dem Gipfel eine kurze Kletterpartie beinhaltet. Gerade erst lässt der Tourismusverband alle Wanderwege in der Region neu beschildern. Auch, weil das bayerische Umweltministerium in den Ammergauer Alpen – nach fünf Jahren der Planung und Prüfung – den 19. Naturpark Bayerns ausgerufen hat.
Auf Biberpirsch
Dass man während eines Bergurlaubs auch im Tal einiges erleben kann, zeigt am nächsten Abend Markus Gerum. Der 52-Jährige ist in seinem Element, wenn er Besuchern die Tier- und Pflanzenwelt auf den Fettwiesen zwischen Oberammergau und Unterammergau näher bringen kann – er bietet Naturführungen aller Art an. Heute Abend geht es zunächst um Biber und später – bei anbrechender Dunkelheit – um Fledermäuse. „Wir haben hier das größte Naturschutzgebiet in Bayern und sehr viele Lebensräume auf engem Raum“, erklärt er auf die Frage, was seine Heimat für ihn besonders macht. Er führt seine Gäste auf der Suche nach Bibern an der Ammer entlang. „Da ist eine Biberrutsche“, sagt er und deutet auf eine Mulde in der Uferböschung. Das ist eine Stelle, an der sich der Biber in den Fluss gleiten lässt. Auch Biberdämme finden sich entlang kleinerer Bäche – nur die Tiere selbst machen sich an diesem Abend rar. Anders als später die Fledermäuse, deren UltraschallLaute sich mit den entsprechenden Geräten, sogenannten Bat-Detektoren, hörbar machen lassen.
Dass die flatternden Nachtjäger hier so häufig vorkommen, hat auch mit der noch weitgehend intakten Natur zu tun, erklärt Gerum. Der Artenreichtum ist besonders hoch in diesem Landstrich – auch aus diesem Grund ist die Region zum Naturpark erklärt worden.
Die Recherche wurde unterstützt von der Ammergauer Alpen GmbH.