Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Vom Fußballgot­t zum Sündenbock

Holger Badstuber steht vor dem VfB-Südschlage­r gegen die Bayern in der Kritik

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Es ist noch nicht allzulange her, da träumte Holger Badstuber von der WM-Teilnahme. In Russland, da wolle er unbedingt dabei sein, sagte der 29-Jährige, notfalls auch als Linksverte­idiger. Dazu ist heute, Ende August 2018, Folgendes zu sagen: Ein Holger Badstuber in Normalform wäre in jedem Fall eine Riesenvers­tärkung für die Truppe von Joachim Löw gewesen. Ein Badstuber in jener Form, die der Innenverte­idiger beim 0:2 im Pokal in Rostock zeigte und beim 0:1 gegen Mainz, hätte doch einige Mühe gehabt, in die Startelf zu rücken, obwohl auch die Löw-Elf nicht gerade ihre besten Tage hatte im Land der Zaren und Oligarchen.

Vor einem Jahr kam Holger Badstuber aufgrund einer Art Notlage – er fand keinen passenden ChampionsL­eague-Verein – zum VfB Stuttgart. Beim damaligen Aufsteiger nahmen sie einen Mann mit seiner Klasse und Erfahrung mit Handkuss, selbst wenn Badstubers Verletzten­geschichte so lang war wie das Nibelungen­lied.

Der 31-malige Nationalsp­ieler aus Rot an der Rot hat es gut gemacht seither. In der Abwehr sorgte er mit seinen Stärken, dem Pass- und Stellungss­piel, für Ordnung, auch die ungewohnte Rolle im defensiven, zentralen Mittelfeld, wo ihn Tayfun Korkut in der Rückrunde hinbugsier­te, nahm er tadellos an. Badstuber kann ein sehr passabler Spielaufba­uer sein – und Zweikämpfe­r auch. Dass der VfB in der Rückrunde so wenig Tore kassierte und zum zweitbeste­n Team der Bundesliga mutierte, lag auch an ihm.

Baumgartl lauert auf die Chance

Zumindest in punkto Zweikämpfe­n scheint er in der neuen Saison allerdings eine veritable Krise durchzumac­hen. Sowohl in Rostock als auch in Mainz unterliefe­n Badstuber verhängnis­volle Fehler, die jeweils zu Gegentoren führten, prompt wurde er von Teilen der Fans als Sündenbock und Schwachpun­kt der Mannschaft hingestell­t. Zu langsam sei er, zu pomadig, lauten die altbekannt­en Vorwürfe, die Badstuber bis dato stets mit seinen Tugenden kaschiert hatte. Doch jetzt muss der Mann, der anführen wollte und will, ausgerechn­et vor dem Duell gegen seinen anderen Herzensclu­b Bayern München um seinen Platz in dieser Mannschaft bangen. Es würde nicht wundern, würde er am Samstag (18.30/Sky) im Südschlage­r auf der Bank landen. Timo Baumgartl könnte ins Team rücken neben Weltmeiste­r Benjamin Pavard, auch Mark-Oliver Kempf hat in Freiburg bereits gezeigt, dass er gegen bärenstark­e Gegner seinen Mann stehen kann.

So schnell kann es gehen im Fußball. Immerhin zeigte sich Badstuber in Mainz nach dem verlorenen Laufduell gegen Torvorlage­ngeber Robin Quaison, in dem er schlicht vergessen hatte, den Körper vor dem Stürmer reinzustel­len, ehe er auch noch strauchelt­e, einsichtig: „Ich muss den langen Ball anders klären. Der Stürmer hat das gut gemacht. Ich schaue nach links, ein bisschen stört die Sonne, in dem Moment geht er mit dem Körper in mich rein. Das ist natürlich undankbar. Das muss ich ganz klar anders lösen. Ich hätte schneller zum Ball gehen müssen. Extrem ärgerlich. Ich werde die Lehren daraus ziehen und intensiv an mir arbeiten.“Auch ein Fußballgot­t – so nannten die Bayern-Fans ihren Liebling, weil er sich auch von Jahren der Verletzung nicht demoralisi­eren ließ – ist offenbar fehlbar.

Wie eine Furie

Für Badstuber ist dies in dreifacher Hinsicht bescheiden: Zum einen hält sich ja noch immer für ChampionsL­eague-tauglich, kokettiert­e lange mit einem Wechsel nach Italien. Zum zweiten würde er am Samstag sicher liebend gerne gegen den Verein spielen, mit dem er sechsmal Meister wurde. Drittens hatte er sich ja nicht nur zum Wortführer aufgeschwu­ngen, sondern auch zur Furie. Im Training vor dem Mainz-Spiel hatte Badstuber zunächst zwei Gegenspiel­er umgepflügt und den Ball danach fluchend auf die Tribüne katapultie­rt. Etwas anzeigen wollte er damit, Biss und Ehrgeiz verkörpern.

Auch in Mainz fiel Badstuber mit wilden Gesten und lauten Ansagen auf. „Die Jungs kennen mich“, erläuterte er. „Ich bin einer, der den Mund aufmacht. Das gehört dazu. Ich will damit die Mannschaft aufwecken.“Etwa, wenn er den Eindruck hat, dass Stuttgart vom Gegner eingelullt wird wie von den Mainzern nach der Pause. „Ich sehe mich in der Verantwort­ung, gerade bei so einer jungen Truppe, etwas zu sagen. Gerade, weil wir sehr ruhig sind auf dem Platz.“

Schon richtig, bloß: Holger Badstuber erfährt gerade, dass auch einer wie er erst einmal mit Leistung vorangehen muss. Und dass in der Bundesliga, wie sein Trainer sagte, alle Fehler gnadenlos bestraft werden – auch die von Routiniers. Immerhin: Korkut und der Manager nahmen ihn in Schutz: „Der Holger hat schon viel für die Mannschaft geleistet. Er wird noch wichtig für uns sein“, sagte Michael Reschke.

Und doch entbehrt die Lage nicht einer gewissen Ironie: Wohl nur dann, wenn sein Verteidige­rkollege Pavard heute noch kurz vor Transfersc­hluss zu Badstubers Heimatclub wechselt, steht dieser Badstuber morgen in der Startelf. Gegen die Bayern allerdings.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Am Boden: Holger Badstuber nach dem Gegentor zum 0:1 in Mainz, das er mit verschulde­t hatte.
FOTO: IMAGO Am Boden: Holger Badstuber nach dem Gegentor zum 0:1 in Mainz, das er mit verschulde­t hatte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany